Die Prosaschriftstellerin Elfriede Jelinek:Schwarze Koloratur

Ein Preis für nicht angepasste Literatur - wie schön, wenn so viel Widerstand und Überdruss auf einhellige Zustimmung stößt. Prosa und Drama - die zwei Seiten im Werk von Elfriede Jelinek.

Von Thomas Steinfeld

Als Horace Engdahl, der Sekretär der Schwedischen Akademie, gestern Mittag vor die Mikrophone trat und sagte: "Der Nobelpreis für Literatur 2004 geht an die österreichische Schriftstellerin Elfriede Jelinek" - da war es, zum ersten Mal seit Menschengedenken, vor dem großen Saal in "Börsen" für einen Augenblick ganz still.

Auch der fast schon obligatorische Ruf "endlich" war nicht zu hören.

Vielleicht, weil keiner mit dieser Entscheidung gerechnet hatte. Wahrscheinlich aber auch, weil den wenigen Menschen im schwedischen Publikum, die mit dem Werk von Elfriede Jelinek vertraut sind, sofort klar gewesen sein dürfte, dass dies ein schwieriger Entschluss ist.

Schwierig muss dabei im doppelten Sinne verstanden werden: Als Entscheidung gegen den breiten Strom des realistischen Erzählens wie als Entscheidung für eine Repräsentantin einer kleinen Literatur.

Denn zur großen, weltweit gelesenen Dichtung wird das Werk von Elfriede Jelinek nicht gehören. So sehr man sich darüber freuen mag, dass wieder eine deutschsprachige Autorin den höchsten aller literarischen Preise erhalten wird, so offensichtlich ist auch, dass der Weltausschnitt, der in den Werken von Elfriede Jelinek in oft pathetischen, schrillen, spitzen Worten dargestellt wird, ein sehr kleiner, sehr österreichischer, sehr nach innen gewendeter ist.

Von "wir sind lockvögel baby!" (1970) bis zu "Gier. Ein Unterhaltungsroman" (1999): Immer war die Welt, durch die sich Elfriede Jelinek in ihren Büchern schlug, eng, schäbig, niederträchtig. Und je älter sie wurde, desto enger und schäbiger wurde auch, was es aus diesem Ausschnitt zu berichten gab.

Aus Prinzip gegen das Klischee

In der Begründung, die Horace Engdahl für die Entscheidung lieferte, heißt es, dass Elfriede Jelinek "mit einzigartiger Leidenschaft die Absurdität und zwingende Macht sozialer Klischees" entlarve. Das ist nicht falsch, aber es ist nur die eine Seite der Wahrheit. Zur anderen Seite gehört, dass Elfriede Jelinek selbst zu Klischees neigt, dass sie Ressentiments kultiviert und inszeniert.

Selbst Elfriede Jelineks Feminismus hat wenig mit dem zu tun, was die Frauenbewegung an emanzipatorischem Gedankengut in die Gesellschaft tragen wollte - wenn sie ihren Roman "Lust" einen "Antiporno, allerdings in obszönem Idiom" nennt, dann beschreibt sie diesen Feminismus als Schlüssel zur mentalen Erregung, und es ist keineswegs eindeutig, was hier worauf folgt: die Erregung auf die Zumutung oder die Zumutung auf die Erregung.

Schwarze Koloratur

"Entlarven" - das klingt wie Aufklärung. Aber das Wort trifft für Elfriede Jelinek nicht zu. Was sie in "Michael. Ein Jugendbuch für die Infantilgesellschaft" (1972) mit der Populärkultur anstellt, in der "Klavierspielerin" (1983) mit dem Verhältnis zwischen Mutter und Tochter und Liebhaber, in "Lust" (1989) mit dem Geschlechtsleben oder in "Die Kinder der Toten" (1995) mit der österreichischen Geschichte macht, gehört kaum zur Aufklärung, sondern bildet ein spätes, schwächeres Glied in der langen Literaturgeschichte von österreichischen Missvergnügten, Polemikern, Schmährednern und Zerrspiegelvorhaltern.

