Süddeutsche Zeitung

Digitale Debatte:Die Ohnmacht der Aufklärung

Bei der Transmediale in Berlin wurde die Angst vor der digitalen Gegenwart diskutiert. Voller Angst.

Von Jens-Christian Rabe

Es war natürlich eine besonders ironische Pointe, dass während der diesjährigen Berliner Transmediale-Konferenz gemeldet wurde: Nicht mehr Apple, sondern der Google-Mutterkonzern Alphabet mit einem Börsenwert von 570 Milliarden Dollar ist das wertvollste Unternehmen der Welt. Google verkörpert mit seinem informationellen Allmachtanspruch im Grunde alles, wogegen die Transmediale gerichtet ist. Dem Team um den Leiter Kristoffer Gansing gelingt es seit Jahren, höchst eindrucksvolle - obwohl, oder gerade weil sie meist nicht schon weltbekannt sind - Intellektuelle, Philosophen, Künstler, Soziologen, Medienwissenschaftler, Hacker, Informatiker, Historiker und Digital-Aktivisten aus aller Welt zu versammeln, um über die Gegenwart und Zukunft des digitalen Zeitalters nachzudenken.

Wobei es mit der Euphorie, die diese Sätze womöglich ausstrahlen, hier auch schon gleich wieder vorbei sein soll. Denn eine geglückte Konferenz zum Thema kann einen unter den herrschenden Zuständen im Internet und dem Rest der Welt unmöglich euphorisiert zurücklassen. Schon gar nicht diese Ausgabe der Transmediale, die schon im Titel mit allem Technikoptimismus aufräumte, der die netzaffine Linke noch bis vor gar nicht so langer Zeit beseelte: "conversationpiece - Anxious to Act, Anxious to Make, Anxious to Share, Anxious to Secure". Ein großes Gespräch über die Angst sollte es also werden, die Angst, sich überhaupt noch zu rühren angesichts weitreichender digitaler Überwachung, Server-Zentralisierung und Kontrolle, sowie der unaufhaltsamen Kapitalisierung und - siehe Google und Facebook - Monopolisierung noch der letzten individuellen Netzbewegungen, und seien sie ursprünglich auch noch so gut gemeint gewesen.

Die fragwürdigen Praktiken der Geheimdienste sind nicht abgeschafft worden

Das Unbehagen sitzt einem nach dieser Transmediale auch wirklich noch tiefer im Nacken als ohnehin schon. Mehr als einmal hörte man bei den Diskussionen den bedrückenden Satz: "Wir haben den Kampf verloren." Den Kampf, das Netz offen, neutral und frei zu halten. Und so standen Projekte, Idee und Gedanken im Mittelpunkt, die versuchten, ein paar alte Siege und Errungenschaften der digitalen Revolution zu bewahren und sichtbar zu halten.

Es ging ausführlich um den Aufbau des Snowden-Archivs oder die Dokumentation der digitalen Spuren der ägyptischen Revolution 2011, für deren Beginn die sozialen Medien eine entscheidende Rolle spielten. Und der in der Schweiz lehrende Philosophie-Professor und Kartograf Brian Holmes stellte sein Projekt "Petropolis" vor, für das er ein Programm entwickelt hat mit allen verfügbaren Karten, Satellitenbildern und Informationen, um eine umfassende digitale Übersicht für jedermann zu ermöglichen über die Öl-Infrastruktur des Planeten - damit wir endlich nicht einfach nur Angst haben, so Holmes, sondern auch wissen, wovor wir noch mehr Angst haben sollten.

Den auf den ersten Blick verborgenen, mächtigen und oft längst überstaatlichen Infrastrukturen und Systemen der Welt widmeten sich in grandiosen Vorträgen auch die in Yale lehrende Architektur-Professorin Keller Easterling oder der britische Künstler James Bridle, der zeigte, wie er mit Tracking-Programmen die Abschiebungspraxis der englischen Behörden erforschte und dokumentierte.

