Die Krimi-Kolumne:Heißester Februar

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"Die Mauer", der zweite Roman von Max Annas aus Südafrika, erzählt von einem blutig endenden Missverständnis und den Schwierigkeiten des Zusammenlebens. Ein grausiger Slapstick aus einem zerrissenen Land.

Von Fritz Göttler

"Anschieben?", fragt der Professor, aber Moses, sein Student, winkt ab. "Geht ja bergab", meint er, und löst die Bremsen seines Toyota. Der Wagen setzt sich in Bewegung, der Professor wendet sich ab und geht ins Haus zurück. Der Motor stottert, als Moses ihn startet, springt dann aber doch noch an. Im Radio läuft schlechter Kwaito, der blecherne, schleppende Pop der Südafrikaner. Der Vertrag des Professors ist abgelaufen, er muss zurück nach Atlanta, Georgia. Deshalb durfte Moses sich an den vielen Büchern des Professors bedienen, zwei dicke Kisten voll hat er nun im Kofferraum. Auch das Cricket-Buch von C. L. R. James, ist dabei, dem linken Schreiber aus Trinidad, "Beyond a Boundary" von 1963. "Unglaublich. Sein einziges Exemplar." Es ist der heißeste Tag im heißesten Februar seit Jahren in Südafrika. Um eins will der Büchernarr Moses dann bei Sandi sein, geduscht, etwas Nettes angezogen, mit Champagner. Punkt eins.

Das wird natürlich nichts mit Punkt eins, im zweiten Roman von Max Annas, der mit seinem wilden Umzingelungsthriller "Die Farm" ein großartiges Krimidebüt hingelegt hat. Der Toyota gibt seinen Geist auf, vor den Toren von "The Pines", einer der weißen gated communities der Stadt, das Mobilphon hat keinen Saft mehr. Aber Moses meint sich an einen Buren zu erinnern, der dort wohnt, in einem der zweistöckigen Häuser, und wenn er den findet, könnte er um Hilfe telefonieren - und Sandi seine Situation erklären.

Ein Diebespaar nimmt sich eine Wiederauferstehung aus der Tiefkühltruhe vor

Es ist ein Leichtes, in diese Community sich hineinzumogeln, aber nahezu unmöglich ist es, wieder herauszukommen, immer die Mauer entlang, und es ist sehr umständlich und riskant, sich als ein Schwarzer drin zu bewegen. Misstrauische Blicke aus Häusern und Gärten, immer in Gefahr, einer versuchten Vergewaltiger bezichtigt zu werden, und am besten rennt man weg, wenn einem ein alter Weißer entgegenstapft mit dem Gehabe eines Blockwarts. Es sind typische Verhaltensmuster, wie sie in Südafrika immer noch gelten und wie sie auch in der übrigen Welt nicht unbekannt sind, in Amerika wie in Europa, überall dort, wo verschiedene Rassen ihr Zusammenleben gestalten müssen.

Zwei andere Eindringlinge sind in der geschlossenen Community unterwegs, das Paar Thembinkosi und Nozipho, sie klappern die - tagsüber oft leeren - Villen ab, sammeln Schmuck, Geld und Wertsachen ein. Es ist eine ganz natürliche Beschäftigung und eine ganz natürliche Location: "Viele Häuser, die Grundstücke nicht zu groß. Um Privatheit zu schaffen, waren überall kleinere und größere Mauern errichtet worden. Als Blickschutz gegen Nachbarn und Leute, die vorübergingen oder -fuhren. Nirgendwo aber durchgezogene Mauern, alle Grundstücke waren frei zugänglich. Und auf jedem gab es Möglichkeiten, sich für kurze Zeit zu verbergen. Wenn man wusste, wo die Kameras waren."

Sich ducken, sich verbergen, weglaufen, über Mauern und hinter Hecken springen, das macht die Dynamik des Romans aus, seine minutiöse Choreografie. Instinkte bestimmen das Verhalten, das heißt auch: Vorurteile, Aversionen, Rassenhass. Gegen Ende - da haben sich die Straßen der Community mit einem Haufen Security-Leuten gefüllt und dann auch mit richtigen Polizisten - führt ein Schusswechsel, der seiner ganz eigenen Mechanik folgt, innerhalb weniger Sekunden zu einem Blutbad. Thembinkosi und Nozipho nehmen sich eine Wiederauferstehung aus der Tiefkühltruhe vor. Es ist eine absurde Mechanik, besonders wenn man sie auf den Monitoren der Überwachungsfirma ansieht, in Ausschnitten und ohne Ton. Ein blutiger Slapstick.

Max Annas: Die Mauer. Thriller. Rowohlt Taschenbuch, Reinbek 2016. 223 Seiten, 12 Euro.

© SZ vom 30.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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