Die hippste Stadt ist Hamburg:Die Revolution muss sexy sein

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... sonst wippt keiner mit. Warum aber ist ausgerechnet Hamburg die deutsche Pophauptstadt? Ein Besuch bei Andreas Dorau, DJ Koze und sowieso bei der Revolution.

OLIVER FUCHS

Alles ist besser in Hamburg. Die Männer, die Frauen, das Leben im allgemeinen. Sogar die Klosprüche. "Ich bin das Butterbrot", steht zum Beispiel im "Pudel Club". Und: "Die Revolution muss sexy sein." Am schönsten ist: "Wann? Tauchst Du? Endlich ab? Ins Nichts?"

Plattencover von DJ Koze (Foto: Foto:)

Aber das beste an Hamburg ist natürlich: die Musik. Was Musik angeht, ist der Rest von Deutschland gegenüber Hamburg längst abgetaucht ins Nichts. Was hat uns bloß so ruiniert?

Zwei Langspielplatten stürzen einen im Moment als Münchner, Berliner, Düsseldorfer, Konstanzer, Dresdner, Plattlinger in schwere Selbstzweifel, die neueste von Andreas Dorau und die allererste von Adolf Noise alias DJ Koze.

Dorau hat nach acht Jahren Pause wieder ein typisches Dorau-Album gemacht, Musik zum Tanzen und Träumen und Schmunzeln, House mit verschrobenen deutschen Texten, drei Hits sind darauf, begnadet, zwingend, wunderhübsch, so ist das ja immer bei Dorau, drei Songs für die Ewigkeit, und der Rest: naja.

Aber selbst Naja-Platten aus Hamburg klingen besser als Superduper-Platten aus anderen Städten.

Wenn Dorau ein Naja-Album gemacht hat, dann hat DJ Koze ein Oho-Album gemacht. Es überfordert einen, weil so viel drauf ist, Sound-Gimmicks, Hörspiel-Einlagen, ein beim "RTL-Explosiv"-Gucken aufgeschnapptes Gunter-Gabriel-Sample, in dem Gabriel Arbeitslose disst, ferner ein von Kozes Neffen liebevoll geplärrtes Rolf-Zuckowski-Lied sowie ein am Strand von Cadaques live aufgenommenes Öko-Ambient-Stück. Schwer zu glauben, dass aus diesem Chaos ein Album entstehen kann, noch dazu ein so kompaktes, klares, eins, das man immer wieder hören will, weil es mit jedem Hören wächst - der Hörer auch.

Hamburg hat nicht nur Dorau und Koze, Hamburg hat auch: Blumfeld, Die Sterne, Superpunk, Egoexpress, Beginner, Fettes Brot, Rocko Schamoni, Tocotronic, um nur wenige zu nennen. München hat: Die Sportfreunde Stiller.

Wir müssen also dringend los auf eine kleine Expedition, herausfinden, warum aus Hamburg verlässlich gute Musik kommt. Oft sogar Pop, nicht selten exquisiter P.O.P.! Die Forschungsreise ist um so dringlicher, als es um die Verkaufszahlen deutscher Popmusik im Moment sehr gut, um die Relevanz derselben jedoch nicht zum Besten steht. Sportfreunde (München), Wir sind Helden (Berlin), Juli (Gießen), Silbermond (Bautzen) - das ist ja alles nicht nur ästhetisch unterirdisch, sondern zudem auch noch aufdringlich leisetreterisch. Diese Bands sagen: Wir wollen nicht stören, wir wollen in unserer Independent-Kuschelecke weiterwurschteln. Man würde sie gern lassen! Doch aus unerfindlichen Gründen wurschteln sie ja mitten im Mainstream.

Hamburg dagegen: Insel der Mutigen und Tüchtigen. Wo aber weht er, der Hamburg-Spirit? Vielleicht hier in St. Georg, wo es Puffs gibt und Schwulenbars und Rauschgiftringe und Ramschläden - und wo DJ Koze wohnt? Koze, an den Plattentellern ein Hexenmeister und Ekstase-Champion, sieht müde aus, seine Haare stülpen sich zum Vogelnest. Es ist 13 Uhr 30. Auch wenn er nicht auflegt, kann er selten vor fünf oder sechs in der Früh schlafen, weshalb er bis dahin diese feinnervige, verzwirbelte, dabei aber immer todkomische Musik erfindet, die er unter dem Namen "Monaco Schranze", "Der Säger von St. Georg" oder - wie jetzt - "Adolf Noise" veröffentlicht. Regel Nummer eins des Hamburg-Pop: Du brauchst ein Pseudonym, am besten viele!

