Süddeutsche Zeitung

Die Plakate der 68er:Krampf im Klassenkampf

"Politik, Pop und Afri-Cola": Was die Generation der 68er prägte, zeigt das Museum Folkwang mit bizarren Plakaten eines wilden Jahres.

Volker Breidecker

Plakativer als gegenwärtig in Essen hätten die landesweiten Feierlichkeiten zum vierzigjährigen Jubiläum des so langen Jahres 1968 gar nicht aufmachen können: Im soeben wiedereröffneten Altbau des Museums Folkwang führt der Weg zu der Schau "Politik, Pop & Afri-Cola. 68er Plakate" durch eine Ausstellung von Gegenwartskunst unter dem Titel "Fusion // Confusion":

Sie zeigt Werke von Künstlern aus West- und Osteuropa, die sich mit den modernistischen Formen der sechziger Jahre auseinandersetzen. Groß ist die Konfusion des Besuchers, wenn ihm in dem verdunkelten Raum vor dem Übergang zur Ausstellung des "Deutschen Plakat Museums" die großflächige Videoprojektion des litauischen Künstlers Diamantas Narkevicius ins Auge fällt: ein Film über den Abriss und Abtransport eines gewaltigen bronzenen Lenindenkmals aus der Hauptstadt Vilnius nach 1989.

Aber nein, so lehrt genaueres Hinsehen: Das "Once in the 20th Century" betitelte Video lässt das von den Passanten auf den Straßen von Vilnius gefeierte Ereignis rückwärts laufen, bis der überlebensgroße Lenin unter dem Jubel der Menschen wieder auf seinen Sockel zurückgekehrt ist. Verdrehte Jahre, sagt sich der Besucher.

Aber auch so taucht vor seinem inneren Auge eine Ikone des Jahres 1968 auf und er macht sich schnurstracks auf den Weg, sie in der Ausstellung wiederzufinden: Jenes knallrote Poster, mit dem der SDS, der Sozialistische Deutsche Studentenbund, 1968 auf sich aufmerksam machte - unter den Profilbildnissen der Häupter von Marx, Engels, Lenin und mit dem von der Bahnwerbung abgekupferten Slogan "Alle reden vom Wetter: Wir nicht." In der Essener Schau findet man das Gesuchte aber erst an einer etwas abgelegenen Stelle, deren Wände mit "Politik und Gesellschaft" überschrieben sind.

Psychedelische Verfremdung

Und anders als erwartet, stauten sich auch die Besucherströme bei der Ausstellungseröffnung nicht vor den politischen Plakaten, sondern ganz woanders, in der Abteilung Musik. Dahin strömte das Publikum, und dort hielt es am längsten inne vor den wie ein Triptychon nebeneinander gehängten Plakaten dreier Helden des Pop, Rock und Blues: Jimi Hendrix, Frank Zappa und John Mayall.

Die Entwürfe, die mit den Mitteln der psychedelischen Verfremdung und mit Anleihen bei den floralen Mustern des Jugendstils arbeiten, stammen von dem 1930 geborenen Grafiker Günter Kieser, der für die legendäre Frankfurter Konzertagentur Lippmann & Rau arbeitete. Plakate wie diese wurden nicht zur Ankündigung von Tourneedaten verwendet, sondern lagen wie das Exemplar mit dem von popfarbenen Plastikrohren gleichsam elektronisch verkabelten Haupt von Jimi Hendrix - schon Monate vor dessen Deutschlandtournee - der 1968 erschienenen Schallplatte "Electric Ladyland" gefaltet und herausnehmbar bei.

Auf solchen Wegen, deren Vertrieb schon bald eine ganze Industrie für nunmehr "Poster" genannte Bildträger unterhielt, wanderte ein Medium, das ursprünglich für die Straße und für die Werbung auf Litfasssäulen geschaffen wurde, in die Innenräume jugendlicher und studentischer Heimstätten. Die von dem Kulturwissenschaftler Alexander Grönert kuratierte Schau belegt die Abhängigkeit dieser Plakatkunst von der Rockmusik und von einer Popkultur, die sofort auch in die kommerzielle Werbewelt eingezogen war: Am wirkungsvollsten in Charles Wilps mit dem psychedelischen Rausch spielende "Afri-Cola"-Serie, deren Slogan alle Schlüsselbegriffe der neuen Jugendkultur zusammenfasste: "sexy - mini - super - flower - pop - op-cola".

