Projekt "Libra":Facebooks Weltwährung wird eine Revolution

Kryptowährungen

Die digitale Währung Libra ist kein Zukunftsirrsinn. Bargeld ist weltweit, außer im Westen, nur noch ein Relikt aus der Vergangenheit.

(Foto: action press)

Es geht um Geldmacht, Überwachung und ein Quasi-Monopol: Das von Facebook geführte Projekt der Digitalwährung Libra verspricht Freiheit vom Bankensystem. Aber sollte man diesen historischen Moment Mark Zuckerberg überlassen?

Gastbeitrag von Sarah Spiekermann

Mit 20 Partnern hat Facebook die digitale Weltwährung "Libra" angekündigt. Wenn man das Konsortium so gewähren lässt, wie das bisher mit allen Digitalservices der Fall war, wird es sich um die disruptivste Innovation unseres Jahrzehnts handeln. Libra steht wahrscheinlich auf solideren Füßen als unser gegenwärtiges Geldsystem, ist einfach nutzbar und für 1,5 Milliarden Whatsapp-Nutzer sofort verfügbar. 75 Prozent aller Geschäfte weltweit akzeptieren heute Visa oder Mastercard, die Libra mit ihren 1,5 Millionen Kunden ebenso unterstützen. Mit einem Schlag kann das Konsortium alle nur denkbaren Netzwerkeffekte im digitalen Zahlungsbereich ausschöpfen. Damit ist Libra unmittelbar und überall präsent. Eine globale ökonomische Revolution.

Wer glaubt, dass nach der Einführung von Libra ein e-Euro oder irgendeine andere Kryptowährung von Bedeutung sein kann, der täuscht sich gewaltig. Die Digitalökonomie folgt der Regel "The winner takes it all". Wer die Netzwerkeffekte auf seiner Seite hat, schafft ein Quasi-Monopol. Facebook ist außerdem ein Meister nutzerfreundlicher Interfaces. Gleich mehrere Libra-Partner beherrschen die hier notwendige Massendatenverarbeitung. Es gibt hinreichend Erfahrung mit digitalen Währungen wie Bitcoin und der Nutzung von Blockchains und Messengerdiensten zur Geldübertragung. Erfahrung, Technologiekompetenz, weltweite Nutzerbasis, Lobby- und Kapitalmacht machen das Libra-Konsortium also außergewöhnlich stark. Ganz zu schweigen vom Binnenmarkt, der hier geschaffen wird, mit Verkehr, Musik und Kommunikation. Es fehlen lediglich große Lebensmittelkonzerne und Einzelhändler. Oder gleich Amazon.

Im Gegensatz zu Banken will Libra kein Geld in spekulative Geschäfte stecken

Hinzu kommt die Macht des Moments. Schaut man sich die schön gemalten Geldscheine an, erscheinen sie einem wie ein Relikt der Vergangenheit. In Staaten wie China und Indien, aber auch vielen Drittweltländern, zahlt man schon längst bargeldlos. Nur in den Industrienationen der westlichen Welt hinkt man hinterher. Die Zeit ist also reif. Wird Libra erst einmal in den digitalen Wallets der Bürger gelandet sein, wird keine Regierung Europas den eigenen Bürgern und Bürgerinnen mehr erklären können, warum es verboten werden sollte.

Wenn die europäischen Regierungen also nicht innerhalb der nächsten sechs Monate die Libra Association vor harte Servicebedingungen stellen, werden sie zusehen müssen, wie die Geldmacht aus Europa schwindet, genauso wie sich das mit der Medienmacht schon vollzogen hat. Oder wie es der Blogger Daniel Jeffries schreibt: Libra ist ein "Extinction level event", ein Moment des Aussterbens.

Libra ist ein symbolischer Name. "Libra" ist das englische Wort für das Sternzeichen der Waage, steht also für die Gerechtigkeit. Und die Wortwurzel "lib" (ebenso in "liberty" oder "liberté") erweckt den Eindruck, dass es hier auch um Freiheit geht. Libra verspricht die Freiheit vom bestehenden Bankensystem und die Wiederherstellung der Gerechtigkeit zwischen denjenigen Bürgern, die redlich ihr Geld verdienen und Geldeliten, die an entkoppelten Finanzmärkten virtuelles Geld machen. Libra hat also ein positives Potenzial, was Regierungen sich anschauen sollten.

Libra ist also inflationsfrei konzipiert

Das bestehende Bankensystem ist spätestens seit der Finanzkrise in 2008 ein Damoklesschwert. Die Reserven des IWF, die als eine Art globale Rücklage analog zum früheren Gold gehalten werden, haben sich seitdem fast verzehnfacht. Ebenso haben die Zentralbanken rund 10 Billionen Euro in den Markt gepumpt; von der Erweiterung der US-Dollar-Geldmenge ganz zu schweigen. Libra sorgt an genau dieser Stelle vor. Die Geldmenge kann nicht beliebig erweitert, Geld bildlich gesprochen nicht "gedruckt" werden, weil immer nur so viel Libra im Umlauf sein soll, wie Menschen die neue Währung kaufen, halten und nutzen. Libra ist also prinzipiell inflationsfrei konzipiert.

