Diesel-Fahrverbote:Ausgeschlossen von der Urbanität

Diesel-Fahrverbote möglich

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat entschieden: Diesel-Fahrverbote sind erlaubt.

(Foto: dpa)

Die Debatte um Dieseldunst und Fahrverbote verkennt: Die Stadt gehört der Öffentlichkeit. Der Zugang zu ihren Ressourcen muss uneingeschränkt gelten.

Kommentar von Gerhard Matzig

An diesem Dienstag wollen Millionen Autofahrer (aber auch - und das wird gern vergessen: Millionen von betroffenen Stadtbewohnern) endlich das zuvor vertagte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig über mögliche Diesel-Fahrverbote in deutschen Städten hören. Das Pro und Contra, die Verantwortlichkeiten der Verkehrspolitik, die insofern eher einer Verkehrt-Politik gleicht, die Verantwortungslosigkeit der Autoindustrie, die technischen Möglichkeiten, finanziellen Konsequenzen, rechtlichen Unwägbarkeiten und medizinischen Erkenntnisse: All das wird im Dunstkreis der elend toxischen Abgase seit Langem diskutiert. Ja, inhaliert.

Nie mehr wird man daher einen Auspuff in den Blick nehmen können, ohne dabei das Gefühl zu haben, einer womöglich tödlichen Waffe direkt in den Lauf zu blicken. Wobei die einen so einen zugespitzten Vergleich eher lächerlich finden können - während die anderen das noch als Verharmlosung empfinden mögen. Kaum eine andere Debatte hierzulande ist derzeit ähnlich emotionalisiert wie die um ein drohendes oder, je nach Perspektive, endlich gebotenes Fahrverbot. Zu kurz gekommen ist in diesem heftigen, seit Mitte der Neunzigerjahren ungeklärten Streit um Mobilität, Ökonomie und Ökologie aber die Stadt selbst. Dabei ist ihr Terrain das, was letztlich zur Debatte steht. Eine Frage, die nun auch in Leipzig beantwortet werden muss, ist daher: Wem gehört eigentlich die Stadt? Und wer entscheidet darüber?

Natürlich wäre es wünschenswert, alle, die in die Stadt hineinwollen, würden das zu Fuß tun

In diesem Zusammenhang bietet die Baugeschichte ein bekanntes Stadtmodell als Lösung an, das gleichzeitig - doch ist das weniger bekannt - auch ein Gesellschaftsmodell ist. Es stammt von dem US-amerikanischen Architekten, Forscher und Philosophen Richard Buckminster Fuller. Bucky, wie er genannt wurde, entwarf in den Sechzigerjahren eine Glaskuppel als titanisches Gewölbe über halb Manhattan. Diese "geodätische Kuppel", aufgebaut aus einer Substruktur statisch stabiler Glas-Dreiecke, sollte vor allem der schon damals bekannten Luftverschmutzung abhelfen. Die Kuppel wäre demnach ein Schutzwall gegen feindliche Immissionen, wie er auch jetzt wieder in Form von Fahrverboten oder entsprechenden Zugangsmechanismen verhandelt wird. Aber die Kuppel barg auch einen Versammlungsort der Demokratie. Über die Stadt als Modell politischer und ökonomischer Teilhabe hatte Fuller intensiv nachgedacht.

Wenn nun das Fahrverbot für bestimmte Auto-Typen (und insofern auch für bestimmte Menschen) käme, wäre die eine Bedeutung des Kuppel-Ideals zunichte, nämlich die ungehinderte Teilhabe aller Individuen in einer Gesellschaft am Ort ihrer Raumwerdung. Kommt das Verbot aber nicht, so wäre die Idee von der Stadt als Schutzraum der Gemeinschaft betroffen. Schon an dieser Ausweglosigkeit ist zu erkennen, dass die Richter in Leipzig derzeit nur zwischen zwei Übeln entscheiden können. Das ist erstens ein Ausweis der Hilflosigkeit in der Sphäre des Politischen - und zweitens ein Hinweis auf eine Industrie, die offensichtlich nicht das Wohl, sondern das Wehe der Bevölkerung befördert.

Schon Aristoteles konzipierte die Idealstadt der Antike so, dass vor allem auch die räumliche Teilhabe am Stadtleben gewährleistet ist. Das ist ein hohes Gut. Auch im Mittelalter ("Stadtluft macht frei") war die Urbs ein Garant der Emanzipation. In der Aufklärung schließlich wurde die Stadt zum Träger geistig-kultureller Entwicklung, um in der Neuzeit zum treibenden Motor von Integration und zur Jobmaschine der postindustriellen Ära zu werden.

Die Stadt, nach einer Sentenz des US-amerikanischen Soziologen Lewis Mumford, ist neben der Schrift die bedeutendste Erfindung der Zivilisation, ist der räumliche Abdruck des politischen Gemeinwesens. Fahrverbote, die nur bestimmte Teile der Gesellschaft beträfen, würden sich daher naturgemäß selektiv auswirken: als Machtinstrument. Der Zugang zur Stadt - in Zeiten weltweiter Verstädterung gleichbedeutend mit dem Zugang zu Ressourcen - wäre noch mehr als bisher beschränkt.

Natürlich wäre es wünschenswert, alle, die in die Stadt hineinwollen, würden das zu Fuß tun (der flanierende Dandy mit einer Schildkröte an der Leine ist ja leider ausgestorben), per Fahrrad erledigen (das Biken nimmt auch als Distinktionsmöglichkeit, aber davon auch unabhängig richtigerweise zu) oder mithilfe des öffentlichen Nahverkehrs. Der könnte dann sogar gratis sein in einer utopischen Zukunft, die zudem von der ökologisch nach Möglichkeit korrekten E-Mobilität weiß. Doch bis dahin wird es auch Menschen geben, ausgerüstet mit mittlerweile falschen, weil dieselig vor sich hinpestenden Autos, die sie im guten Glauben (gerne an deutsche Ingenieurskunst) als funktionale Autos gekauft haben, also nicht als dysfunktionale Massenvernichtungswaffen - und die sie nun nicht so einfach entsorgen oder ersetzen können. Und vielleicht bietet sich in der jeweiligen Lebenssituation der Umstieg auf die Füße, das Bike oder den Bus auch nicht wirklich an. Was ist mit Leuten, die man sich weder als finanzielle Elite noch als Öko-Ignoranten vorstellen muss? Sollen die vor einem "Wir müssen draußen bleiben"-Schild der Urbanität stehen?

Schon jetzt machen Wohnungsbaupolitik und Handel aus der Stadt einen Exklusions-Ort für jene, die sich das leisten können. Die Verkehrspolitik darf nicht zum weiteren Motor der Gentrifizierung werden. Die Stadt gehört der Öffentlichkeit. Der Zugang gilt uneingeschränkt. Für reine Luft und Unversehrtheit, die selbstverständlich zu einer idealen Stadt gehören, muss zahlen, wer das Desaster verantwortet: die Industrie.

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