Süddeutsche Zeitung

"Die Lincoln Verschwörung" im Kino:Wenn Amerika seine Werte vergisst

Als George W. Bush Präsident war, wurde Robert Redford zum politischen Filmemacher. Mit "Die Lincoln Verschwörung" präsentiert er ein spannendes Gerichtsdrama aus der Bürgerkriegszeit. Doch die Parallelen in die Gegenwart sind offensichtlich.

Susan Vahabzadeh

Wir können der Geschichte nicht entkommen, das hat Abraham Lincoln gesagt, drei Jahre vor seinem Tod, in einer Rede an den Kongress. Den Satz, so scheint es, hat sich Robert Redford für seinen neuen Film "Die Lincoln Verschwörung" hinter die Ohren geschrieben.

Redford hat seine ganze Karriere lang immer politisch Position bezogen - als Regisseur hat er aber erst damit angefangen, als ihm die Ära Bush jr. über den Kopf wuchs, der Irak-Krieg und der Patriot Act das Amerika, an das er glaubt, bedrohten. Trotzdem ist dann einiges schiefgelaufen bei seiner letzten Regiearbeit, "Von Löwen und Lämmern" vor vier Jahren, diesem verfilmten Leitartikel, der ihm zu einer Anklage gegen die Gegenwart geraten war - und dabei die Regeln des Erzählens im Kino hinter sich ließ. Es wurden sehr viele politische Positionen verbal belegt in diesem Film, alle nicht ganz falsch - aber "Von Löwen und Lämmern" wies keinen Moment lang über sich hinaus. Auch in "Die Lincoln-Verschwörung" wird viel geredet, für schlichtes Popcorn-Kino, das keine Konzentration erfordert, ist Redford nun mal nicht zu haben. Nur hat er sich diesmal auf all die Qualitäten als Filmemacher besonnen, die er ja tatsächlich hat.

Zunächst einmal: "Die Lincoln-Verschwörung" ist ein wunderbares, atmosphärisches Stück Kino geworden. Redford lässt das Washington der Bürgerkriegsjahre wiederauferstehen im Sonnenlicht der Verheißung - manche seine Einstellungen sehen aus wie Gemälde, er orientiert sich visuell an der Malerei, nicht an der frühen Fotografie. In weiten Teilen ist der Film ein klassisches Gerichtsdrama, ein ungeheuer spannendes dazu, obwohl der Ausgang einigermaßen bekannt ist - wenngleich keineswegs in allen Details, die der Drehbuchautor James Solomon, nach jahrelanger Recherchearbeit, hier ausbreitet.

Es geht um den Prozess nach der Ermordung Abraham Lincolns. Am Karfreitag 1865, dem 14. April, als die Union im Norden den Krieg gegen die Konföderierten im Süden schon fast für sich entschieden hatte, sollte ein großer Coup die Regierung in Washington enthaupten - "Die Lincoln-Verschwörung" beginnt mit dieser verhängnisvollen Nacht, in der drei Männer den Außenminister William H. Seward, den Vizepräsidenten Andrew Johnson und den Präsidenten Lincoln ermorden wollten - nur letzteres gelang, Lincoln wurde von dem Schauspieler John Wilkes Booth erschossen. Booth floh, aber die Spur seiner Mitstreiter führte in ein Gästehaus in Washington. Noch in der selben Nacht tauchte die Polizei dort auf. Auch die Eigentümerin des Hauses, Mary Surrat, wurde verhaftet - alle Angeklagten wurden von einem Militärgericht zum Tode verurteilt. Und Mary Surrat wurde schließlich die erste Frau, an der in Amerika die Todesstrafe vollstreckt wurde.

Die Eckdaten dieser Geschichte sind bekannt, aber erst wenn man sie so sehr aufdröselt, wie Redford es tut (der Film ist das erste Projekt der American Film Company, die historisch korrektes Material produziert), entwickelt sie ihr tatsächliches Gewicht in der Gegenwart. Dem jungen Anwalt Frederick Aiken (James McAvoy) wird die Aufgabe zugewiesen, Mary Surrat zu verteidigen, er ist für den Norden in den Krieg gezogen und will sie deshalb nicht verteidigen: Seine eigenen Überzeugungen sträuben sich dagegen, und der Job macht ihn gesellschaftlich unmöglich. Die erste Schlacht hat er schnell verloren: darum, ob der Prozess, da Mary Surrat doch nun eindeutig eine Zivilistin ist, vor einem normalen Gericht stattfinden sollte - dass es ein Militärgericht sein würde, und dass es hier eher darum geht, ein Exempel zu statuieren als darum, Recht zu sprechen, das ist schnell klar. Und Aiken, im Herzen Anwalt, fängt Feuer.

