Süddeutsche Zeitung

"Die Unglaublichen 2" im Kino:Superhelden sprengen die Kosten-Nutzen-Rechnung

  • Der erste "Incredibles"-Film war 2004 einer der größten Erfolge des Studios Pixar, nun kommt Teil 2 in die Kinos.
  • Mit Fortsetzungen hatte das Animationsfilm-Studio nicht immer eine glückliche Hand, aber dieser Film ist eine großartige Ausnahme.
  • Die Superheldenfamilie muss sich mit neuen Bösewichten herumschlagen - und den Problemen eines neuen medialen Zeitalters.

Von Fritz Göttler

Tante Edna hat das größte Problem in diesem Film. Sie soll den Kleinsten der Familie Parr - der Superheldenfamilie, der "Incredibles" - einkleiden. Das Baby hat innerhalb kürzester Zeit die unglaublichsten Supertalente entwickelt, es sendet grüne Laserstrahlen aus den Augen, verwandelt sich in ein hässliches Teufelchen, kann sich nach Belieben materialisieren und wieder auftauchen. Also braucht es einen entsprechenden Anzug mitsamt der schwarzen Augenmaske, und Tante Edna, die exzentrische Modeschöpferin und Exklusivausstatterin der Incredibles - Inbegriff der amerikanischen kreativen Frau, zwischen der Vogue-Chefin Anna Wintour und Edith Head, die mit ihren Kostümen einen wesentlichen Beitrag zum Look der großen Hitchcockfilme lieferte -, soll ihn liefern. Das Problem: Edna kann Kleinstkinder absolut nicht ausstehen.

Mit Fortsetzungsfilmen hatte Pixar oft keine glückliche Hand. Dieser Film ist eine Ausnahme

Ohne Edna ging schon im ersten "Incredibles"-Film nichts, der 2004 einer der größten Erfolge des Studios Pixar war. Mit Fortsetzungen hatte das Studio nicht immer eine glückliche Hand - die "Cars"-Filme, die "Monster Academy", "Finding Dory" -, aber dieser Film ist eine großartige Ausnahme. Regisseur Brad Bird hält auch hier, vierzehn Jahre später, das ursprüngliche Tempo durch und zeichnet ein scharfes Bild der modernen amerikanischen Gesellschaft. Tante Edna spricht er sogar wieder selber.

Superhelden haben es da mal wieder schwer, wegen der Kollateralschäden, die sie anrichten bei ihren rasanten Rettungsaktionen, den Spuren der Zerstörung, die sie hinterlassen, den Schneisen, die sie durch die Großstadt pflügen. Das sprengt die Kosten-Nutzen-Rechnung, die pingelige Stadtbürokraten aufstellen - und immer pingeliger sind sie schon in den letzten Marvel-Filmen geworden. Die Banken sind doch alle versichert, heißt es, wenn also die Metroville Bank ausgeraubt wird, ist es einfacher und sauberer, das mit den Versicherungen abzuwickeln, als den Bösewicht zu verfolgen. Allein der Zuschauer profitiert, weil Demolition und Destruktion im Kino eingeboren sind und besser funktionieren als alles Konstruktive.

Die Superfamilie der Incredibles muss zu Beginn des neuen Films ihre Kräfte zurückhalten und spektakuläre Auftritte in der Öffentlichkeit vermeiden. Hilfe könnte kommen durch den menschen- und heldenfreundlichen Milliardär Winston Deavor und seine Schwester. Die beiden verkörpern, partiell, die Gattung der neuen Start-up-Unternehmer - Bill Gates, Mark Zuckerberg, Steve Jobs -, die lässig ihre Milliarden scheffeln, aber auch eine kräftige Portion Altruismus bereithalten, die Gesellschaft verbessern wollen. Auch der Superhelden-Familie wollen sie helfen, ihr Image aufzupolieren. Am besten ist dafür Mutter Helen geeignet, die, schlank und dynamisch auf ihrem Motorrad, eine sehr viel bessere Figur macht als der muskelbepackte Bob. Während Helen auf Werbetour geht, agiert Bob - dem es seinerzeit schon schwerfiel, sich im Büro anzupassen - als Hausmann.

