Süddeutsche Zeitung

Die Holocaust-Plakate von Peta:Vegetarische Moral

Eine vom Zentralrat der Juden erwirkte einstweilige Verfügung erspart dem deutschen Publikum den Anblick von Plakaten, auf denen Bilddokumente des Holocausts mit Aufnahmen aus der modernen Massentierhaltung zusammengestellt werden.

Von Gustav Seibt

Links ausgemergelte Opfer eines KZ, übereinanderliegend in engen Bettgestellen, rechts Hennen in einer Legebatterie und darüber der Schriftzug: "Wo es zum Tiere geht, wird jeder zum Nazi."

Das ist eines der Motive, mit denen die amerikanische Tierschutzorganisation Peta (People for the Ethical Treatment of Animals) auch in Deutschland für ihre Ziele - für eine Welt ohne Fleisch- , Milch- und Eierverzehr, ohne Pelz und Leder - werben wollte (und im Internet schon geworben hat). Damit wird die Dreistigkeit noch übertroffen, die Kampfhundehalter zeigten, als sie ihre vom Verbot bedrohten Lieblinge mit Judensternen am Halsband demonstrieren lassen wollten.

Adorno wird bemüht

Peta geht nicht ohne intellektuelle Raffinesse vor. Der Satz auf dem Plakat ist ein Zitat des jüdischen Schriftstellers Isaac Bashevis Singer, der Vegetarier war, und auf der deutschen Internetseite der Organisation wird unter vielen anderen auch Adorno bemüht: "Auschwitz fängt da an, wo einer in einem Schlachthof steht und sagt, es sind ja nur Tiere." Man sah also wohl, an welche Empfindlichkeiten man rührte, und versuchte, sich durch eine vorweg genommene Retourkutsche - bedeutende Juden denken wie wir! - zu schützen.

Wie soll man eine solche, präzise auf den hiesigen publizistischen Markt berechnete Taktik nennen? Mindestens wohl schmierig.

Auch bei den Peta-Plakaten zeigt sich, wie schnell Gedanken alles Gedankenhafte einbüßen, wenn man sie in Bilder übersetzt. Die Industrialisierung von Tierhaltung und Tierschlachtung - schwer vermeidbarer Begleitumstand einer großstädtischen industriellen Zivilisation - führt zu Grausamkeiten, die sich mit starken Gründen anklagen und bekämpfen lassen. Seit dem 19. Jahrhundert wird über diesen finsteren Untergrund des modernen Daseins reflektiert. Die Schilderung von Schlachthöfen ist ein locus classicus der Literatur.

Ethisches Gemeingut

Und dass Empfindsamkeit gegenüber allen Lebewesen zu einer voll ausgebildeten Sittlichkeit gehört, ist längst Gemeingut der Ethik. Die Leidensfähigkeit der Tiere in Schmerz und Angst ist uns durch ihre physischen Reaktionen und Blicke unmittelbar zugänglich; große Philosophen und Schriftsteller, nicht nur Adorno, auch Schopenhauer und Nietzsche, in unseren Tagen Hans Wollschläger, haben darauf immer wieder aufs beeindruckendste hingewiesen.

Viele Religionen haben Erbarmen gegenüber nichtmenschlichem Leben gepredigt. Das Alte Testament, dem die Vergottung von Tieren ein Gräuel ist, hat doch die Schonung der dem Menschen dienenden Lebewesen eingeschärft.

Nur der Schock zählt

Und der Mensch hat sich seit jeher in Tiergestalten gespiegelt. Die alte Gattung der Fabel lebt von solchen Identifikationen. Gerade der Holocaust hat in jüngster Zeit einige spektakuläre Wiederbelebungen dieses Genres provoziert. Art Spiegelmans Auschwitz-Comic "Mouse", bei dem Mäuse für Juden, Katzen für die SS und Schweine für Polen standen, wurde ein Klassiker seiner Kunstform.

Doch in solchen Tiererzählungen sind es am Ende immer noch Menschen, die agieren, sie tragen nur ein tierartiges Kostüm (oft sind sie sogar deutlich individualisiert), vor allem aber: Sie sprechen. So war es schon in den alten Fabeln, die moralische Beziehungen veranschaulichten: Da war das Lamm der schwache Mensch, der Wolf aber der starke.

Die Plakate von Peta setzen auf einen Schockeffekt, der die Nachdenklichkeit erstickt. Die humane Anerkennung unserer kreatürlichen Verwandtschaft mit den Tieren wird auf eine Gleichung reduziert, welche die zweigeteilten Plakate in beide Richtungen gleichermaßen lesbar macht. Die Lektüre von links nach rechts, vom Holocaust-Bild zum Bild der Massentierhaltung, sagt: Es ist entsetzlich, wenn Menschen wie Tiere in Käfigen gehalten werden, wo man sie arbeiten und hungern lässt, um sie am Ende zu töten.

Die Lektüre in der anderen Richtung, von der Legebatterie zum Barackenbild, sagt: Käfighaltung, Ausbeutung und Schlachtung von Tieren bedeutet "Holocaust auf deinem Teller" (so der Slogan von Peta). Was soll man Leuten entgegenhalten, die das glauben?

Unerhebliche Unterschiede

Ihnen sind die Unterschiede zwischen Menschen und Tieren unerheblich; es ist ihnen gleichgültig, dass der Mensch das einzige Lebewesen ist, welches darüber erschrecken kann, dass es sich von anderem Leben ernährt; dass dieses menschliche Bewusstsein eine eigene sittliche Sphäre begründet, wollen sie nicht anerkennen.

Radikale Vegetarier halten sich für gut, weil sie kein Fleisch essen. Ihr gutes Gefühl macht die empfindsamen Tierfreunde unempfindlich gegenüber der Beleidigung, die es bedeutet, die grauenhaft ausgemergelten Körper und die verstörten Blicke von Holocaust-Opfern - Opfer von Mitmenschen - für ihre Zwecke einzusetzen und öffentlich auszustellen.

Sie sind schlau und rücksichtslos und daher vollkommene Repräsentanten unserer Zivilisation: einer Spaßkultur, deren Phantasie vom Massenmord verhext ist, und in deren moralischen Diskussionen - vom Kosovokrieg bis zum Tierschutz - offenbar nur noch ein einziges Argument sticht: Auschwitz.

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SZ v. 22.3.2004
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