Die fehlenden Nuancen zwischen Gut und Böse

So wie Redford von Mary Surrat erzählt, geht es eben nicht nur um einen Fall von 1865, sondern um den Krieg gegen den Terror und Guantanamo und die Polarisierung einer Gesellschaft, die in einer Krise nicht bereit ist, sich auf die Nuancen zwischen Gut und Böse einzulassen. Der Film selbst erlaubt sich Nuancen und romantisiert den siegreichen, Gleichheit stiftenden Norden nicht. Wer Redfords Anklage gegen die Sklavenhalter im Süden vermisst - der hat ihn nicht verstanden: Das ist eben nicht der Punkt.

Redford hat aber nicht alle Verschwörer ins Zentrum der Geschichte gestellt, sondern nur Mary Surrat, ein strittiger Fall von Anfang an. Robin Wright spielt sie, ein wenig fragil - in Wirklichkeit litt sie furchtbar. "Die Lincoln Verschörung" schlägt sich mehr und mehr auf iher Seite, mit allen subtilen Tricks, mit denen Hollywood einem seinen Willen aufzwingt. Obwohl Aiken die Unschuld seiner Mandantin zu keinem Zeitpunkt tatsächlich belegen kann - das Mitfiebern um den bekannten Ausgang des Prozesses ist fast unausweichlich. In Amerika hat man Redford das vorgeworfen - im Grunde läuft es darauf hinaus, dass er keinen Film über die Frage nach der Mitschuld dieser Frau an Lincolns Tod machen sollte - weil sie ja auf jeden Fall auf Seiten der Sklavenhalter war. Vielleicht war sie wirklich nur eine Frau, die mit den Konföderierten sympathisierte, aber keine Ahnung hatte, was geplant war für den Abend des 14. April 1865. Der Film legt sich da nicht fest: Er hat Zweifel.

Gleichung auf die Gegenwart

Manchmal wirkt "Die Lincoln Verschwörung" wie eine Gleichung auf die Gegenwart: Wenn Kevin Kline bei Redford als Verteidigungsminister Stanton seinen Standpunkt darlegt, warum er Surrat einen normalen Zivilprozess vorenthalten wird - das klingt fast so abgebrüht wie Dick Cheney, der den Patriot Act verteidigt oder Waterboarding. Ach, es findet sich gar eine Rolle für Obama in diesem Historienstück: Aikens Chef, der zwar das richtige will, es aber vorzieht, sich mit keinem anzulegen. Ein rechtschaffener, versöhnlicher Zauderer.

Auch in diesem Krieg ging es nicht nur darum, Ideale von Freiheit gegen verkrustete Ideologie durchzusetzen, es ging vor allem um Wirtschaftsinteressen und Macht. Lässt man den amerikanischen Bürgerkrieg, hat Golo Mann einmal geschrieben, 1865 enden, ergibt er eine glorreiche Geschichte. "Nimmt man aber die lange Geschichte der Nachkriegszeit, ein gutes Jahrzehnt, mit dazu, die Handhabung und Ausnutzung des Sieges, so verliert der edlere Funke sich in einem breiten, sehr trüben Strom. Wie wenig dauerhaft ist auch das Werk des besten Führers! Nur drei Jahre nach Lincolns Tod gab das politische Leben der Hauptstadt das Bild beschämenden moralischen Tiefstands; und schuld daran waren seine Parteifreunde." Es war die Geburt des politischen Washington von heute.

THE CONSPIRATOR, USA 2010 - Regie: Robert Redford. Drehbuch: James Solomon. Kamera: Newton Thomas Sigel. Mit: Robin Wright, James McAvoy, Kevin Kline, Evan Rachel Wood, Tom Wilkinson, Colm Meaney. Tobis, 123 Min.

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Quelle:
SZ vom 29.09.2011/gr
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