Digitale Kunst:Demokratie zum Anklicken

Digitale Kunst: Ralf Nemetschek (Mi.) und Programmleiterin Silke Zimmermann gaben den Anstoß für ein Computerspiel, das sie mit Clemens Hochreiter (r.) entwickelten.

Ralf Nemetschek (Mi.) und Programmleiterin Silke Zimmermann gaben den Anstoß für ein Computerspiel, das sie mit Clemens Hochreiter (r.) entwickelten.

(Foto: Robert Haas)

Das Game "Utopolis - Der Aufbruch der Tiere" für Handy und Tablet hat kürzlich den Deutschen Computerspielpreis erhalten. Der Mäzen Ralf Nemetschek im Porträt

Von Barbara Hordych

Früher war der promovierte Physiker Ralf Nemetschek Projektmanager bei einem Energietechnik-Unternehmen und entwickelte Kabel, die möglichst verlustfrei Strom transportieren. Vor sieben Jahren wechselte er jedoch sein Standbein - und fungiert seitdem als Vorstand einer überparteilichen Stiftung für politische Bildung, die den Namen seiner Familie trägt. Deren zentrale Aufgabe sei es, "demokratische Prozesse sichtbar zu machen und die Menschen zur Beteiligung zu ermutigen", sagt der 50-Jährige.

Der jüngste Coup der Stiftung, die bereits mit den Kammerspielen, der Staatsoper und den Landeszentralen für politische Bildung Projekte entwickelte, um über die Werte demokratischer Kultur auf unkonventionelle Art nachzudenken, ist "Utopolis - Der Aufbruch der Tiere": Dieses Game für Handy und Tablet hat kürzlich den Deutschen Computerspielpreis erhalten. Es nutze die hohe Affinität von Jugendlichen zu digitalen Medien, sei für den Einsatz an Schulen geeignet und ermögliche den Spielern die Erfahrung der "Selbstwirksamkeit", sagt Nemetschek. "Was ich tue, setzt Prozesse in Gang, die für mich als Spieler direkt sichtbar werden". Die jeweilige Gruppe habe die Freiheit, verschiedene Gesellschaftsstrukturen durchzuspielen. Da gebe es die Gruppen, in denen jeder für sich arbeite, aber auch jene, die lieber als Kollektiv vorgehen. "Dabei haben wir bewusst auf den didaktischen Zeigefinger verzichtet. Wer sich also selbst zum Diktator ernennen lassen möchte, kann das gerne versuchen". Auch diese Erfahrung trage letztlich zur Klärung der Frage bei, "wie wir leben wollen". Um diese Schwerpunktverlagerung in seiner Biografie zu verstehen, muss man in die Vergangenheit der Familie Nemetschek zurückkehren. "Die kommt ursprünglich aus der Tschechoslowakei", sagt Ralf Nemetschek bei einem Treffen im Nemetschek-Haus in Riem. Dort habe sie alle politischen Umbrüche "voll mitbekommen", 1938 die Abtretung des Sudetenlandes an Deutschland, dann die nationalsozialistische Diktatur, später die Vertreibung. So sei seine Großmutter mit den drei Kindern nach Reichertsheim im oberbayerischen Landkreis Mühldorf gelangt. "Das hat mein Vater Georg, der damals ein zehnjähriger Junge war, immer als großes Glück empfunden, denn ein Teil der Familie blieb in der Tschechoslowakei zurück, hat dort das sozialistische System erlebt und darunter gelitten." Die Verbundenheit der Flüchtlinge mit der Bauernfamilie, auf deren Hof sie unterkamen und arbeiteten, ist bis heute geblieben. "Mein Vater war vor einigen Wochen zur Hochzeit der Enkelin der Bäuerin eingeladen. Umgekehrt waren die Bauern aus Reichertsheim natürlich mit dabei, als er seinen 70. Geburtstag feierte", sagt Ralf Nemetschek.

Aus dem 1963 vom Vater gegründeten Ingenieurbüro für Bauwesen entstand die Nemetschek AG, von 1971 bis 1996 lehrte Georg Nemetschek als Professor an der Hochschule München und war Dekan des Fachbereichs Bauingenieurwesen/Stahlbau. Schon seit den späten Sechzigerjahren setzte der Firmengründer auf Software und sagte den technologischen Wandel der Branche vorher - eine Hellsichtigkeit, deretwegen er 2014 auch in die "Hall of Fame der IT" der Zeitschrift Computerwoche aufgenommen wurde.

Eine visionäre Kraft, die ihn 2007 dazu motivierte, mit seiner Frau Ingrid und den beiden Söhnen Ralf und Alexander die Nemetschek Stiftung zu gründen, in der Ralf als Geschäftsführer fungiert. Die zu Grunde liegende Idee sei, auf unkonventionellen Wegen der freiheitlichen Gesellschaft, die das Leben der Familie geprägt und ihnen den unternehmerischen Erfolg ermöglicht habe, "etwas zurückzugeben und das Familienvermögen verantwortlich einzusetzen", sagt Ralf Nemetschek. Er habe sich die Entscheidung, "mich nach zehn Jahren aus meiner Firma zurückzuziehen und der Stiftung zu widmen", gründlich überlegt. Er hätte auch Respekt vor der Aufgabe gehabt: "Ich stand ja praktisch vor einem weißen Blatt Papier. Denn konkrete Projekte wie Utopolis gab es damals noch nicht", sagt er.

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