"Die stillen Trabanten" im Kino:Verzauberte Tristesse

"Die stillen Trabanten" im Kino: Ein kurzes Aufflackern des Glücks: Martina Gedeck (r.) und Nastassja Kinski in dem Film "Die stillen Trabanten".

Ein kurzes Aufflackern des Glücks: Martina Gedeck (r.) und Nastassja Kinski in dem Film "Die stillen Trabanten".

(Foto: Warner)

Der Schriftsteller Clemens Meyer und der Regisseur Thomas Stuber sind ein gutes Team. In "Die stillen Trabanten" erzählen sie einmal mehr von den Träumern am Rand der Gesellschaft.

Von Annett Scheffel

"Heimatlose, die sind so verloren ... so verletzlich", sagt der Wachmann Hans einmal über die Geflüchteten in den Wohnheimen, zwischen denen die er Schicht für Schicht seine Runden dreht. Ein kleiner unscheinbarer Schlüsselsatz in Thomas Stubers neuem Film "Die stillen Trabanten" - und zwar im doppelten Sinne. Zum einen klingt er wie ein Selbsteingeständnis: Denn verloren sind in diesem Film im Grunde alle auf ihre eigene Weise. Und verletzlich sowieso. Auch wenn sie erst mal versuchen, die Fassung zu bewahren.

Die kleine Geste der Anteilnahme des Wachmanns am Rande der Nacht erzählt aber auch von einer Verwandlung. Denn Hans habe mal anders gedacht über Ausländer, sagt er. Die Zuschauer sind ihm schon einmal begegnet. Im Prolog des Films, dem einzigen Teil, der ausschließlich im - wenn auch wolkengrauen - Tageslicht spielt. Als Chef eines Teams von Straßenarbeitern war Hans damals Zeuge, wie ein geflüchtetes Mädchen starb. "In einem deutschen Wald. Heute sind da nur noch Windräder."

"Die stillen Trabanten" ist bereits die vierte Zusammenarbeit von Regisseur Thomas Stuber und Schriftsteller Clemens Meyer. Das Drehbuch entstand gemeinsam, nach Erzählungen von Meyer. Nach dem Kurzfilm "Von Hunden und Pferden" und den beiden Spielfilmen "Herbert" und "In den Gängen" ist es wieder ein Film über "einfache" Leute geworden. Keine pathetischen Mittelstandsleute. Sondern die Unscheinbaren. Die Malocher, Imbissbesitzer, Reinigungskräfte und Nachtschichtarbeiter, die sich mit Billiglöhnen durchschlagen und aus dem Tagesrhythmus der Masse herausfallen. Es sind Figuren von den Rändern der großen Städte, da wo die urbanen Lebensweisen nicht hinreichen oder bezahlt werden können.

In einem leisen Episodendrama mit ausgezeichnetem Ensemble verwebt Thomas Stuber mehrere zufällige Begegnungen. Wie schon zuvor bei "Herbert" und "In den Gängen" spielt der Film wieder in Leipzig, wo Stuber und Meyer leben. Ostdeutschland ist aber nur Schauplatz, nicht so sehr Thema. Eine Hauptrolle hat dagegen wieder die Nacht. In ihr wandeln die hart arbeitenden Menschen als zarte, einsame und vom Leben verwundete Wesen umher, treffen aufeinander und nähern sich an. Ein kurzes Leuchten in der Dunkelheit, das die Schwere des Alltags vergessen lässt.

Verstohlene Blicke in der Nacht, mehr ist nicht erlaubt

Christa (Martina Gedeck) reinigt nachts für die Bahn Züge und sucht nach Feierabend Trost bei einem Schnaps in der Bahnhofskneipe "Gleis 8", bis eines Abends die Friseurin Birgitt (Nastassja Kinski) am Nebentisch sitzt. Die Verheißung eines neuen Glücks, das nicht lange halten wird. Im Plattenbau gegenüber verliebt sich Bistrobetreiber Jens (Albrecht Schuch) bei der spätnächtlichen Zigarette auf dem Balkon des Treppenhauses unglücklich in seine Nachbarin Aischa (Lilith Stangenberg). Nacht für Nacht rauchen die beiden, blicken auf die Lichter der Stadt und tauschen verstohlene Blicke aus.

Mehr ist nicht erlaubt. Aischa ist zum Islam konvertiert und mit Hamed verheiratet. Es bleibt eine unerfüllte Liebe. Ähnlich geht es dem einsamen Wachmann Erik (Charly Hübner). Wie sein Kollege Hans zieht er mit seinem namenlosen Schäferhund jede Nacht seine Bahnen durch die Wohnheime der Geflüchteten und entwickelt Gefühle für die junge Russin Marika (Irina Starshenbaum). Alle sind auf die eine oder andere Art Wendeverlierer. Trotzdem sind ihre Geschichten universell. Drei lose verknüpfte Episoden aus der Melancholie der Nacht, die eines eint: der Wunsch nach Zuneigung und Glück.

Clemens Meyer und Thomas Stuber sind ein gutes Team. Meyer hat in seinen Erzählungen ein Gespür für die komplexen Gefühlswelten der Menschen in den Trabantenstädten. Und Stuber findet dafür passende Bilder. Triste Alltagskulissen werden bei ihm zu Orten versteckter Schönheit. Der Treppenabsatz im Plattenbau, die zügige Bahnhofshalle, der Sportplatz neben der Flüchtlingsunterkunft - in Stubers Filmen ist hier Raum für Sehnsucht, Träume, Annäherung und Hoffnung. Im Licht der Nacht sind es verzauberte Orte.

Die stillen Trabanten, Deutschland 2022 - Regie: Thomas Stuber. Buch: Clemens Meyer, Thomas Stuber. Kamera: Peter Matjasko. Mit: Martina Gedeck, Nastassja Kinski, Albrecht Schuch, Lilith Stangenberg, Adel Bencherif, Charly Hübner, Irina Starshenbaum, Peter Kurth. Warner Bros., 120 Minuten. Kinostart: 01.12.2022

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