Kulturkampf:"Es beginnt immer mit der Sprache"

Berliner 'Erklärung der Vielen'

Shermin Langhoff, Intendantin Maxim-Gorki Theater.

(Foto: Christoph Soeder/dpa)
  • 140 Kulturinstitutionen haben sich unter dem Namen "Die Vielen" zu einem Solidaritätspakt zusammengeschlossen.
  • Die Unterzeichner wollen mit Kampagnen die offene Gesellschaft verteidigen und sich einander gegen rechtsradikale Hetze unterstützen.
  • Zuletzt kam es vermehrt zu rechten Anfeindungen gegen Kultureinrichtungen.

Von Peter Laudenbach

Manchmal besteht Solidarität aus einfachen Gesten. Nach den rechtsradikalen Ausschreitungen in Chemnitz hat der Schauspieler Ulrich Matthes den Generalintendanten der Chemnitzer Theaters, Christoph Dittrich, angerufen. Matthes war entsetzt über die rechte Aggression, er wollte helfen, mit seinen Mitteln, also den Mitteln des Theaters. Am Samstag hat Matthes am Schauspiel Chemnitz Schillerballaden gelesen, was durchaus als Kommentar zu den rechten Aufmärschen zu verstehen war. Schließlich heißt es in einem der Gedichte, der Mensch sei "zu was Besserem geboren". Für Matthes spricht daraus "Schillers Hoffnung, dass ein Gewissen in jedem Menschen schlummert, auch in dem verbiestertsten".

Diese Art der Konfliktbearbeitung gehört zur Kernkompetenz des Theaters. Deshalb ist hier etwas möglich, was andernorts derzeit schwieriger wird: Der Dialog unter jenen, die dezidiert unterschiedliche Ansichten haben - auf der Bühne und im Idealfall auch zwischen Bühne und Zuschauern. Vielleicht werden genau deshalb Theater und andere Kultureinrichtungen zu Objekten von Angriffen der extremen Rechten, deren Eskalationsstrategie darauf abzielt, die gesellschaftliche Dialogfähigkeit zu zerstören.

Auch weil solche Akte der praktischen Unterstützung in Zukunft öfter notwendig werden könnten, haben sich weit über hundert Theater, Bibliotheken, Galerien, Opern, Museen, Orchester, Akademien und andere Kulturinstitutionen zu einer Art Solidaritätspakt zusammengeschlossen. Auf zeitgleichen Pressekonferenzen in Dresden, Hamburg, Düsseldorf und Berlin haben "Die Vielen", so der Name des Trägervereins, am Freitag eine kämpferische "Selbstverpflichtung" bekannt gegeben. Sie werden sich gemeinsam an Kampagnen und Demonstrationen zur Verteidigung der offenen Gesellschaft beteiligen. Sie werden mit ihren Mitarbeitern eine Haltung gegenüber Bedrohungen der Demokratie durch Rassismus diskutieren. Und sie werden einander unterstützen, wenn einzelne Künstler oder Institutionen durch rechtsradikale Schmähungen und Hetze unter Druck gesetzt werden sollten. Die Liste der Erstunterzeichner liest sich wie ein Who-is-who der Kulturinstitutionen. Sie reicht von der Deutschen Oper Berlin über Kampnagel Hamburg, das Dresdner Staatsschauspiel oder das Hamburger St.-Pauli-Theater bis zur Akademie der Künste, zum Schwulen Museum Berlin, dem Berliner Martin-Gropius-Bau, der Elbphilharmonie, dem Düsseldorfer Schauspiel und dem Berliner Maxim Gorki Theater.

Das ist mehr als eine unverbindliche Geste. Es ist die entschlossene Antwort darauf, dass die AfD und andere rechte Formationen die Kultur als Kampffeld für sich entdecken. Theater und andere Kultureinrichtungen passen geradezu idealtypisch in die Feindbildkonstruktionen der Rechten und ihre Polemik gegen liberale "Eliten". Auch wenn die Theater die Angriffe etwa der AfD unbeschadet überstehen, sind sie hervorragend geeignet, die eigene Anhängerschaft zu mobilisieren und die Polarisierung der Gesellschaft voranzutreiben.

Das ist nicht neu. Vor dreißig Jahren störten rechtsradikale Krawallmacher Claus Peymanns Uraufführung von Thomas Bernhards "Heldenplatz" am Wiener Burgtheater. Einer der damaligen Störer war der rechte Aktivist Heinz-Christian Strache, heute FPÖ-Chef und österreichischer Vizekanzler. Kulturkämpfe als Plattform, um das Klima im Land zu vergiften - diese Strategie ging in seinem Fall bestens auf.

Annemie Vanackere, die Intendantin des Berliner HAU-Theaters und eine der Erstunterzeichnerinnen des Ausrufs der "Vielen", sieht deshalb im Vorgehen der neuen Rechten eine "klare Strategie": "Das macht es so gefährlich." Bevor sie nach Berlin kam, hat sie bis 2011 die Rotterdamse Schouwburg geleitet hat. In Holland erklärten Rechtspopulisten schon vor einem Jahrzehnt die Bühnen zum Feindbild. "Es beginnt immer mit der Sprache", sagt Annemie Vanackere. "In Holland wurde so oft wiederholt, dass Theater nur ein ,linkes Hobby' sei, bis so ein Satz irgendwann als Normalität galt." Auch Marc Grandmontagne, der Geschäftsführende Direktor des Deutschen Bühnenvereins, beobachtet die Angriffe der Rechten seit Jahren. Auch deshalb hat er den Aufruf der "Vielen" unterzeichnet. "Die neuen Rechten betrachten Kultur nicht nur als Konfliktfeld, sie verstehen sich selbst explizit als kulturelle Bewegung." Ihr Ziel seien "kollektive Identitätsgemeinschaften. Damit stoßen sie in ein Vakuum". Liberale Politik habe sich für solche Kulturkämpfe und das Gefühl einer "irgendwie bedrohten, verunsicherten Identität" lange "viel zu wenig" interessiert. Er und seine Kollegen im Bühnenverein erleben, "dass Interventionen gegen bestimmte Aufführungen, etwa bei Stücken über Geflüchtete, stattfinden. Es ist zum Teil ein Versuch, ein Klima der Angst zu schaffen."

