Digitalpolitik:Mensch bleiben

DLD Europe 2019; Steffi Czerny, DLD Media

Fordert Optimismus und Mut: Steffi Czerny beim DLD Europe in Brüssel.

(Foto: Jan Van de Vel/ Picture Alliance for DLD)

Den Tech-Konzernen aus den USA und China begegnen: Die Digitalkonferenz DLD betreibt in Brüssel nicht nur Lobbyarbeit, sondern stellt klare Forderungen an Europa.

Von Matthias Kolb

Der Mann ist fassungslos. "Warum lassen wir es zu, dass einige Internetfirmen komplette Personenprofile von uns allen anlegen und diese ohne jede Begrenzung behalten und analysieren?" Diese Frage stellt er dem Publikum, und an der Wand erscheint der Umriss eines Menschen, der nur aus jenen Datenpunkten besteht, die vor allem Tech-Firmen aus China und den USA sammeln. Die nächste Folie listet auf, was alles gespeichert wird: Aufenthaltsort, Konsumverhalten, Reisepläne und -buchungen, Fortbewegungsmittel, welche Suchabfragen gestellt und Apps genutzt werden.

Als "Datenstaubsauger" bezeichnet der Redner Whatsapp, den zu Facebook gehörenden Messenger-Dienst. Dass der Vortrag seine Wirkung nicht verfehlt, liegt nicht nur am schlechten Gewissen der Zuhörer über die Verdrängung der Fakten. Der Warnruf kommt nicht von Peter Sunde, dem Gründer der Filesharing-Plattform Pirate Bay, sondern von Paul-Bernhard Kallen, dem Chef des Burda-Konzerns.

In dieser Woche machte die hauseigene Digitalkonferenz "DLD" Station in Brüssel. In der Vertretung des Freistaats Bayern nimmt neben Kallen auch Konferenzchefin Steffi Czerny Bezug auf das Motto "Optimismus und Mut": Die Europäer müssten an das Friedensprojekt EU glauben und "neue Erzählungen" gegen Populismus und Nationalismus finden.

Die Zeit drängt, nun müssen Taten folgen, in Brüssel wie in Berlin

Die Chance, vor dem Start der neuen EU-Kommission unter Ursula von der Leyen für neue Prioritäten zu werben, lässt sich Kallen nicht nehmen. "Mehr Mut" wünscht er sich von der Kommission und dies bedeutet für ihn, gerade die US-Techfirmen zu zähmen und den Bürgern mehr Hoheit über ihre Daten zu geben. Eine für "DLD Europe" in Auftrag gegebene Umfrage von Allensbach fand heraus, dass 77 Prozent der deutschen Nutzer es für "zwecklos" halten, die Bestimmungen zur Nutzung von Internetdiensten zu lesen. 67 Prozent beziehungsweise 61 Prozent der 14- bis 29-Jährigen halten Whatsapp und Google für "unverzichtbar", weshalb sie auf "okay" klickten. Europa könne schon jetzt mehr tun, sagt der Juraprofessor Boris Pall. Er bezweifelt, dass "die Freiwilligkeit bei einer großen Marktmacht eines Anbieters" noch gegeben sei. Pall ist überzeugt, dass im Falle einer strengeren Auslegung der Datenschutzgrundverordnung "alle Datenverarbeitungen rechtswidrig" wären - mit rückwirkender Geltung. Axel Voss, umstrittener Berichterstatter für die Urheberrechtsreform und EU-Abgeordneter der CDU, fordert von der EU-Kommission: "Gebt uns Gründe, schneller handeln zu müssen."

Natürlich dient die Konferenz dazu, in Brüssel Lobbyarbeit zu betreiben. Aber wie stets bei DLD bringt Steffi Czerny eine bunte Mischung aus Politikern, Investoren, Professoren und Aktivisten zusammen. Das Duo "Heer und Speer", das hinter der Idee des kostenlosen Interrail-Tickets steht, präsentierte einen 10-Punkte-Plan, um die Jugend noch mehr für Europa zu begeistern. Die Britin Christina Colclough kümmert sich für den Gewerkschaftsverband "Uni Global Union" um die Zukunft der Arbeit und diskutiert unter anderem mit Pirate-Bay-Gründer Sunde darüber, ob digitale Plattformen die Demokratie gefährden. Colclough sagt "ja" und fordert das Publikum auf, darüber nachzudenken, ob man seinen Job hätte, wenn ein Algorithmus mitentschieden hätte, wer zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird: "Ich kämpfe dafür, dass jeder das Recht hat, ein Mensch zu bleiben - und nicht zum Verbraucher und Objekt degradiert wird." Sie warnt davor, beim Thema Sozialkredit nur nach China zu schauen: "Das passiert hier in Europa, jeden Tag und seit Jahren."

Der richtige Umgang mit China ist Dauerthema in Brüssel. Michael Clauß, seit einem Jahr Deutschlands EU-Botschafter, schilderte, wie naiv der Blick auf Peking und seinen Ehrgeiz bis vor Kurzem in Brüssel war. Clauß war von 2013 bis 2018 Botschafter in Peking und erinnert daran, wie innovativ chinesische Firmen sein können, die zudem von marktverzerrenden Beihilfen und Protektionismus profitieren. Für Clauß steht fest: Trotz Brexit und anderer Krisen muss die EU Zeit und Energie aufbringen, Antworten auf diese Herausforderungen zu finden, etwa durch eine Stärkung des digitalen Binnenmarkts und mehr Geld für Forschung und Infrastruktur. Man spürt: Die Zeit drängt, nun müssen Taten folgen, in Brüssel wie in Berlin.

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