Süddeutsche Zeitung

Die Holocaust-Lüge und die Strafbarkeit:"Ich würde die Holocaustleugnung nicht unter Strafe stellen"

Geht es nach dem ehemaligen Verfassungsrichter Hoffmann-Riem, dann schützt das Verbot der Holocaustleugnung nicht das Rechtsgut, das es eigentlich schützen sollte. Nur welches Rechtsgut soll das sein?

Milosz Matuschek

Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem hat am Mittwoch für Aufsehen gesorgt. In einer Rede vor dem Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung äußerte er sich kritisch über das Verbot der Holocaustleugnung in Deutschland: "Wäre ich Gesetzgeber, würde die Holocaustleugnung nicht unter Strafe stehen".

Eigentlich ging es in der Rede um Versammlungsfreiheit für Rechtsradikale. Harsche Kritik folgte vom Zentralrat der Juden in Deutschland. Dessen Geschäftsführer Stephan J. Kramer sagte gegenüber dem Tagesspiegel: "Es ist unverantwortlich, dass sich eine Koryphäe der Rechtswissenschaft beim Thema Holocaustleugnung solche Kapriolen leistet".

Anknüpfungspunkte für Kritik an diesem Verbot gibt es zuhauf: Es heißt, das Gesetz schütze das falsche Rechtsgut, sei mit der Meinungsfreiheit nicht vereinbar und sorge für eine Märtyrerbildung. Die dahinter stehende Frage ist weiter zu fassen und höchst kontrovers: Wie viel "wehrhafte Demokratie" ist in einem Rechtsstaat überhaupt möglich?

Das Verbot der Holocaustleugnung ist immer wieder Gegenstand kritischer Äußerungen und das ist erst mal nichts Schlechtes. Wenn der Staat zu seinem "schärfsten Schwert", dem Strafrecht, greift, muss er dies überzeugend begründen können.

Juristische Gradwanderung

Man kann sich durchaus die Frage stellen, ob dies der Gesetzgeber gegenwärtig getan hat: Die Holocaustleugnung wird in Deutschland im Volksverhetzungsparagrafen geregelt, geschützt wird der öffentliche Friede, eines der nebulösesten Rechtsgüter überhaupt.

Dies fordert Kritik geradezu heraus: Die perfide Leugnungstätigkeit von Negationisten gilt allgemein als unerträglich, ist aber in Form der sogenannten einfachen Leugnung eines geschichtlichen Vorgangs nur schwer als Aussage mit Agitationscharakter zu qualifizieren.

Das Rechtsgut des "öffentlichen Friedens" ist in der Strafrechtsdogmatik ebenfalls umstritten; versteht man darunter den Schutz des Gefühls der Rechtssicherheit, ist dies gleichbedeutend mit der Aufgabe des Strafrechts im Allgemeinen.

Geht es nach Hoffmann-Riem, dann schützt das Verbot der Holocaustleugnung nicht das Rechtsgut, das es eigentlich schützen sollte. Nur welches Rechtsgut soll das sein?

Bei Paragraf 130 Abs. 3 Strafgesetzbuch liegt dies nicht so auf der Hand, wie beispielsweise bei der Körperverletzung oder beim Betrug. Deshalb muss diese Vorschrift jedoch noch nicht illegitim sein. Allerdings vergrößert sich der Begründsaufwand.

Letztlich geht es um die Verhinderung des Wiedererstarkens national-sozialistischer Bestrebungen. Das Leugnen und Vertuschen des Holocaust gehörte schon zur NS-Propaganda. So sagte Himmler 1943 in einer Rede vor SS-Leuten in Bezug auf die Judenvernichtung: "Wir werden in der Öffentlichkeit niemals darüber reden."

Der Auschwitzüberlebende Primo Levi zitiert einen SS-Mann: "Von euch wird niemand übrigbleiben, um Zeugnis abzulegen, aber selbst wenn jemand übrigbleiben sollte, würde die Welt ihm nicht glauben. Wir werden die Geschichte der Lager diktieren!"

Ausgelöschte Erinnerung

An dieses Programm knüpfen Leugner wie Zündel, Irving und Mahler an. Sie wollen die kollektive Erinnerung an den Holocaust untergraben und wie die Nationalsozialisten ein gesamtes Erinnerungsgeflecht auslöschen. Dies durch ein Verbot verhindern zu wollen, muss dem Gesetzgeber möglich sein.

Dies stützt auch ein Blick auf die Rechtsordnungen der Nachbarländer. In Österreich ist das Verbot der Holocaustleugnung in einem Gesetz von Verfassungsrang geregelt, welches auf das Verbot der nationalsozialistischen Wiederbetätigung abzielt.

In Polen befindet sich diese Vorschrift in einem Gesetz über ein "Institut des Nationalen Gedenkens" und schützt die Erinnerung an die historische Wahrheit. Die kollektive Erinnerung an den Holocaust ist jedoch gerade in der Bundesrepublik Deutschland ein wichtiges Gemeinschaftsgut.

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SZ vom 15.7.2008/mst
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