"Wer jetzt einen von uns angreift, bekommt es mit allen 140 Unterzeichnern zu tun"

In Städten, in denen die AfD im Stadtrat oder in Landesparlamenten sitzt, also fast überall, sind parlamentarische Anfragen nach Intendantenverträgen oder Forderungen, etwa dem dezidiert antirassistischen Berliner Maxim-Gorki-Theater Subventionen zu streichen, längst Routine. Ebenso, dass ein AfD-Kreisverband Anzeige wegen Verleumdung und Volksverhetzung gestellt hat, weil er sich durch eine Grafik im Programmheft zu einer "Andorra"-Inszenierung am Theater Paderborn verunglimpft sieht.

Nachdem das Staatstheater Mainz 2015 mit dem Schlusschor aus Beethovens neunter Symphonie eine Versammlung der AfD übertönte, wurde das Theater mit Hassmails eingedeckt. Der Mainzer Hausregisseur K. D. Schmidt verarbeitete die Beleidigungen zu einem dokumentarischen Theaterabend: "Das muss man nicht kommentieren, diese Texte kommentieren sich selbst", sagt der Regisseur.

Vor zwei Jahren verlangte die AfD-Fraktion im Potsdamer Stadtrat vor der Premiere, dass am Hans-Otto-Theater ein Stück über Flüchtlingshelfer abgesetzt wird. Der Regisseur Falk Richter erhielt Morddrohungen nach seiner Inszenierung "Fear" an der Berliner Schaubühne. In Chemnitz explodierte vor zwei Jahren eine Bombe vor dem Kulturzentrum "Lokomov", das mit dem Theaterprojekt "Unentdeckte Nachbarn" an die NSU-Morde erinnert. Im selben Jahr agitierte die AfD in Dessau gegen ein Theaterstück von deutschen und syrischen Jugendlichen und forderte im Landtag eine "Renaissance der deutschen Kultur" statt einer "linksliberalen Vielfaltsideologie".

2017 kündigten am Theater Altenburg vier ausländische Schauspieler, weil sie die Anfeindungen im Alltag nicht mehr aushielten. Ein AfD-Sprecher verlangte, dass am Theater Aachen aus der Inszenierung "Heiliger Krieg" Passagen gestrichen werden, die auf Gemeinsamkeiten von Islamisten und Rechten verweisen. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Die Erklärung der "Vielen" wird daran so schnell nichts ändern. Die Unterzeichner bereiten sich offenbar darauf vor, dass diese Auseinandersetzungen ihre Arbeit noch viele Jahre begleiten werden. "Wer jetzt einen von uns angreift, bekommt es mit allen 140 Unterzeichnern zu tun", sagt Berndt Schmidt, einer der Erstunterzeichner. Schmidt, Intendant des Berliner Friedrichstadtpalasts, eines der größten Revuetheater Europas, bekam das rechte Aggressionspotenzial zu spüren, hatte sich im vergangenen Jahr deutlich gegen die AfD ausgesprochen und bekam innerhalb weniger Tage über 400 Hassmails und fünf Morddrohungen.

Die Berliner AfD distanzierte sich nicht von den Hassmails, sie forderte Subventionskürzungen für die Revuebühne. Wegen einer Bombendrohung gegen den Friedrichstadtpalast musste eine ausverkaufte Vorstellung unterbrochen werden. Die Warnung der Polizei erreichte den Intendanten wenige Minuten vor Vorstellungsbeginn, 1800 Zuschauer und 200 Mitarbeiter mussten das Theater verlassen. "Ich war traurig, ich dachte, wir haben unseren Besuchern den Abend verdorben. Natürlich wurde mir weich in den Knien. Das, was ich gegen die AfD gesagt hatte, hatte an diesem Abend hässliche Folgen für unser Publikum", sagt der Intendant.

Es dauerte, bis die Polizei das Theater freigeben und die Vorstellung weitergehen konnte. Zuschauer und Revuetänzer mussten vor dem Theater in der Kälte warten. Als Schmidt sich anschließend beim Publikum für die Störung entschuldigte, bekam er anhaltenden, lauten, herzlichen Applaus "Da kam kein einziger Buhruf", sagt der Intendant. "Das hat mir gezeigt, dass die große schweigende Mehrheit unsere Haltung honoriert. Wir haben danach unglaublich viele positive Mails bekommen. So etwas gibt uns Mut."

Christoph Dittrich, der Chemnitzer Intendant, konnte nicht an den Pressekonferenzen der "Vielen" teilnehmen. Ausgerechnet am 9. November marschierte das rechte Bündnis "Pro Chemnitz" durch die Stadt. Das Theater stellte innerhalb einer Woche ein Open-Air-Bühnenprogramm zur Unterstützung der Gegendemonstranten auf die Beine.

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