Süddeutsche Zeitung

Digitales Leben:Die Getriebenen

Beinahe jeder zweite Arbeitnehmer könnte in der Zukunft von einem Roboter ersetzt werden. Intellektuelle von der amerikanischen Ostküste fragen sich nun: Was wollen wir mit all den digitalen Technologien eigentlich wirklich erreichen?

Von Alexandra Borchardt

Es gibt zwei Amerikas, das gilt in vielerlei Hinsicht. Da sind das reiche und das arme Amerika, das intellektuelle und das einfältige, das weiße und das schwarze, um nur ein paar zu nennen. Neu ist allerdings, dass sich auch in der Debatte um die Zukunft der Arbeit eine Zweiteilung abzeichnet: Es entsteht eine Kluft zwischen West und Ost.

Das Westküsten-Amerika ist das der Silicon-Valley-Milliardäre und ihrer Anhänger, ein Amerika des uramerikanischen Optimismus. Dort herrscht der Glaube, dass Technologie der Schlüssel zur Lösung aller Menschheitsprobleme ist. Die Bay Area hat sich deshalb zum Mekka der modernen Wirtschaftswelt entwickelt. Ihre Protagonisten verkörpern den Traum, dass allein gute Ideen die Welt verändern können.

Im Ostküsten-Amerika hingegen, dem Amerika der Intellektuellen, erheben sich zunehmend die Zweifler - und ihre Botschaft ist wichtig. Denn welche Rolle dem Menschen bleibt in der digitalen Welt, das ist noch lange nicht ausgemacht. Wie wird künstliche Intelligenz Wirtschaft und Alltag dominieren? Welche Arten von Arbeit lässt die Plattform-Ökonomie übrig? Wie beeinflusst die elektronische Kommunikation das menschliche Miteinander? Das sind Fragen, die oft untergehen im Zauber der Begeisterung für diese und jene App.

Umso wichtiger ist es, dass es Konferenzen wie das Global Drucker Forum gibt. Das Treffen von Management-Vordenkern überwiegend aus dem angelsächsischen Raum hat sich dem Erbe des großen Management-Lehrers Peter Drucker verschrieben, eines Ökonomen, dem Menschlichkeit das zentrale Anliegen war. Dort klang es in diesem Jahr deutlich nach Ostküste, denn zweierlei war immer wieder zu hören: Dass der Staat im Umgang mit der digitalen Welt versagt, und dass der Kapitalismus Zügel braucht, um seine Legitimität zu bewahren.

Grund Nummer eins für dieses Unwohlsein, das sich auch in diversen Veröffentlichungen dieses Jahres spiegelt, ist das absehbare Vordringen künstlicher Intelligenz und semiautonomer Roboter, die viele Aufgaben übernehmen werden, für die heute hoch qualifizierte Menschen unverzichtbar sind. Dies werde schleichend geschehen, sagt Thomas Davenport, Professor für Informationstechnologie und Management am Babson College in Boston. Der Anwalt werde einen Roboter statt eines Kollegen als Gegenleser haben, der Arzt ein von Algorithmen gespeistes "zweites Paar Augen". Nachdem Technologie erst Fabrikarbeitern, dann Facharbeitern Arbeit abgenommen hat, sind jetzt Akademiker dran. Sie werden ersetzt durch Maschinen, die weder krank noch unaufmerksam werden, dafür immer präzise sind.

Schon länger gibt es Schätzungen, dass in Amerika 47 Prozent aller Jobs vom Vordringen künstlicher Intelligenz gefährdet sind. Martin Fords technologiekritisches "The Rise of Robots" (2015) wurde gerade von der Financial Times als "Business Book of the Year" ausgezeichnet. Nur Menschen in kreativen Berufen seien schwer zu ersetzen, heißt es allerorten, aber was bedeutet kreativ? Ob Management immer eine menschliche Aktivität sein müsse - da sei er sich nicht so sicher, sagte Davenport, dessen Buch (mit Julia Kirby) "Only Humans Need Apply" 2016 erscheinen wird.

Die Verbreitung der Plattform-Wirtschaft, der Sharing Economy, ist der zweite Grund zur Sorge um die Rolle des Menschen in der Arbeitswelt. Wenn Arbeit nur noch nach Bedarf bestellt wird und Kunde und Produzent ohne die Vermittlung Dritter in Kontakt treten können, gehen nicht nur Jobs in großer Zahl verloren; das feste Arbeitsverhältnis an sich ist obsolet. Schon jetzt sind 40 Prozent der Beschäftigten in Amerika Selbständige, viele davon arbeiten unter prekären Bedingungen. Als "Share-the-Scraps"-Economy bezeichnet sie Berkeley-Professor Robert Reich.