Das Jahr 1968, das ohnehin schon 1967 oder noch früher begonnen hatte, war nicht nur das Jahr des politischen Protests, der Revolte, der weltweiten Mobilisierungen. Es war auch das Jahr des White Albums der Beatles und des "Beggars Banquet" von den Rolling Stones, das Jahr von Jimi Hendrix und der Cream, das Jahr, in dem Johnny Cash den "Folsom Prison Blues" sang. Es war aber auch das Jahr, in dem in Deutschland die Documenta 4 eröffnet wurde.

Eine harte Linke

Die knallbunten, vor allem in Rot-, Gelb- und Blautönen leuchtenden Farben der amerikanischen Pop Art, die auf der Kasseler Documenta zum internationalen Durchbruch gelangten, sind in der Essener Plakatausstellung allgegenwärtig: Ein Plakat des mit fetten roten Lettern zeichnenden SDS verspricht in der Form eines an Roy Lichtenstein und die Ikonographie des Superman angelehnten Comicbildes per Sprechblase, der "Reaktion eine harte Linke" zu verpassen.

Und die großen Porträts von Che Guevara, Mao Tse-tung, Ho Chi Minh und - nach dem Attentat - Rudi Dutschke weisen auf die Gebrauchsformen solcher ambulanten Bildträger bei Demonstrationen hin: Sie fungieren als Ausweise und Projektionsflächen gemeinsamer Gesinnungen. Sie dienen der rhythmischen Koordination der Bewegungen zu mehr oder minder geschlossenen Blöcken, die sich in den nächsten Zügen dann auch zur Abgrenzung gegenüber konkurrierenden linken Gruppen formieren.

War die Protestbewegung von 1968, war der Sound der Revolte, in dem Bilder und Töne rhythmisch einander berührten, am Ende ein musikalisches Phänomen? Eines wird aus der Essener Ausstellung ganz und gar deutlich: Die nach der Art von säkularisierten Fronleichnamsprozessionen mit einem ganzen Brimborium von Ikonen, Fahnen und anderen Bildträgern auf den Straßen gesuchten, zuweilen auch rauschhaften Gemeinschaftserlebnisse zehren vom selben Sound, der damals auch die Konzerthallen füllte und über die Plattenteller lief.

Zwischentöne sind nur Krampf

Und wenn es dafür eines letzten Beweises bedarf, so wird er ebenfalls von dieser Ausstellung erbracht. Denn sie präsentiert auch eine archäologische Ausgrabung: Zwischen Monterey 1967 und Woodstock 1969 gelegen, war Essen im September 1968 der Schauplatz eines ersten großen europäischen Musikfestivals der Pop- und Rock-, der Lied- und Protestkultur. An fünf Tagen - im Anschluss an den Katholischen Kirchentag, auf dem sich eine "Katholische Außerparlamentarische Opposition formierte" - waren auf fünfzig Veranstaltungen vor vierzigtausend jungen Leuten alle da: von Frank Zappa über Julie Driscoll, Brian Auger und Alexis Korner, Peter Brötzmann, Amon Düül und Tangerine Dream, bis zu Hannes Wader, den City Preachers und zu Franz-Josef Degenhardt traten elektrische und akustische Gitarren in einen Wettstreit.

Während Zappa sich bei diesem, seinem ersten Deutschlandauftritt in einem Rundfunkinterview darüber beklagte, dass die Deutschen es vorzögen, über Musik zu reden, statt ihr zuzuhören, stimmte Degenhardt auf seiner Klampfe ein anderes Lied an: "Zwischentöne sind nur Krampf / im Klassenkampf." Auf diesem Festival hatte zum Ausklang des deutschen "Summer of Love" das Jahr 1968 seinen Höhepunkt überschritten und war damit eigentlich schon zu Ende.

Politik, Pop & Afri-Cola. 68er Plakate. Eine Ausstellung des Deutschen Plakat Museums im Museum Folkwang Essen. Kahrstraße 16. Info: 0201 /88 45 301. Bis zum 16. März. Der Katalog kostet 19,80 Euro.

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Quelle:
SZ vom 14.1.2008/kur
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