Ist der Welt etwas gewonnen, wenn die Frauen sich endlich genauso schlecht benehmen wie die Männer? Städte anzünden, Babys ins Feuer werfen und aus beleidigten Ehrgefühlen heraus "gerechte" Rachefeldzüge anzetteln? Wäre den Frauen geholfen, wenn sie abends wie die Männer blutüberströmt ins Lager zurückkehren könnten, um von meuchlerischen Taten zu prahlen, ansonsten im Leben aber nur die Freiheit hätten, zwischen Nibelungentreue und Führermord zu wählen? Ist das die Gleichheit, über die im Moment dauernd erregt diskutiert wird, wenn es darum geht, dass es keine Geschlechterrollen mehr geben dürfe? Ein destruktiver Militärstaat in den Händen der Doppel-X-Chromosomen? Jedenfalls scheint es die Emanzipation zu sein, die Michael Thalheimer meint, wenn er Schillers "Räuber" fast nur mit Frauen besetzt.
Seine Austauschvariante von Gleichberechtigung wird ausdrücklich im Programmheft damit begründet, ein klischeefreies Weltbild zu unterstützen, nach dem es egal ist, ob die Täterrolle nun "männlich, weiblich oder non-binär" ausgefüllt wird. Und in diesem Geiste inszeniert Thalheimer bei seiner Rückkehr ans Hamburger Thalia-Theater nach zehn Jahren Regieabstinenz eine Behauptung von Gerechtigkeit, die eigentlich nur aussagt, dass auch alles beim Alten bleiben kann. Wenn Frauen als die tonangebende Gewalt die gleichen beleidigten Sturköpfe mit egomanischem Scheuklappenblick auf Konflikte und Verhältnisse sind, wie es hier in aggressiver Thalheimer-Manier gezeigt wird, wozu braucht es dann die Anstrengungen des Geschlechterkampfes?
Lisa Hagmeister führt in bauchfreie Modeartikel gekleidet ihre Frauengruppe in die böhmischen Wälder
Lisa Hagmeister ist Thalheimers Karl Moor, jener durch Intrige fehlgeleitete Ehrenmann, der sich aus Enttäuschung über Vater und Freundin ins Freischärlertum stürzt, moralisch kärglich ummäntelt mit einem Prospekt guter Absichten über soziale Umverteilung. Sie führt in bauchfreien Modeartikeln gekleidet (Kostüme: Nehle Balkhausen) ihre Frauengruppe in die böhmischen Wälder, wo sie sich endlich mit der Kippe in der Hand anbrüllen können, Treue bis in den Tod schwören und böse Kapitalisten erdolchen. Wobei es den kleinen Unterschied im Umgang mit der Beute, den Schiller in seinem Dramenerstling von 1782 zum Spaltpilz der Gesinnung werden ließ, auch bei Thalheimer gibt, wenn auch nur grob skizziert: Spiegelberg (Cathérine Seifert) will alles Geld nur für sich, der "edle" Karl gibt es den Witwen und Waisen.
Franz Moor, Bruder und Intrigant aus gekränkter Seele, ist der einzige Mann auf der Bühne. Merlin Sandmeyer, gekleidet wie John Travolta im Disco-Film "Saturday Night Fever", nur in Mintgrün, spielt den zurückgesetzten Zweiten im Hause Moor, als sei er der Grinch (was vielleicht die komische Farbe seines Dreiteilers erklärt). Zwei Stunden übertrieben zappelnd versucht er konsequent, bloß keinen psychologischen Ernst aufkommen zu lassen, der diesen Geschlechtssolisten von seiner klischeehaften Zuschreibung befreien würde, eine lächerliche Figur zu sein. Wiewohl die berühmtesten Intriganten der Theatergeschichte, von Richard III. und Jago zu Sekretär Wurm und Franz Moor, eigentlich alle dadurch charakterisiert sind, dass sie ihre bösen Absichten von Anfang an klarmachen, die anderen aber trotzdem zu täuschen wissen, lässt dieser letzte Mann im Frauenkrieg das Täuschen lieber gleich ganz weg.
Vom ersten Moment seines Auftritts an, als Franz aus einer goldenen Lichttonne in einem Säulenrund befreit wird (Bühne: Olaf Altmann), ist dieser Verrenkungskünstler eine durchsichtige Karikatur, genauso wie die von beiden Brüdern angebetete Amalia von Edelreich (Lisa-Maria Sommerfeld). War diese selbstbewusste Frau mit untrüglichem Gerechtigkeitssinn schon im 18. Jahrhundert ein Vorbild an emanzipiertem Auftreten, als Frauen weder wählen noch über ihr eigenes Geld bestimmen durften, so ist die hier gezeigte Zurückstufung in eine Göre in Puppenkleidern mit blonder Doris-Day-Perücke und X-Beinen eine Umkehrung zum Schlechteren, die sich schwerlich erklären lässt. Auch nicht als irgendwie nötiger Kontrast zu den brüllenden Sackkraulern ohne Sack, die hier im Gefolge von Frau Karl die Machtgefühle des Blutrauschs erleben. Denn die sind genauso grobes Klischee.
Das Schlimmste an diesem Versuch, Frauenemanzipation aus der Männerperspektive zu erzählen, ist aber die große Langeweile. Die millionste Inszenierung der "Räuber" am deutschen Stadttheater verspricht zwar einen radikal anderen Zugriff auf Schillers Sturm-und-Drang-Pathos vom freiheitsliebenden Mann und seinen gesellschaftlichen Widerständen durch Gesetze, Moral und Neid. Tatsächlich erzählt Michael Thalheimer aber nur eine Handlungszusammenfassung des Stücks, bei der Frauen Männer spielen, und zwar als Männer. Kann man nur hoffen, dass sie dafür wenigstens genauso gut bezahlt werden wie ihre Kollegen.