"Die Täuschung" im Kino:Auftrag für eine Leiche

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Colin Firth (ganz rechts) und Matthew Macfadyen (neben ihm) planen die geheime "Operation Mincemeat". (Foto: Warner)

In "Die Täuschung" verwandelt John Madden eine berühmte britische Geheimdienstoperation im Zweiten Weltkrieg in ein pannenreiches Buddy Movie. Die Deutschen fallen trotzdem drauf rein.

Von Doris Kuhn

Einmal sieht man die Sekretärin Jean beim Tanzen. Sie ist in einem verborgenen Londoner Nachtclub, die Musik ist rau und amerikanisch, die Hälfte der Männer auch, da fällt die bisherige Contenance von ihr ab. Sie wird ausgelassen, sie wird biegsam, als merke sie gerade, dass sie einen Körper hat und ein Gemüt. Da weiß man dann als Zuschauer, wo sie hinwollen, die US-Soldaten hier, und die Engländer in ihrer verdunkelten, totenstillen Stadt: in eine unbeschwerte Welt, in der das Tanzen nicht mehr die geheime Ausnahme ist.

Aber noch ist es in John Maddens Film "Die Täuschung" nicht so weit. Anfang 1943 tobt der Zweite Weltkrieg, wenig deutet darauf hin, dass demnächst Unbeschwertheit einkehren wird. Die Alliierten bereiten sich darauf vor, von England aus Militär aufs Festland zu schicken. Die Truppenbewegung übers Meer soll dem Oberkommando der deutschen Wehrmacht verborgen bleiben, was ziemlich sicher unmöglich sein wird. Also gibt es Druck im britischen Geheimdienst: Ein Täuschungsmanöver muss her, damit die Nazis nicht am Ort der Landung warten und die Invasion vereiteln.

Was folgt, ist eine wahre Geschichte, so abenteuerlich, dass Madden nicht der Erste ist, der sie verfilmt: Den Deutschen soll durch eine List glaubhaft gemacht werden, dass die Alliierten über Griechenland kommen werden, während sie tatsächlich in Sizilien landen wollen. Dazu wird eine Operation namens "Mincemeat" ins Leben gerufen, die einen Plan der Lieutenants Charles Cholmondeley und Ewen Montagu umsetzt. Als Hauptdarsteller agieren Colin Firth und Matthew Macfadyen, die es erfahrungsgemäß schaffen, einen Hauch Emotion auch in krisenbedingt eiserne Gesichtszüge zu schmuggeln.

Den britischen Agenten fehlt es nicht an Ideen, aber an Sexappeal

Manchmal wird es sogar lustig. Der Film will ein bisschen Buddy Movie sein, ein bisschen Komödie, das merkt man den Dialogen an, den Randfiguren auch. Churchill wird kurz präsentiert, den gab es in den vergangenen Jahren schon öfter im Kino, allerdings nie so fantastisch angeekelt von der Idiotie seiner Mitarbeiter wie bei der Bewilligung der "Mincemeat"-Aktion. Ian Fleming kommt vor, der später James Bond erfand, hier ist er ein junger, heimlich schriftstellernder Adjutant, der zum Personal der Operation gehört und dort lernt, dass es den Herren beim Geheimdienst kaum an absurden Ideen fehlt, aber deutlich an Sexappeal.

Charles und Ewen wiederum verkörpern Gegensätze, das macht ihre Freundschaft ziemlich herzzerreißend, jedenfalls so lange, bis sie darüber nachdenken, sich gegenseitig vielleicht doch einen Vaterlandsverrat anzuhängen. Das ist nicht zuletzt die Konsequenz einer unglücklichen Liebe von jedem der beiden zur anfangs erwähnten Sekretärin Jean, und dieses zwischenmenschliche Gedöns gehört vermutlich nicht zum Original der "Operation Mincemeat".

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Obwohl Jean durchaus zur kreativen Seite beiträgt. Denn die Operation besteht darin, den Deutschen Dokumente zuzuspielen, die diese für versehentlich verlorenes Geheimgut halten und deshalb an den Inhalt glauben sollen. Diese Dokumente wiederum finden sich bei einem Toten, der über den Verdacht erhaben sein muss, womöglich als trojanisches Pferd zu dienen. Sehr lang und sehr kunstvoll stattet also die "Mincemeat"-Truppe eine britische, zunehmend vor sich hin modernde Leiche mit einer erfundenen Identität aus - da ist weibliche Fantasie gefragt, die kommt von Jean.

Während man zusieht, an wie vielen Pannen diese Falle beinahe scheitert, versteht man Churchill. Aber man versteht auch, dass die Lage verzweifelt ist. Und gerade durch den zeitweise albernen - dafür angeblich wahrheitsgetreuen - Hindernisparcours mit Leiche, Briefen, zufällig niedergeschriebenen Invasionszielen bekommt man eine Bild davon, wie Geheimdienstarbeit einmal funktioniert hat. Im Gegensatz zur Herangehensweise von Bond ist sie extrem akribisch - weit voraus wird geplant, jede mögliche Reaktion in Erwägung gezogen, mit drei, vier doppelten Böden jongliert, um die Gegner dahin zu bringen, aus freien Stücken das zu tun, was man von ihnen möchte.

Ein bisschen brisantes Schachspiel, ein bisschen raffinierte Psychologie, auch ein paar Gebete, so sieht das aus, wenn John Madden den Secret Service bei der kriegsentscheidenden Arbeit vorstellt. Wenig Lächeln, das bleibt den Zuschauern vorbehalten. Für die ist das alles ein großes Vergnügen, denn Madden schenkt ihnen gleich dreierlei: einen Kriegsfilm ohne Blutvergießen, einen Spionagefilm mit historischen Hintergrund, und die Demonstration, dass der Weg durchaus das Ziel sein kann. Denn den Ausgang der Geschichte kennt schließlich jeder.

Operation Mincemeat , UK 2021- Regie: John Madden. Mit: Colin Firth, Matthew Macfadyen, Kelly Macdonald. Verleih: Warner, 127 Minuten. Kinostart: 26. Mai 2020.

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