Wenn man Meldungen rund um das Thema Digitalisierung liest, könnte man meinen, eine unheilvolle und gleichsam unaufhaltsame Naturgewalt breche sich gerade Bahn. "So überstehen Sie den drohenden Datensturm", wirbt etwa der Festplattenhersteller Seagate Technology. Das Industrie-Portal "Industr.com" weiß zu berichten, dass das Internet der Dinge zu einem "Daten-Tsunami" führt. Und das österreichische Portal "Schlaglichter" hat in der Datenschutzgrundverordnung ein "Daten-Tsunami-Monster" erblickt. In gefühlt jedem dritten Bericht über "Big Data" türmen sich "Datenberge". Zwischen den hitzigen Debatten entladen sich "Twitter-Gewitter". Und in den Tälern der Ahnungslosigkeit stauen sich "Datenseen", in deren Flut man zu ertrinken drohe oder wertvolle Daten bergen könne.
Die englische Autorin und Forscherin Sue Thomas schreibt in ihrem lesenswerten Buch "Technobiophilia: Nature and Cyberspace" von 2013, dass der Cyberspace schon immer mit Naturmetaphern und Begrifflichkeiten aus der Biosphäre assoziiert war. Als Beispiele nennt sie den "Bug" (Insekt), (Daten-)Wolken, (Computer-)Maus, Ströme, Schwärme, Viren, Würmer. Dieser Holismus, man möchte fast schon sagen: Animismus, war der Gegenkultur gewissermaßen in die DNA eingeschrieben. Stewart Brand, der Gründer des "Whole Earth Catalog", auf dessen Cover eine Weltkugel prangte und das schon im Titel den ganzheitlichen Ansatz betonte, versuchte die Kybernetik mit organischen Gärten zu versöhnen. Die Informationstheorie modellierte die Welt als ein System aus Kommunikation und Kontrolle. Ein DNA-Strang lässt sich demnach genauso wie ein Personal Computer als Informationssystem beschreiben. Kevin Kelly, der Mitgründer des Technik-Magazins Wired, sagte einmal: "Das Web riecht nach Leben."
Letztlich bedeutet das Sprechen von Datenbergen einen Rückfall in den Mystizismus
Seit den Anfangstagen des Internets, argumentiert Thomas in ihrem Buch, hätte man "ein aus der physischen Natur abgeleitetes Sensorium" entwickelt, mit dem man die Erfahrungen im virtuellen Raum interpretieren würde. Wenn man das Internet als Landschaft darstellen müsste, käme eine Topografie mit Hügeln und Tälern dabei heraus. "Tatsächlich haben einige der ureigenen Geräusche des Internets Naturgefühle in unseren Herzen und Köpfen ausgelöst, wie der größtenteils vergessene Sound des Modems, der elektronische Song, der sich mit jeder Einwahlprozess in die virtuelle Welt ankündigte." So wie die Natur im Wald kann man auch das Grundrauschen des Internets "hören" und mit seinen Sinnesorganen wahrnehmen. Technobiophilie nennt Thomas dieses Phänomen: die "Tendenz, sich auf Lebens- und lebensähnliche Prozesse zu fokussieren, die in der Technologie auftauchen".
Es gibt ja seit Längerem eine Diskussion, ob das Internet einen Bioorganismus darstellt und dereinst ein Bewusstsein entwickeln könnte. Der Mathematiker Nils Aall Barricelli versuchte schon in den Fünfzigerjahren, Evolutionsmodelle auf Computern zu simulieren. Doch es geht viel weniger um die Funktionalität dieses Ökosystems als vielmehr um das Sprechen darüber. Die nebulösen Rhetoriken von "Datenwolken" und "Datenbergen" suggerieren, es handele sich bei dem Phänomen Big Data um eine natürliche Topografie, eine urwüchsige Kraft, die in Gestalt einer gottgegebenen Ordnung daherkommt. Die Allmacht von Big Data wird mystifiziert, der Glaube an Zahlen, mit denen sich das irdische Dasein im Voraus berechnen lässt, trägt quasireligiöse Züge. Dabei ist es ja, um mit Ludwig Feuerbach zu sprechen, der Mensch und kein Automatismus, der diese Datenlandschaften als eine Art Imaginär erschafft.
Gewiss, der Mensch hatte kulturgeschichtlich schon immer eine Tendenz, Dinge zu anthropomorphisieren oder zu naturalisieren. Um das "Neuland" Internet gedanklich zu erschließen, sucht man nach vertrauten Analogien und Bildern. Nun wäre der - angesichts der Naturkatastrophe etwas degoutante - Begriff des "Datentsunami" nicht das erste schiefe Bild der Netzkultur. Doch das Fatale an der Naturmetaphorik ist, dass sie ein Bild von einer "natürlichen", sprich unabänderlichen Entwicklung zeichnet, als sei der Mensch gar nicht mehr die treibende Kraft, sondern der Getriebene, als gehorche die Datenproduktion Naturgesetzlichkeiten. Wenn der Datensturm über die Gesellschaft hereinbricht, dann ist das eben keine menschliche Fehlleistung, sondern die Laune einer datenförmigen Natur, die man schnell als Zeichen einer außerweltlichen Instanz deuten kann. Nach dem Motto: Das war eben der Furor technicus, der diejenigen ereilt, die sich nicht mit entsprechenden Schutzvorkehrungen und Frühwarnsystemen wappnen. Letztlich bedeutet dies einen Rückfall in den Mystizismus.