Süddeutsche Zeitung

"Die Stinkrose":"Lederflatterer, deine Flügel beben"

Seit vielen Jahren lebt die indische Schriftstellerin Sujata Bhatt in Bremen, und doch ist sie hierzulande kaum bekannt. Das könnte sich ändern: Jan Wagner hat 45 ihrer Gedichte übersetzt.

Von David Wachter

Wie kommt es eigentlich, dass die Lyrik Sujata Bhatts in Großbritannien zur Schullektüre gehört, ins Deutsche aber kaum übersetzt wurde? Die mehrfach ausgezeichnete Dichterin der indischen Diaspora, die in der Stadt Pune aufwuchs und in Iowa studierte, lebt schließlich seit vielen Jahren in Bremen. Ihr Werk wurde in mehr als zwanzig Sprachen veröffentlicht und ist doch hierzulande kaum bekannt.

Das könnte sich jetzt ändern: Der Band "Die Stinkrose" versammelt 45 ihrer Gedichte, aus sieben Bänden ausgewählt und von Jan Wagner aus dem Englischen übertragen. In ihnen erinnert sich Bhatt an den Garten ihrer Kindheit, begegnet einem taubstummen Jungen in Medellín oder beobachtet ein runzliges Nashorn im Zoo von Delhi. "Was ist exotisch?", fragt sich das lyrische Ich ein ums andere Mal.

Einige ihrer bekannteren Gedichte verbinden mehrsprachige Stimmen zu einem polyfonen Text.

Bei Bhatts Exotismus es nicht um pittoreske Kulissen östlicher Ferne, sondern um eine Verfremdung des Gewöhnlichen, bei der sich die Aufmerksamkeit auf Dinge und Figuren, Farben und Gerüche der Welt neu justiert. Ihre lyrische Wahrnehmung dieser Außenwelt kreist durchweg um die existenzielle Frage, was es heißt, sich dauerhaft zwischen Kulturen zu bewegen. Ohne melancholische Trauer oder nostalgische Sehnsucht versichert sich "jene, die fortgeht", der eigenen Identität im Wandel.

Nun gewinnt eine transkulturelle Gegenwartslyrik solchen Zuschnitts ihre Energie generell aus der Spannung von Sinneslust und Reflexion. Sie richtet ihre Aufmerksamkeit oft auf konkrete Gegenstände, mit denen sich die Welt in vielfältigen Eindrücken wahrnehmen lässt, und denkt zugleich darüber nach, wie sich politische Grenzen verflüssigen und kulturelle Identitäten überkreuzen. Das Maß ihres Gelingens besteht stets darin, ob sich diese beiden Pole zu einer eigenen Formensprache verdichten - sei es wie in der nachdenklichen Poesie der pakistanisch-schottischen Lyrikerin Imtiaz Dharker, sei es wie in den multilingualen Textexperimenten Yoko Tawadas.

Beide Tendenzen finden sich auch bei Sujata Bhatt wieder. Einige ihrer bekannteren Gedichte verbinden mehrsprachige Stimmen zu einem polyfonen Text. So bringt sich das westindische Gujarati in "Search for My Tongue" auch auf der Schriftebene akustisch und visuell zur Geltung. Gerade diese innovativen Sprachexperimente wurden allerdings, unverständlich warum, nicht in die "Stinkrose" aufgenommen. Andere Gedichte wiederum wirken einprägsam, indem sie scheinbar Bekanntes neu beleuchten, um ihm kulturelle Signaturen abzulesen. So erhält das Randständige im Gedicht "Hey" eine ungewohnte Präsenz: "Wo ist jener Mann / mit dem geschwollenen Elephantenbein, / der an der Säule sitzt, / auf der es wimmelt von Göttern und Fliegen?"

Beim neugierigen Unterwegssein ergeben sich rätselhafte Szenarien von abgründiger Schönheit wie in "Reinste Eidechse", wo aus dem Dunkel des Gedächtnisses eine seltsame Frau hervortaucht. Das lyrische Ich begegnet hier seiner "ureigenen Sibylle" - teils Mensch, zugleich Affe und irgendwie auch Chamäleon, im Wandel der Formen vertraut und fremd zugleich, präzise ins Bild gesetzt und doch der Festlegung entzogen.

Besonders eindrücklich wirkt diese Poesie in der sinnlichen Wahrnehmung von Mohnblumen, der Erotik des gesaugten Zuckerrohrs in "Sherdi" oder dem Geruch von Knoblauch, der titelgebenden "Stinkrose", in der sich kulturelle Welten olfaktorisch begegnen.

Allerdings finden sich bei Bhatt auch Gedichte, in denen das transkulturelle Programm zum Jargon zu verflachen droht. Manche Selbstbeschreibungen wie "Aber ich habe die Heimat nie verlassen. / Ich habe sie mit- / genommen" wirken bei aller Emphase gut gemeint, aber gedanklich ein wenig vage und sprachlich abgegriffen.

Die meisten Gedichte bilden jedoch dichte Fügungen. Jan Wagner hat sie mit leichtfüßiger Eleganz übertragen. "Hissing sounds / she could not follow" verdichtet er zu "Gezischel, unverständlich", und rhythmische Energie bricht in "Lederflatterer, deine Flügel beben" hervor. Manchmal mag sein Streben nach vollendeter Schönheit leicht manieriert wirken, etwa wenn der Großvater der Autorin dem Gefängnis im englischen Original "for a moment" entkommt, auf Deutsch aber "für ein Weilchen", als säße er im Schaukelstuhl einer biedermeierlichen Idylle.

Über weite Strecken übersetzt Jan Wagner jedoch so stilbewusst wie zurückhaltend. In dieser Form kann Bhatts Dichtung, in eine andere Sprache übersetzt, neu aufbrechen: "Das Buch will einzig und allein, / dass du weggehst / damit es ein Garten für Vögel werden kann."

Sujata Bhatt: Die Stinkrose. Zweisprachig. Aus dem Englischen von Jan Wagner. Carl Hanser Verlag, München 2020. 175 Seiten, 20 Euro

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SZ vom 03.04.2020
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