Die Zukunft des Kinos:Welterfinder gesucht

spider-man 2 größer

Hollywoods Spektakel sind so durchgeplant wie noch nie zuvor. Wer sich dagegenstemmt, wirkt wie dieser kleine Junge aus "Spider-Man 2".

(Foto: Sony)

Hollywoods Superhelden- und Sequel-Plan steht bis 2020 fest. Weiß das Kino des Spektakels noch, dass es einmal die Welt verändern konnte?

Von Tobias Kniebe

Einer der Schlüsselmomente dieses Filmjahres fand weder im Kino noch vor erwartungsvollen Journalisten statt, sondern auf einer Aktionärsversammlung - und das sagt im Grunde schon alles. Dort enthüllte Kevin Tsujihara, Chef von Warner Brothers, Mitte Oktober das geplante Programm seines Studios bis zum Jahr 2020.

Mindestens drei neue Spin-offs aus dem "Harry Potter"-Universum werde es geben, erklärte er, drei neue "Lego"-Filme, natürlich in Kooperation mit dem Spielzeughersteller, zwei weitere Verfilmungen aus der "Justice League" von DC Comics - und außerdem, terminlich noch nicht ganz spruchreif, weitere "Batman" und "Superman"-Sequels.

Nur wenige Tage später erläuterten die Marvel Studios ihre Pläne bis 2019. Die Zahl ihrer jährlichen, millionenteuren Comic-Verfilmungen werde von zwei auf drei erhöht, kündigte Studiochef Kevin Feige an. Das bedeutet weitere Fortsetzungen von "Captain America", "Thor" und "The Avengers", plus eine Reihe von neuen Franchises aus der Marvel-Comic-Welt, etwa "Black Panther".

Nimmt man noch Disney dazu, das mindestens bis 2019 mit seiner neuen "Star Wars"-Trilogie beschäftigt ist, und Fox, wo James Cameron gerade an seinen drei "Avatar"-Fortsetzungen (geplanter Start 2016 bis 2018) arbeitet, erscheint Hollywoods traditionelles Glücksversprechen - das große, spektakuläre und teuer produzierte Kinoerlebnis - so gnadenlos durchgeplant, in Businessmodelle eingespeist und vorausberechnet wie noch nie zuvor.

Der Dienstplan eines Filmkritikers steht, gefühlt bis zur Frührente

Hieß es in Sachen Kinohits nicht einmal: Niemand weiß irgendwas? Konnte die nächste verrückte Idee, von der niemand zuvor gehört hatte, nicht kollektive Träume entfachen, die Welt verändern und zum bis dahin erfolgreichsten Film der Geschichte aufsteigen? Ja, so war es einmal - etwa bei Steven Spielbergs "E.T.".

Dieses Überraschungsmoment, verbunden mit einer leidenschaftlichen Spieler-Mentalität der Produzenten und Kreativen, versöhnte auch kritische Kinogänger immer wieder mit der Idee des Blockbusters. Es konnte halt öfter mal etwas wirklich Überraschendes dabei herauskommen.

Aber diese Zeiten sind vorbei. Das große Geld ist für die nächsten fünf Jahre vergeben, die Jungtalente sind eingekauft, die Storylines werden gerade festgeklopft. Aktionäre und Investoren freut es natürlich, wenn so etwas wie Berechenbarkeit ins Filmgeschäft Einzug hält.

Aber leider verplanen die Studios damit ja nicht nur ihre Ressourcen, sondern auch die Terminkalender aller Kinozuschauer, die nicht ganz eigene Wege gehen. Ein Filmkritiker in mittleren Jahren, der das große Spektakel nicht scheut und von Berufs wegen auf dem Laufenden bleiben muss, kann mit den vorliegenden Daten jetzt seinen Dienstplan gestalten - gefühlt ungefähr bis zur Frührente.

An das Staunen über den ersten "Star Wars"-Film wird kein Sequel je heranreichen

Wie ein Abenteuer fühlt sich das nicht an. Nun ist nicht grundsätzlich etwas gegen neue "Star Wars"-Filme zu sagen, und auch die Frage, wie der zuverlässig größenwahnsinnige James Cameron sich noch dreimal selbst übertreffen will, ist keineswegs uninteressant.

Aber selbst die härtesten Fans werden ein grundsätzliches Problem eingestehen: Die ersten Minuten eines Films, der mit dem Label "Episode 7" ins Kino kommt, mögen so brillant werden, wie sie wollen - an das ursprüngliche Staunen am Anfang des allerersten "Star Wars"-Films können sie niemals heranreichen.

Den magischen Moment des Eintauchens in eine völlig neue, bisher gänzlich unbekannte, atemberaubende Welt - das kann keine Fortsetzung, kein Spin-off, keine Comic-Adaption bieten. Genau diese nie versiegende Kraft zur Welterfindung aber - war sie nicht immer die wertvollste Gabe des Kinos überhaupt?

Sie war es, aber sie ist es nicht mehr. Nicht Welterfindung ist Hollywoods neues Kerngeschäft, sondern die endlose Ausgestaltung seiner bestehenden Fantasy-Universen. Alles, was schon einmal funktioniert hat, wird immer weiter ausgeschmückt, immer breitwandiger aufgestellt - und immer flacher ausgewalzt.

Und das Seltsame ist: Je dünner die Substanz wird, mit der man spielen kann, je eingeschränkter die Imagination ist, begrenzt von tausend Regeln, was zum Beispiel im "Star Wars"-Universum überhaupt noch passieren darf - desto obsessiver verfolgen die Fans schon die Dreharbeiten und Ankündigungen, desto atemloser lauern sie auf alle neuen Details, Enthüllungen und Entscheidungen.

Es braucht Filmemacher, die sich dem Trend entgegenstemmen

Es ist schon wahr - die große Mehrheit der Zuschauer ist völlig zufrieden damit, sich in den immer gleichen Comic- und Fantasy-Welten zu bewegen, ständig denselben vertrauten Superhelden wieder zu begegnen. Sie verlangen sogar begierig danach. Nur so können die Studios überhaupt ihre Langzeitpläne entwickeln, ihre Gewinnmargen kalkulieren.

Aber gerade weil das so ist, sind jene Filmemacher so wichtig, die sich dem Trend entgegenstemmen. Christopher Nolan etwa, der von "Batman" kommt, aber mit "Inception" und "Interstellar" wieder zum mutigen Weltenerfinder geworden ist. Alfonso Cuarón, der "Harry Potter"-Pflichten absolviert hat, aber dann mit "Gravity" einen nie gesehenen Weg fand, die Schwerelosigkeit des Weltalls zu filmen.

Oder Ridley Scott, der trotz seiner 77 Jahre noch immer für Hunderte Budget-Millionen und unglaubliche neue Welten gut ist, etwa wenn er sich nächstes Jahr mit "The Martian" auf den Mars begibt. Bleibt hart, möchte man diesen Filmemachern zurufen, kämpft weiter! Und lasst uns mit dem großen Fünfjahresplan für Superhelden und Sequels nicht allein.

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