Elfriede Jelinek erhält heute den Nobelpreis, den Thomas Bernhard vor zwanzig Jahren hätte bekommen können. Aber es geht bei diesen Preisen nicht ausschließlich um literarische Gerechtigkeit, sondern auch um Vorliebe und Proporz.

All diese Missvergnügten, Satiriker wie Karl Kraus, Bauchredner wie Helmut Qualtinger, sind empfindliche Menschen - aber keiner von ihnen findet aus der Subjektivität heraus, was notwendig wäre, um einen gesellschaftlichen Missstand zu "entlarven". Statt dessen jammern sie und kreischen, schimpfen und pöbeln manchmal auch herum, und ihr Schmerz ist immer auch Anklage wider die Weltlage im allgemeinen und Österreich im besonderen.

Ihr Widerstand bleibt subjektiv

Ihr Widerstand bleibt subjektiv und findet nicht zu Verstand und Analyse. Seine Grundhaltung ist der drohende Nervenzusammenbruch, seine Triebkraft das Ressentiment, und wenn Elfriede Jelinek in ihrem szenischen Essay "Totenauberg" von 1992 Martin Heidegger auftreten lässt, so hat sich dieser ein plumpes Amalgam aus ranzig gewordenen Klischees einer längst vergessenen republikanischen Linken verwandelt.

Elfriede Jelinek ist virtuos, so virtuos, dass die schwedische Akademie bei ihr zurecht den "musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen" lobt. Sie beherrscht die Sprache in all ihren Registern, sie kann tückisch und grob, zart und feierlich zugleich sein. Und sie liebt den Kalauer, den scheinbar - aber sich vor allem dem Gleichgesinnten erschließenden - entlarvenden Witz der Sprache.

Aber virtuos kann man auch mit Ressentiments umgehen, mit unbegründeten Vorwürfen und verfehlten Urteilen. Zur Musikalität von Elfriede Jelinek gehört der freihändige Umgang mit der Nervensäge, dem Nebelhorn und der Matschpauke. Zusammen bilden sie ein kakophones Meisterorchester, an dessen Mitte eine dunkle Königin steht, la belle dame sans merci, und schwarze Koloraturen singt.

Nicht jede Provokation aber ist ein Verdienst. Elfriede Jelinek will den Skandal, und am liebsten hat sie ihn, wenn er in hochpathetischen Formen daherkommt. Sie forscht nach ihm, sie sucht nach ihm, um seinetwillen treibt es sie in allerhand dunkle Winkel.

Aber zu Unrecht vermutet die schwedische Akademie, im Skandalösen liege auch das ästhetisch Fortschrittliche - diese Verbindung hat einmal existiert, in der klassischen Moderne, doch längst gehören auch die wildesten expressionistischen Ausbrüche in den Grundbestand der ästhetischen Konvention. Überhaupt müsste eine solche, der Gesellschaft, so wie sie ist, durchaus feindlich gesonnenen Avantgarde doch sehr stutzig werden, wenn sie von einer amtierenden Staatsministerin für Kultur für ihre "gnadenlose Zumutung" gelobt wird.

Gespannt wartet die schwedische Presse nun auf militante Reaktionen von den österreichischen Rechten - und jeder Jörg Haider, der aus der Haut fährt, wird in ihren Augen die Entscheidung der Akademie bestätigen. Der Schriftsteller Per Wästberg, Mitglied der Akademie, erläuterte dann auch gleich, Elfriede Jelinek habe "die Konsumgesellschaft Österreich kritisiert, die ihre eigene Vergangenheit aufgearbeitet habe" - ganz so, als wäre die große Revolte der sechziger Jahre nie vergangen, als wäre man als Kritiker immer im Recht.

Ein Preis für nicht angepasste Literatur - wie schön ist es, wenn so viel Widerstand und Überdruss auf so einhellige Zustimmung stößt.

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