"Die Verlegerin" im Kino:Der neue Spielberg-Film ist hochpolitisch

Kinostart - 'Die Verlegerin'

Anfangs hört ihr keiner zu: Kay Graham (Meryl Streep) begründete mit der Veröffentlichung der Geheimdokumente aus dem Pentagon nicht nur den Ruhm der "Post", sie trug auch zum Ende des Vietnam-Kriegs bei.

(Foto: dpa)

Was ist unabhängiger Journalismus und wie weit darf er gehen? "Die Verlegerin" erzählt vom Aufstieg der "Washington Post" in den Siebzigern. Aber die Parallelen zur Trump-Ära könnten kaum deutlicher sein.

Von Susan Vahabzadeh

Filme übers Zeitungmachen sind Einladungen zur Nostalgie. Steven Spielbergs "The Post / Die Verlegerin" erzählt von Ereignissen im Jahr 1971 und schwelgt dabei in Bildern von allerlei Tätigkeiten, die heute ganz anders aussehen: Setzer, die Buchstaben zusammenfügen, auf Papier vorgezeichnete Zeitungsseiten, ein hemdsärmeliger Redakteur, der mit dem Bleistift ein Manuskript bearbeitet, ein Trupp Journalisten, die auf dem Wohnzimmerteppich ihres Chefredakteurs Geheimakten auswerten, ein Meer loser Blätter. Heute werden all diese Dinge am Bildschirm gemacht, und die Geheimakten trudeln als Datei auf einem winzigen Stick ein. Die Arbeit ist dieselbe, aber auf einer Leinwand macht sie nicht mehr viel her.

"The Post" ist aber gar kein nostalgischer Film, er sieht nur so aus. Hier fliegen die Akten angeschnallt auf ihrem eigenen Sitzplatz nach Washington, denn Ben Bagdikian (Bob Odenkirk) will die kostbare Fracht nicht aus den Augen lassen, die er bei seinem alten Kumpan Daniel Ellsberg ergattert hat. Bei der Washington Post haben sie geglaubt, die New York Times habe sie wieder einmal abgehängt. Chefredakteur Ben Bradlee (Tom Hanks) hat den Praktikanten zum Schnüffeln nach New York geschickt, weil er schon vor der Veröffentlichung Wind davon bekommen hat, dass die Konkurrenz an einem Coup arbeitet. Und Bradlee will unbedingt, dass sein Blatt endlich aus der Regionalliga aufsteigt und in einem Atemzug genannt wird mit der Times. Ein Schritt auf diesem Weg ist der Börsengang der Post - die Zeitung gehört den Grahams, Katharine (Meryl Streep) hat die Zeitung geerbt und führt die Geschäfte seit dem Suizid ihres Mannes. Nun soll Kapital her, um mehr Reporter einzustellen.

Und dann das: Die Times hat ihre Geschichte veröffentlicht, es geht um Studien, die belegen, dass das Pentagon zu verschleiern versucht, dass der Vietnamkrieg nicht zu gewinnen ist. Die Nixon-Regierung ließ der Times die weitere Veröffentlichung untersagen - und nun ist der Moment gekommen für Ben Bradlee, groß einzusteigen, gerade während des Börsengangs.

Graham war hauptberufliche Gattin, bevor sie unversehens zur Ikone der Pressefreiheit wurde

Alles entscheidet sich in ein paar Tagen: Katharine Graham könnte eine Heldin sein oder ein Paradebeispiel dafür, dass Frauen keine Zeitungen herausgeben sollten; die Zeitung könnte zugrunde gehen oder den Vietnamkrieg beenden; Bradlee wird entweder Nixon die Stirn geboten haben - oder er ist arbeitslos. "The Post" erzählt vom Journalismus als Thriller, aufregend, ein bisschen gefährlich - das ist spannend, dabei ist doch ganz klar, wie die Sache ausgeht. Die Washington Post wird bei diesem Manöver nicht untergehen, sie ist ja immer noch da. Und der Wettstreit, den sie sich in der Ära Trump mit der Times um die Nachrichten aus dem Weißen Haus liefert, ist wichtiger denn je.

Spielberg gilt als Meister unter den Regisseuren seiner Generation, und er ist sehr gut darin, von der Vergangenheit so zu erzählen, dass sie gerade jetzt, in diesem Augenblick Relevanz hat. Die Inszenierung weiblicher Figuren gehört nicht zu seinen Stärken - hier aber hat er viel Gespür bewiesen, für den Zeitgeist, denn von "Me Too" hat er ja beim Dreh im letzten Sommer noch nichts wissen können. Und für die Figur an sich, die nach und nach aus ihrem angestammten Schattenplatz heraustritt.

Kay Graham ist ein Geschöpf ihrer Zeit. Dass sie nach dem Tod von Vater und Ehemann selbst die Zeitung führen würde, hat niemand erwartet - am wenigsten sie selbst. Dann aber musste sie doch übernehmen, und zu Beginn des Films hängt sie zwischen zwei Rollen fest. Sie ist zaghaft und unsicher - man hat ihr so lange gesagt, dass sie das, was sie tut, eigentlich nicht kann, dass sie es nun selbst glaubt. In der Vorstandssitzung muss ihr Anwalt Fritz wiederholen, was sie sagt, weil ihr einfach niemand zuhört. Schüchtern bittet sie Bradlee, sich nicht mit Nixon anzulegen wegen der Berichterstattung über eine Hochzeitsparty, und gibt dann doch nach. Beim Abendessen in ihrem Haus sitzen Politiker am Tisch, unter anderem der ehemalige Verteidigungsminister Robert McNamara (Bruce Greenwood). Aber nach dem Dessert, wenn die Herren beginnen, über Politik zu diskutieren, geht sie mit den Damen ins Wohnzimmer. McNamara muss ihr hinterherlaufen, um ihren Beistand zu erbitten. Da weiß er schon, dass die Pentagon-Papiere veröffentlicht werden und er ins Kreuzfeuer der Kritik geraten wird. Kay muss nun endlich hart werden.

