Digitalisierung:Mensch plus Maschine

Hannah Fry, Professorin am University College in London, erklärt auf angenehem gelassene Weise, was Algorithmen können - und was nicht. Als ihre Assistenten hat sie Darth Vader und Luke Skywalker eingestellt.

Von Eva Weber-Guskar

Im Weltraum wäre man womöglich nicht allzu überrascht, auf Darth Vader und Luke Skywalker aus "Star Wars" zu treffen - in einem Buch einer Mathematikerin über Algorithmen ist man es durchaus. Später folgen Auftritte von Lady Gaga und Kim Kardashian. Auf Zahlen und Formeln hingegen wartet man vergeblich. Hier nimmt jemand die Vermittlungsaufgabe einer besonders abstrakten Wissenschaft an die größere Öffentlichkeit zugleich ernst und mit Humor. Hannah Fry, außerordentliche Professorin am University College London, forscht angewandter, als viele sich das bei Mathematik vorstellen würden. So hat sie etwa herausgefunden, dass "die Wahrscheinlichkeit, dass in einem Haus eingebrochen wird, höher ist, wenn das Haus an einer Straße steht, die ein Einbrecher regelmäßig benutzt". Solche Ergebnisse sind Puzzleteile, die verwendet werden können, um Softwareprogramme für die Kriminalitätsbekämpfung zu entwickeln - sei es, um Anhaltspunkte dafür zu haben, wo als nächstes ein Verbrechen stattfinden könnte oder dafür, nach einem Verbrechen einen Täter ausfindig zu machen.

Software besteht aus Algorithmen und was Algorithmen sind, erklärt Fry zu Anfang von "Hello World" im Plauderton, der schon im Titel anklingt, kurz und knapp: Anleitungen zur schrittweisen Erfüllung von spezifischen Aufgaben. Genauer sind es mathematische Objekte, die mathematische Operationen in Computercodes umwandeln, sodass Daten der realen Welt verarbeitet werden können. Dabei können vier Arten von Aufgaben erfüllt werden: Priorisierung (eine Rangliste anlegen), Klassifizierung (in Gruppen nach Kategorien einteilen), Kombination (Verbindungen finden) und Filterung (Relevantes heraussuchen). Schließlich gibt es, grob gesprochen, zwei Weisen, wie Algorithmen vorgehen: regelbasiert, also fest programmiert, oder selbstlernend, das heißt, sie werden auf Ziele hin trainiert, für die sie den besten Weg selbst finden müssen.

Die zweite Variante von Algorithmen als künstliche Intelligenz zu bezeichnen, hält Fry für irreführend. Angemessener sei es, von revolutionärer Computerstatistik zu sprechen. Diese nüchterne Einstellung passt gut zur gelassenen Haltung dieses Buches gegenüber einem Thema, das derzeit sonst für große Aufregung sorgt. Selbst die Versprechen von autonomen Fahrzeugen sind ihrer Meinung nach auf absehbare Zeit überzogen. Das heißt nicht, dass Fry keine Probleme in der Verwendung von Algorithmen sehen würde, aber diese sind klar umrissen, keine großen Dystopien.

Neue Methoden und Möglichkeiten bringen neue Fragen der Regulierung mit sich, das ist alles. Eine Reihe solcher Fragen veranschaulicht Fry anhand einer Fülle von ausführlichen (meist einschlägig bekannten) Anekdoten aus den Bereichen der Datensammlung, der Justiz, der Medizin, der Automobilität, der Kriminalität und schließlich der Kunst. Aufschlussreich wird es an den Stellen, an denen die eigentlich mathematische Dimension der Problematik herausgearbeitet wird. Hierbei kommen auch Vader und Luke ins Spiel. Mit ihnen veranschaulicht Fry falsch-negative Prognosen (die gravierende schlechte Folgen haben) und falsch-positive (die weniger gravierende Folgen haben) und warum man keine perfekt fairen Prognose-Algorithmen entwickeln kann.

Dies führe etwa zu der bereits vielfach kritisierten Diskriminierung schwarzer Straftäter bei der computergestützten Entscheidung über ihre Freilassung auf Kaution in den USA. Das Programm "PredPol" zur Vorhersage von Verbrechen nennt Fry die Kim Kardashian der Algorithmen und Lady Gaga soll helfen, den Satz von Bayes zu verstehen. (Wie würden Sie vorgehen, wenn Ihr Gegenüber im Restaurant behaupten würde, am Tisch hinter Ihnen säße Lady Gaga? Sie würden all Ihr Wissen über Lady Gaga, dieses Restaurant und andere Weltumstände heranziehen, um zu beziffern, wie wahrscheinlich es ist, dass diese Behauptung zutrifft. Ein vergleichbares Vorgehen biete der Satz von Bayes in mathematischer Form.)

Dünn sind die Analysen da, wo es um normative Bewertungen geht oder bei komplexeren Begriffen des sozialen Zusammenlebens. Personalisierte Werbung, die einen im Internet verfolgt, und ähnliches hält sie für "gruselig", medizinische Daten zu veröffentlichen für "instinktiv" problematisch. Dem Budget-Tool einer Versicherung spricht sie "Macht" über Bezugsberechtigten zu, obwohl seine Anwendung ganz unter der Kontrolle der Versicherungsleute steht.

Doch abschließend zu bewerten oder eindeutige Lösungen vorzuschlagen, ist ohnehin nicht das Anliegen der Autorin. Viele Kapitel enden mit aufrichtigen Fragen. Diese zu beantworten sei eine drängende Aufgabe für uns Menschen, um endlich solche Gesellschaften und soziale Praktiken zu haben, die wir haben wollen. Dafür, so deutet Fry optimistisch an, wäre der richtige Weg in den meisten Fällen nicht die Ersetzung von Menschen durch Maschinen, sondern eine Unterstützung der einen durch die anderen.

Hannah Fry: Hello World. Was Algorithmen können und wie sie unser Leben verändern. Aus dem Englischen von Sigrid Schmid. Verlag C. H. Beck, München 2019. 272 Seiten, 19,95 Euro.

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