Filme mit Superhelden sind Familienfilme, in den erfolgreichen Marvel-Stücken bilden die diversen Supermänner und -frauen eine Art Ersatzfamilie, man hat diese in den letzten Filmen auf mehr als ein Dutzend Mitglieder vergrößert. Brad Birds genialer Streich vor vierzehn Jahren war, aus den Superhelden eine richtige Familie zu machen. Familienbande waren schon immer wesentlich in den Pixarfilmen, das entsprach dem Gemüt von John Lasseter, der über Jahre den Ton der Filme bestimmte, inzwischen in Ungnade gefallen ist. Die Institution Familie überlebt.

Die äußere Erscheinung und das hemdsärmelige Auftreten Bobs sind voll aus den Sechzigern, und auch die familiäre Kommunikation - man kennt das vor allem aus den entsprechenden Fernsehserien. Die Geschlechterverteilung zwischen Arbeit und Haushalt, inklusive Kindern, ist nicht mehr so rigide wie damals, aber die alten Denkmuster sind weiter wirksam. Bob ist durchaus willens, ein guter Hausmann zu werden, er ist nicht ungeschickt, aber er wirkt sichtlich abgekämpft, genervt und hilflos. Die dreimalkluge Teenager-Tochter spielt sich als Ersatzmutter auf, und der Sohn hat ein neues Mathebuch, das den Lernstoff auf eine völlig andere Weise lehrt, als Bob das zu seiner Schulzeit erlebte.

Auch die neuen Gegenspieler sind in diesem Film mit den neuen Medien vertraut, man kann sie nicht mehr mit einer Verfolgung in ihrem Tunnel ausbremsen. Der fiese Screenslaver macht die Menschen willenlos, indem er sich in mediale Übertragungen aller Art einschaltet und über Bildschirme hypnotisiert. Aber auch die Gesellschaft arbeitet mit medialen Tricks, das muss die Tochter schmerzlich erfahren. Ein Superheldenschutzprogramm greift ein, wenn einer der Superhelden versehentlich in seiner Heldengestalt von anderen Menschen gesehen wird. Ebendies passiert dem Töchterchen Violet, mit dem jungen Burschen, in den sie sich gerade verliebt hat. Seine Erinnerungen werden sicherheitshalber von einem alten Geheimdienstler gelöscht, leider auch alle an Violet. Sie sind nun wie Fremde, wenn sie sich begegnen.

Der Film weist zurück in die Frühzeit der Animation - als noch kreative Anarchie herrschte

In Filmen von Brad Bird - "Der Gigant aus dem All", "Ratatouille" und den ersten "Incredibles" - ist eine handgezeichnete Sensitivität lebendig, wie auch sonst oft bei Pixar, die den klassischen Disney-Stil beschwört, sogar in den stromlinienförmigen Architekturen und dem modernsten Design. Brad Bird hat selber bei der handgezeichneten Animation angefangen, und er holt gern ein paar Leute in sein Team, die nur wenig mit Computern arbeiten, aber den computergenerierten Szenen, die man ihnen vorlegt, einen alten Drive verpassen. Es sei ziemlich dumm von der Industrie, diesen Aspekt der Animation zu ignorieren, sagt Brad Bird - "es wäre aufregend, viele verschiedene Arten von Animation in der Familie und auf dem Markt zu haben".

Der kleine Jack-Jack, der Baby-Superheld, übertrifft, wenn er spielerisch seine Superkräfte erprobt und demonstriert, bald jeden anderen in der Familie. Er setzt eine Tradition aus der Frühzeit der Animation fort, aus den frühen Micky-Maus- und Betty-Boop-Filmen mit ihrer besonderen kreativen Anarchie. Alles war möglich in diesen fantastischen Orgien von Formwandlungen, in dieser unerschöpflichen Metamorphose, in der vertraute Erscheinungen und Formen, die gegenständlichen wie die menschlichen, sich auflösten, ohne dass eine innere Handlungslogik dies strukturierte. Auch Tante Edna kann Jack-Jack nicht widerstehen, ist am Ende bezaubert von dem Kleinen.

The Incredibles 2, USA 2018 - Regie, Buch: Brad Bird. Musik: Michael Giacchino. Kamera: Mahyar Abousaeedi. Schnitt: Stephen Schaffer. Mit den (Original-)Stimmen von: Holly Hunter, Craig T. Nelson, Sarah Vowell, Spencer Fox, Samuel L. Jackson, Brad Bird. Walt Disney, 118 Minuten.

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SZ vom 29.09.2018/doer
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