Spielbergs Flucht nach vorne

Ein paar Freiheiten haben sich die Autoren Josh Singer ("Spotlight") und Liz Hannah schon erlaubt. In den USA wurde ihnen vorgeworfen, dass die Pentagon-Papiere eben doch mehr eine Sache der New York Times gewesen seien als der Washington Post. Nur hatte die aber keine Frau an der Spitze. Natürlich interessiert sich Spielberg nicht nur für Geheimakten und ihren Weg ins Freie, sondern auch für Figuren, für die Entwicklung von Kay Graham, die dann später tatsächlich zur Ikone wurde, hier aber noch zaudernd nach einem Sieg vor Gericht in eine Menschenmenge tritt, die gegen den Vietnamkrieg demonstriert. Spielberg lässt sie das ganz langsam tun, und um Kay Graham herum sind plötzlich nur junge Frauen, die zu ihr aufsehen. Auch das ist ein Moment, der gut in die Gegenwart passt - Frauen haben in den Protesten gegen Donald Trumps Politik, gegen die Kürzungen von Geldern für Behinderte, für die Gesundheitsversorgung, gegen Einreiseverbote und Einwanderungspolitik eine tragende Rolle gespielt, und im Herbst, bei den nächsten Wahlen, werden mehr weibliche Kandidaten antreten als je zuvor in der Geschichte der USA.

"The Post" ist insofern ein riskantes Unternehmen, als der Film sich an einem der großartigsten in diesem Genre überhaupt messen muss - an Alan J. Pakulas "Die Unbestechlichen", der davon erzählt, wie zwei unbekannte Reporter, Bob Woodward und Carl Bernstein, denselben Chefredakteur Ben Bradlee dazu bringen, ihre Recherchen zu veröffentlichen über Richard Nixons Verstrickung in den Einbruch in die Büros seiner Gegner, der Demokratischen Partei - Watergate. Nicht nur der Skandal ist legendär, auch der Film dazu, der den Fall größer und haltbarer machte als Nixons Rücktritt allein gewesen wäre. Seither sind die Redaktionsräume der Post wohl die bekanntesten der Welt. Ein Film über die Washington Post muss sich an den "Unbestechlichen" messen lassen.

Spielberg hat sich für die Flucht nach vorn entschieden - er zitiert Pakula und vor allem dessen Kameramann Gordon Willis. Auch hier sind die Regierungsgebäude, von unten gefilmt, erdrückend in ihrer Macht; und die Menschen, die es mit dieser Macht aufnehmen wollen, winzig wie Ameisen. "Die Unbestechlichen" waren großartig darin, akribisch einen komplizierten Skandal und seine Genese auf den Punkt zu bringen - das tut "The Post" nicht. Spielbergs Film wird auch nicht denselben Einfluss haben; so wichtig sind Filme heute nicht mehr.

Die Papiere belegen, dass die jungen Soldaten in Vietnam nur verheizt werden

Doch er stellt Fragen, die damals zu kurz kamen: Was ist Journalismus noch wert, wenn er nicht mehr unabhängig ist? Wenn eine Regierung Informationen zurückhält: Wie weit dürfen Journalisten gehen, um sie doch zu veröffentlichen? Wann ist das Offenlegen von Regierungsgeheimnissen gerechtfertigt, um Leben zu schützen? Kay Graham ist bereit, statt an die Börse in den Knast zu gehen. Nicht aus Geltungssucht oder Spaß am Kampf gegen Nixon. Die Papiere belegen, dass die jungen Soldaten, die Jahr um Jahr nach Vietnam geschickt werden, nur verheizt werden in einem Krieg, der nicht zu gewinnen ist. Es geht keinen Schritt weiter in Vietnam, seit vielen Jahren, und wechselnde Regierungen wissen davon. Das muss aufhören, sagt Ben Bradlee.

Manchmal sieht man in "The Post" das Weiße Haus von außen, die Kamera tastet sich an die Fenster heran, und dazu hört man das Zischen von Nixon, der schwört, dass er all dem ein Ende machen wird, oder flucht, dass keiner von der Post hier je wieder einen Fuß hineinsetzen wird. Es ist Nixons echte Stimme, die man da hört, kleine Schnipsel aus den Bandaufnahmen, die er besessen anfertigen ließ von allen Gesprächen in seinem Büro. Sie gemahnen daran, dass es am Ende nicht die Washington Post war, die Nixon zu Fall gebracht hat. Er war es selbst.

The Post, USA 2017 - Regie: Steven Spielberg. Drehbuch: Liz Hannah, Josh Singer. Kamera: Janusz Kaminski. Mit: Meryl Streep, Tom Hanks, Bob Odenkirk, Michael Stuhlbarg, Alison Brie, Bruce Greenwood. Fox, 117 Minuten.

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