Der Star dessen, was man vielleicht digitale Aufklärung nennen könnte, ist allerdings ohne Zweifel der in London unterrichtende israelische Architekt und Autor Eyal Weizman. Am Beispiel der Rekonstruktion des Mordes des 17-jährigen Palästinensers Nadeem Kawara im Mai 2014 zeigte Weizman eindrucksvoll, was er mit seinem Konzept der "Forensic Architecture" meint, also der Überzeugung, dass man heute Informationen wie Architektur aus allen verfügbaren analogen und digitalen Quellen konstruieren muss. Einen Zweifel daran, dass die Analyse-Werkzeuge, die dafür nötig sind, immer auch der Repression dienen können, ließ er freilich nicht.

Bittere Pointe der Konferenz: Der Widerständler will vom Gespräch nichts mehr wissen

Aber was kann außer skrupulöser Aufklärung getan werden? An dieser neuralgischen Stelle des Diskurses wurden die Gespräche noch einsilbiger als in den beiden Jahren zuvor. Schon die Transmediale 2014 war ja eine Transmediale nach Snowden, nachdem also das gigantische Ausmaß der weltweiten Überwachung durch den amerikanischen Geheimdienst NSA bekannt geworden war.

Am weitesten aus der Deckung wagte sich am Samstag der französische Philosoph Geoffroy de Lagasnerie, der Snowdens Enthüllungen als historisch beispiellose Form des Protests feierte und Whistleblower wie Edward Snowden, Chelsea Manning oder Julian Assange als Musterbeispiele für eine zeitgemäße Repolitisierung. Da war Erleichterung zu spüren im fast vollbesetzten Auditorium des Hauses der Kulturen der Welt. Aber nur, bis es jedem im Saal dämmerte, dass de Lagasneries Perspektive vielleicht doch ein wenig zu historisch angelegt war - und die Lebensumstände der drei nach wie vor prekär bis aussichtslos sind. Und was hat sich seither eigentlich wesentlich zum Besseren verändert im Verhältnis zwischen Bürger und Staat im Westen?

Nicht zuletzt unter dem Druck des Terrors, so James Bridle, seien die fragwürdigen Praktiken der Geheimdienste von der Politik seither nicht abgeschafft worden. Im Gegenteil: Man habe sie weitgehend legalisiert. Ganz abgesehen davon, dass der Weg Snowdens ja ohnehin nur einer winzigen Minderheit offen stehe. Wer hat schon Zugang zu so geheimen Informationen, insbesondere heute, nach dem Skandal?

Die allgemeine Ohnmacht gegenüber den Mächten und den Mächtigen als Signum der Zeit lag da schmerzhaft offen da. Der Glaube an eine selbstverständliche Verbindung zwischen Aufklärung, Kritik und Freiheit scheint endgültig Geschichte zu sein. Und das Gefühl einer bis ins Allerprivateste reichenden Entmachtung längst nicht mehr nur ein notorisch alarmistisches Schreckgespenst der Linken und Linksliberalen. Es ist vielmehr ein spektakulär unspektakuläres Mainstream-Gefühl geworden. Was ein demokratischer Ernstfall ganz neuer Art ist.

Übrig bleibt vorerst der kalte Trotz Eyal Weizmans. Nach seinem so klugen wie nüchternen Vortrag war er vom Moderator hoffnungsfroh gefragt worden, was er sich denn nach dieser herben Kritik von der israelischen Armee erwarte. Worauf er antwortete: "Wir wollen die israelische Armee nicht kritisieren. Wir wollen Widerstand leisten."

Man darf sich Weizman dabei aber nicht als zornigen Aktivisten vorstellen. Es klang eher maximal lapidar, obwohl es nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem Leitgedanken der Konferenz natürlich die denkbar bitterste Pointe war. Denn wenn der Widerständler von einer Sache erst einmal nichts mehr wissen will, dann vom Gespräch.

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Quelle:
SZ vom 08.02.2016
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