Als YouTube vor einigen Wochen eine Stelle im Marketing ausschrieb, suchte das Videoportal auf gar keinen Fall einen Manager. Man wollte schließlich jemanden auf der Höhe der Zeit, eine Person, "die erkennt, wie sich auf YouTube Trends entwickeln und die anhand dieser Trends erklären kann, wie das Internet die Gesellschaft verändert". Pioniere also, Bahnbrecher, Vorreiter, Pistensucher - aber bitte keine Manager. Glücklicherweise hatten die Dichter aus der Personalabteilung noch einen besseren Titel parat: Sie suchten einen "Curator".
Kann vielleicht auch nicht den ganzen Müll für uns loswerden, ist aber zumindest eine echte Kuratorin: Romina Schiavone im Römer Museum in Xanten mit einer 1750 Jahre alten Fußfessel.
(Foto: dpa)Einen Kurator also. Schon die New York Times hatte sich vor einiger Zeit gewundert: Warum verkaufen Szeneläden in Houston plötzlich nicht mehr bloß Schuhe, Bücher und Musik, sondern zeigen eine "kuratierte Produktauswahl" auf ihrer Website? Weshalb lassen Flohmarktveranstalter in Brooklyn nicht einfach Imbissbuden aufs Gelände, sondern geben an, sie persönlich würden "das Speiseangebot kuratieren"? Und weshalb kann man im Netz lesen, ein Blogger habe durch seine Videoauswahl "die Erlebnisse japanischer Erdbebenopfer kuratiert"?
Die Antwort der Times lag nahe: Designer, DJs, Partyveranstalter, Blogger und Ladenbesitzer sagten eben "kuratieren", wenn sie "wählen", "aussuchen" und "präsentieren" meinten. Das sei ihr Code, um mitzuteilen: "Ich habe einen herausragenden Geschmack." Ein Linguist erklärte, dass man sich auf diese Weise eben ein bisschen aufbläst: "Man deutet an, dass eine Ähnlichkeit besteht zwischen dem, was man selber tut, und dem, was jemand mit Universitätsabschluss in einem Museum tut."
So weit, so offensichtlich. Die endgültige Befreiung des Kurators aus der Museumswelt versucht ein in diesem Jahr erschienenes Buch: "Curation Nation", von dem Internet-Unternehmer, Filmemacher und (selbstverständlich) Kurator Steven Rosenbaum (Curation Nation: Why the Future of Content is Context and How to win in a world where Consumers are Creators" McGraw Hill, New York 2011).
Auch Rosenbaum zeigt erst mal, dass sich "Kuratoren" zur Zeit schneller und unkontrollierter verbreiten als Bakterien auf einem alten Küchenlappen. Danach erklärt er, worum es ihm geht: "Wenn Kunstwerke und vielleicht auch Schuhe oder sogar Damenunterwäsche kuratiert werden, ist das im Grunde nichts Neues. Dieser Trend reicht heute von den heiligen Hallen der Museen bis in die banalen Warenlager des Einzelhandels. Dabei geht es aber immer nur darum, in der echten Welt echte Dinge zu sortieren. Wirklich neu ist das Kuratieren dagegen in der Welt der Bits und Bytes im World Wide Web." Der Grund: Wir ertrinken bald alle in einem "Daten-Tsunami". "Von Beginn der Zivilisation an bis zum Jahr 2003", zitiert Rosenbaum Google-CEO Eric Schmidt, "wurden etwa fünf Exabyte Information produziert. So viel entsteht heute alle zwei Tage. Und die Geschwindigkeit nimmt weiter zu."
Da könnte man natürlich versucht sein, sich mit einem Stapel Bücher in den Wald zurückzuziehen - aber Ignoranz ist keine Lösung. Hier kommen deshalb die Kuratoren ins Spiel: Als Menschen, die wie eine Art Reader's Digest fürs digitale Zeitalter die zunehmend überwältigende Masse der Inhalte filtern, die sich mutig zwischen uns und den ohrenbetäubenden Lärm, den bunt flackernden Wahnsinn und die einen bis zur Übelkeit vollstopfenden Füttermaschinen stellen, ihre Auswahl treffen und diese in einem hellen, ruhigen, zur Kontemplation einladenden Raum präsentieren. Helden also, die uns vor dem Chaos retten.
Eines ist damit wenigstens schon mal klar: Warum man heute nicht mehr so viel über die dem Kurator eigentlich verwandten DJs redet. In den 90er Jahren war die sogenannte DJ Culture der größte Metaphern-Selbstbedienungsladen: Wenn man nicht mehr weiter wusste, sprach man einfach vom "Kultursampling".