Selbst Verfechterinnen der Sharing Economy - die Gründerin des Mitfahr-Dienstes Zip Car, Robin Chase, und die Oxford-Dozentin Rachel Botsman - äußern sich skeptisch dazu, wie dieses Wirtschaftsmodell auf den Arbeitsmarkt wirkt. Vermutlich werde man ein garantiertes Grundeinkommen für alle brauchen, sagt Chase, Autorin von "Peers Inc.". Und Botsman, die den Begriff "Collaborative Consumption" geprägt hat und jüngst dafür ausgezeichnet wurde, spricht sich für harte staatliche Regulierung aus, damit Sharing-Schwergewichte wie Uber und Airbnb sich nicht zu zerstörerischen Monopolisten entwickeln.

Regulierung ist die eine Möglichkeit, ein genereller Wertewandel die andere. Der irische Philosoph Charles Handy argumentiert, dass der Wohlstand der Mittelschicht gegenwärtiger Generationen für deren Enkel nicht mehr zu erarbeiten sein werde. Man werde teilen und nutzen statt besitzen; eine "Economy of enough", müsse das Lebenskonzept der Zukunft sein. Die Masse wird also "gerade genug" haben, während Effizienz-Erfindungen einige wenige steinreich machen. Kein Wunder, dass sich da Kapitalismuskritik regt: Eine solche Plutokratie der Tech-Eliten entspricht nun doch nicht dem amerikanischen Traum.

Verlernt der Mensch Empathie, werden auch seine Maschinen keine Rücksicht nehmen

Die dritte große Unbekannte ist der Einfluss neuer Technologien auf das Alltagsverhalten. Die MIT-Psychologin Sherry Turkle ("Reclaiming Conversation", 2015) hat reichlich empirische Beweise dafür, dass die ständige Ablenkung durch Smartphones die Fähigkeit zu Gesprächen einschränkt. Das Verständnis für andere und ihre Bedürfnisse sinkt. Genau das aber haben Menschen Maschinen voraus. Verlernt der Mensch Empathie, wird er Maschinen kaum so programmieren können, dass sie mit Rücksicht auf Menschen handeln.

Nachdenklich stimmt, dass die neuen Technologien in ihrer Benutzerfreundlichkeit so überwältigend sind, dass Institutionen sie hinnehmen, statt sie zu prägen. Sie sitze in vier Aufsichtsräten, sagt die Ökonomin Dambisa Moyo, und überall diskutiere man über digitale Technologien nur in dem Zusammenhang, wie man damit die Effizienz steigern könne. Wie sich die Welt damit gestalten ließe, sei praktisch nie Thema. Wer also ist Herr im digitalen Haus?

Die demokratischen Institutionen sind es jedenfalls bislang nicht, wenn man von den Gerichten absieht, die - auf Initiative individueller Kläger - gerade dabei sind, ein paar Pflöcke einzuschlagen gegen Ausbeutung und Regelbruch in der digitalen Wirtschaftswelt. "In Wirklichkeit geht es nicht um einen Bruch durch die Technologie. Es geht um eine Verschiebung von Vertrauen", formuliert es Botsman. Dieses Vertrauen verlagert sich weg von Institutionen hin zum Einzelnen. Aber sind Individuen stark genug, mächtigen Wirtschaftsinteressen Paroli zu bieten? Wohl kaum.

Die neuen Technologien, speziell die Möglichkeiten von Smartphones, erzeugen nur eine Illusion von Autonomie; der Einzelne fühlt sich mächtig, obwohl er eigentlich getrieben ist. Institutionen, die Interessen bündeln, Werte und Standards durchsetzen, werden in einer vernetzten Welt mit ihren vernetzten Problemen nötiger gebraucht denn je.

Risikoabschätzung gehört zu jeder technologischen Entwicklung dazu. Hätte die Atomwirtschaft zum Beispiel einst gleich alle potenziellen Gefahren und Entsorgungsprobleme mitbedacht, sähe die Energieversorgung heute womöglich ganz anders aus. Technologie lässt sich auch politisch gestalten. Es muss nur jemand wollen.

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Quelle:
SZ vom 04.12.2015
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