Dirigent Vladimir Jurowski:Kennenlernen mit Dornröschen

Vladimir Jurowski, ab 2021 Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper, in München mit dem Berliner Rundfunkorchester.

Von Helmut Mauró

Ab Herbst 2021 wird der 1972 in Moskau geborene Dirigent Vladimir Jurowski Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper. Ein Posten, der einst von den bedeutendsten Dirigenten ihrer Zeit besetzt war, von Franz Lachner, Hermann Levi, Richard Strauss, Felix Mottl, Bruno Walter, Hans Knappertsbusch, Clemens Krauss, Georg Solti, Rudolf Kempe, Ferenc Fricsay, Joseph Keilberth, schließlich gab es auch beinahe ständige Gastdirigenten wie Carlos Kleiber. Ob sich Vladimir Jurowski eines Tages in diese beeindruckende Phalanx einreihen kann? In der Münchner Philharmonie konnte man dieser fernen Frage nachsinnen, sich vor allem aber erst einmal gegenseitig beschnuppern. Vladimir Jurowski kam mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, deren Künstlerischer Leiter und Chefdirigent er seit der vorletzten Spielzeit ist und auch über 2021 hinaus bleiben wird. Solcherlei Doppelrollen kommen in München zwar nicht so gut an und sind vielleicht gerade deshalb so prestigeträchtig. Man kann einen international renommierten Dirigenten, der Jurowski zweifellos ist, längst nicht mehr exklusiv an ein Haus binden. Das hat offenbar nicht immer rein künstlerische Gründe, wie man an diesem Sonntagvormittag in der Philharmonie erfahren konnte. Das Berliner Rundfunksinfonieorchester verfügt bei Weitem nicht über die differenzierte Klanggestaltung des Bayerischen Staatsorchesters, das Jurowski künftig leiten wird.

Vielleicht war das Programm auch etwas unglücklich gewählt. Peter Tschaikowskys nahezu komplette Ballettmusik zu "Dornröschen" kann schon enervierend sein, wenn man ständig den Eindruck bekommt, die Musik verweise auf eine Handlung, die man leider nicht sieht. Aus suggestiven Bildern wird da schnell eine hohle Kopie. Zumal dann, wenn es der Dirigent nicht schafft, sein Ensemble so zu motivieren, dass aus dem Ballett-Soundtrack symphonische Eigenständigkeit wird, eine Klangerzählung, die ohne Bilder auskommt oder sogar noch stärkere evoziert, als sie eine Bühne bieten könnte. Im zweiten Teil des zweieinhalbstündigen Konzerts konnte man punktuell solcherlei erahnen, aber insgesamt enttäuschte die Darbietung dadurch, dass das Orchester immer wieder viel zu platt, zu krachert agierte: zu viel Fortissimo, zu viel grob Geschnitztes, fast immer zu laut auf die Pauke gehauen. Was dabei untergeht: das schmerzlich Sehnsüchtige, das den großen Tschaikowsky-Ton ausmacht. Die erinnerte Idylle, die zwar nicht wirklich gebrochen, aber auch nicht von dieser Welt ist. Also all das, was man an Tschaikowskys Ballettmusik liebt, wenn man sie liebt.

Wie kann das sein? Jurowski ist ein sehr genauer Dirigent, er fuchtelt auch nicht der Musik hinterher, sondern gibt klare Anweisungen vorweg. Seine langarmigen Gesten hat er in ein militärisch anmutendes Bewegungskorsett gezwungen, sodass in keiner Sekunde Zweifel über die gewünschte Reaktion herrschen kann. Das unterscheidet ihn von vielen Kollegen. Manchmal sieht es auch wirklich elegant aus, und doch klafft zwischen Befehl und Gehorsam eine Lücke, die offenbar nicht durch noch strengere Anweisungen zu überbrücken ist. Es geht dabei um Grundsätzliches, um reine Klangästhetik ebenso wie um die musikantische Grundhaltung, um eine sauber abgestimmte Orchesterintonation wie auch um eine logische Klangfarbensprache. All das, was Jurowski hoffentlich immer beim Bayerischen Staatsorchester finden wird.

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