Libra hat darüber hinaus Reserven eingeplant, die versprechen, was das Wort "Reserve" heißen sollte. Im Gegensatz zu Banken, will Libra davon absehen, das Geld der Kunden in spekulative Geschäfte zu stecken. Ganz im Gegenteil will man die nationalen Währungen, die Bürger gegen Libra eintauschen, in Bankdepots halten, in relativ sichere Währungen eintauschen oder in relativ sichere Staatsanleihen investieren. Das Halten des eigenen Geldes in Libra wäre also nicht nur gut, um damit effizient und global zu zahlen, sondern auch, um damit zu sparen. Zwar bietet die Association keine Zinsen auf Libra an, aber das stört den heutigen Kleinsparer nicht, denn Zinsen gibt es sowieso nirgendwo.

Libra wäre also ein System, das mit einigen Schwächen des gegenwärtigen Geldsystems aufräumt. Und dies scheint auch Libras Programm zu sein. Bisher ist keine einzige Bank unter den Gründungspartnern, obwohl es doch mehr als naheliegen würde, diese zu integrieren, wenn man eine neue Währung einführt.

Die versammelten Firmen haben keine Angst vor dem Gesetzgeber

Schließlich sei noch die technische Infrastruktur hervorgehoben, die sich so manche ältere Bank wünschen würde. Mit Hilfe einer eigenen Programmiersprache und einem eigenen "Smart Contract"-System versucht Libra bestehende Sicherheitsrisiken zu minimieren und verspricht mit einem Post-Blockchainverfahren, energieeffizient zu arbeiten.

Zusammengefasst stellt sich die Frage, ob man das vielleicht modernste und technisch vielversprechendste, global skalierbarste Währungssystem abwürgen will, das noch dazu von seinem ökonomischen Design her eine Chance sein könnte, Stück für Stück aus einem labilen Bankwesen zu migrieren? Doch auch wenn das gegenwärtige Bankensystem nicht die gewünschte Stabilität garantiert, ist fraglich, ob man es gerade mit der Libra Association langfristig ersetzen will. Will man den Teufel mit dem Beelzebub austreiben? Mark Zuckerberg ist das Gesicht der Libra Association und die Beschreibung als "Beelzebub" scheint naheliegend. "Beelzebub" steht für "Anführer der Dämonen". Und wenn man sich die "Shitstorms" in den sozialen Medien vor Augen hält, die Fake News, die Manipulation und den Neid, der dort grassiert, dann fragt man sich, ob ausgerechnet er ein vertrauenswürdiges Währungssystem in die Welt bringen kann. Auch sollten Regierungen die wenig wünschenswerten Geschäftspraktiken der Akteure verstehen, die hier aktiv werden wollen.

Zu diesen gehört erstens, dass zumindest Facebook, Mastercard und Uber Spieler im sogenannten "Überwachungskapitalismus" sind. Sie machen ihr Geld damit, dass sie das Wissen über ihre Kunden analysieren und weiterverkaufen. Zwar gibt es ein offizielles Versprechen der Libra Association, dass man die Kunden der Währung nicht ausspionieren möchte. Problem ist nur, dass die Unternehmen hier kein Kundenvertrauen genießen.

Zweitens sind einige Libra-Partner bekannt dafür, dass sie nicht nur Versprechen brechen und rechtsignorant agieren, sondern außerdem noch unverschämt sind. Man denke etwa an die sogenannte "Greyballing"-Praxis von Uber. In Ländern, in denen die Fahrerplattform verboten ist, berechnet die App, ob es ein Polizist ist, der versucht, sich ein Fahrzeug zu bestellen, und zeigt diesem dann kein Angebot an. So nutzt das Unternehmen die eigene Technik, um Beamte im wahrsten Sinne des Wortes zu "verarschen".

Libra könnte eine Währung werden, die eng an die Realwirtschaft gekoppelt ist

Solches Verhalten zeigt, dass einige der hier versammelten Firmen keine Angst vor dem Gesetzgeber haben. Und wen wundert das? Allein Mark Zuckerberg hat ein privates Vermögen von derzeit 64 Milliarden Euro. Nimmt man die Marktkapitalisierung aller Libra Akteure zusammen, werden diese finanzielle Sanktionen kaum fürchten, selbst wenn es um Milliarden geht. Regierungen sollten also von vornherein mit Freiheitsentzug drohen und internationale Strafverfolgungsabkommen schließen, um den individuellen Akteuren der Libra Association von vornherein klar zu machen, dass demokratisch legitimierte Nationalstaaten und deren Rechtssysteme auch in 2019 noch eine Rolle spielen.