Bald stellt sich heraus: Koze ist nicht nur müde, Koze ist total übermüdet. Wie man selber übrigens auch. Man versteht sich also hervorragend. Auch ohne Reden. Und so sitzt man da, in Kozes sympathisch vollgerümpeltem Wohnzimmer, schaut aus dem Fenster, betrachtet Kozes Gemäldesammlung, wobei besonders das Porträt einer gut gelaunten Ente mit kotbeflecktem Bürzel ins Auge fällt, und Koze fragt in regelmäßigen Abständen "Ist das jetzt 'ne Frage?" und "Hat das Interview schon angefangen?"

Aber es gibt keine Interviewtechnik, mit der sich ein Spirit dingfest machen ließe. Diskursiv kommen wir hier nicht weiter. Koze serviert jetzt Apfelschorle im Weißbierglas, mit Limetten und Salzrand. Dann gehen wir ein paar Straßen weiter in sein Studio, das über einem S&M-Studio liegt. "Da lassen sich Manager in der Mittagspause auspeitschen, die Schreie hört man bis hier oben ", sagt Koze, und kurz überlegt man, ob die Schreie vielleicht Eingang in sein Album gefunden haben.

Später begegnen wir einer der Betreiberinnen, die gerade ihr Studio abschließt, eine zierliche, sehr nette Frau, die freundlich grüßt und einen schönen Feierabend wünscht. "Das ist die Domina", sagt Koze, "ihre Kollegin ist aufs Devote spezialisiert." Die Domina ist ehrenamtlich als "Hunde-Streetworkerin" tätig, das heißt, sie kümmert sich um ausgesetzte und misshandelte Tiere.

So. Und warum hat Hamburg nun musikalisch derart die Nase vorn? Koze murmelt was von "Hafenstadt" und "dass sich alle kennen", HipHopper, Gitarren-Männer, Elektronik-Fuzzis, und dass man praktisch ständig zusammensitzt, kritisiert, remixt, verarscht. Vorzugsweise im "Pudel Club".

Das ist das Geheimnis? Koze nickt. Und dann sagt er einen Satz, den er oft sagt: "Ach, ich weiß doch auch nicht."

Andreas Dorau, der 1981 als Schuljunge einen Hit landete, als er gemeinsam mit dem Unterstufenchor "Fred vom Jupiter" aufnahm und an eine Plattenfirma schickte, Andreas Dorau, der damals noch nicht wusste, dass dieses eine hübsche, alberne, kleine Lied alles überschatten würde, was er später noch produzieren sollte, Andreas Dorau, der für viele heute, mit 40 Jahren, immer noch der Schuljunge mit dem Hit ist, obwohl er längst souveräne, erwachsene Popmusik macht und unsterbliche Aphorismen geschaffen hat wie "Die Welt ist schlecht / Das Leben ist schön / Was ist daran nicht zu verstehn?", Andreas Dorau also treffen wir in einem Frühstückscafe in Eimsbüttel. Es sind viele Grünen-Wähler da mit ihren Kindern, es wird getobt und herumgesaut und mit Besteck geklappert, Kinder von Grünen-Eltern dürfen hier alles. Nur bedient wird man nicht, oder wenn, dann nur widerwillig, schnippisch.

Andreas Dorau möchte einen Kaffee bestellen, doch sein Ansinnen wird von der hübschen und sehr arroganten Kellnerin ignoriert wie ein unsittlicher Antrag. Wir reden über sein neues Album, wir reden über Franz Ferdinand und die Strokes, und Dorau sagt, dass all die Miesepeter, denen das "zu retro" ist, doch mal realisieren sollten, dass Pop seit seinem Bestehen immer retro war, und dass sich daran immer nur Leute stören, die definitiv zu alt sind und die deshalb eventuell lieber mal den Mund halten sollten.

Dorau ist ein netter Mensch. Ein guter Redner. Ein leidenschaftlicher Analytiker. Es macht Spaß, mit ihm zu reden. Und Reden, das begreift man jetzt, ist ein Schlüssel zum Erfolg des Hamburg-Pop.

"In Hamburg", sagt Dorau, "gibt es, anders als etwa in Berlin, ein funktionierendes Bürgertum. Also gibt es auch eine funktionierende Subkultur. Und der Underground adaptiert die Verhaltensweisen der Kaufleute. Man steht früh auf, hat Termine, Projekte, ist immer am Rumchecken." Jetzt kommt der Milchkaffee.

Das Rätsel ist gelöst, aber nur teilweise. Es bleibt die Frage nach dem Spirit. Den kann man nur spüren, also müssen wir abends in den "Pudel Club". Dort trifft man zwar ausnahmsweise keinen von den Hipstern, die hier ihren Hauptwohnsitz haben, dafür jedoch - Überraschung! - die arrogante Kellnerin. Und wie sie auf das allerdistinguierteste und allernetteste ausrastet, das wäre noch mal eine eigene Geschichte.

Die Revolution muss sexy sein.

Andreas Dorau: "Ich bin der eine von uns beiden" (Mute/Emi);

DJ Koze alias Adolf Noise: "Wo die Rammelwolle fliegt" (Buback/Indigo).

© SZ v. 02.06.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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