Die dritte Herausforderung, die die Libra Akteure mit sich bringen, ist die Mentalität, die sich im Namen eines Partners ausdrückt, dem "Creative Destruction Lab". So ein Credo widerspricht jedweder ökonomischer Vernunft, wie sie Joseph Schumpeter mal formulierte. Es ist erschreckend, mit welcher Zielstrebigkeit Unternehmen der Digitalökonomie bereit sind, bestehende Unternehmensprozesse oder Wertschöpfungsketten "kreativ" zu zerstören, wenn man so Geld machen kann. Kostenersparnis, Effizienz und Geldvorteile sind jedoch nur drei niedere Werte, auf deren Basis Europa heute nicht das wäre, was es ist, und um das es zu kämpfen gilt: Ein Ort der Vielfalt, des Wissens, der Sozialgerechtigkeit und der Verbindlichkeit. All diese Werte sind der kreativen Zerstörungsmanie der Digitalökonomie fremd. Und wenn die Libra Plattform diese Mentalität des "move fast, break things", ungezügelt mitten in unserem Geldsystem ausleben darf, droht Gefahr.

Wie sollten die europäischen Regierungen mit der Libra Association daher umgehen? Der Finanzausschuss des US-amerikanischen Unterhauses hat Facebook bereits schriftlich aufgefordert, die Entwicklungen der Plattform auszusetzen, bis Risiken geklärt sind. Wie zu erwarten war, ignoriert das Konsortium die Aufforderung und "schreitet voran". Es ist aber bereit, die Fragen der Politiker zu beantworten und mit ihnen zu kooperieren. Es gilt wie immer: "move fast" und stelle die Regierungen vor vollendete Tatsachen.

Libra sollte auch in Apps wie Threema funktionieren

Für die USA wäre die Verarbeitung der digitalen Weltwährung in US-amerikanischen Datenzentren allerdings ein großer Machtvorteil. Genau diesen Datenverarbeitungsstandort könnten jedoch die europäischen Regierungen mit Libra aushandeln. Wer in einem Land einem Bürger ein digitales Portemonnaie oder Libra-basierten Bezahlservice anbieten will, muss die gesamte Datenverarbeitung in dem Land organisieren, in dem dieser gemeldet ist. Im Joint Venture mit europäischen Unternehmen. Telekomanbieter könnten sich unter nationalstaatlicher Aufsicht ein neues Geschäftsfeld aufbauen. Big-Data-Verarbeitungs-Know-how würde in Europa gestärkt. Innovation könnte gefördert werden, wenn gesetzlich zementiert wird, was Libra verspricht: dass die Plattform offen sein soll für Services, die nicht nur aus dem Konsortium stammen.

Ein erster Kandidat, dieses Versprechen einzulösen, ist die "Datenportabilität", hier "Geldportabilität". Wenn ein Bürger zum Beispiel lieber den anonymen Messenger Threema benutzen will, um mit Libra die Putzfrau zu bezahlen, dann sollte ein Knopfdruck genügen, um Libra Coins in Threema hochzuladen statt in Whatsapp. Die nahtlos funktionierende "Portabilität" des Geldes sollte einwandfrei funktionieren. Schließlich haben Bürger heute ja auch die Möglichkeit, sich jederzeit ein neues Portemonnaie zuzulegen.

Das heißt nicht, dass die Libra Plattform zu offen sein sollte. Strenge, transparente Zulassungs- und Zertifizierungsverfahren müssen die Voraussetzung für jede App sein, die Libra Coins integriert. Das Beispiel zeigt auch, dass das Thema Schwarzgeld offen reflektiert werden muss. Die neue Währung sollte Regierungen nicht dazu verlocken, endlich das Schwarzgeld abzuschaffen. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung, die dadurch entstehen könnte, wäre wahrscheinlich massiver als die der Gelbwesten. Bis solche Fragen geklärt sind, sollten Libra-Dienste ganz sicher verboten sein.

Zeit brauchen europäische Regierungen auch, um die Regelung der Libra Geldmenge und die Libra Governance-Struktur zu durchdenken. Libra könnte eine Währung werden, die eng an die Realwirtschaft gekoppelt ist. Dürften nur Privatpersonen Libra eintauschen und jeder monatlich nur so viel, wie durchschnittlich im jeweiligen Land verdient wird, dann wäre Libra wahrscheinlich weniger anfällig für Spekulation als das bestehende Geldsystem. Ferner muss Libra in eine demokratisch legitimierte Governance-Struktur eingebettet werden. Im sogenannten "Council" der Libra Association (deren oberstem Entscheidungsgremium) sollten Personen sitzen, die nur im Turnus über das Geld regieren und die ganz sicher weder mit dem Teufel noch mit dem Beelzebub assoziiert werden können. Über so eine Struktur, ebenso wie über Mechanismen der nationalen Mitbestimmung muss nachgedacht werden. Um solche positiven Potenziale zu durchdenken, gilt jedoch, was uns die Digitalökonomie seit Langem vormacht: "Move fast". Seid schnell. Auf alle Fälle aber sollte der gesunde Menschenverstand vermitteln: "Fear to break things." Habt Angst vor der Zerstörung, egal, ob kreativ oder nicht.

Die Autorin ist Professorin für Wirtschaftsinformatik an der Wirtschaftsuniversität Wien. Zuletzt erschien von ihr "Digitale Ethik - Ein Wertesystem für das 21. Jahrhundert" (Droemer, 2019).

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