"Die geliebten Schwestern" im Kino:Dreieck mit Dichter

Die Geliebten Schwestern im Kino

Die Schwestern lieben sich auch gegenseitig, mindestens so stark wie den Dichter: Charlotte (Henriette Confurius), Friedrich Schiller (Florian Stetter) und Caroline (Hannah Herzsprung), (von links).

(Foto: WDR/Senator Film/oh)

"Die geliebten Schwestern" zeigt Friedrich Schiller in neuem Licht - und auch der Regisseur Dominik Graf überrascht. Hinter dem "Tatort"-Macher mit Weltekel schimmert der Bildungsbürger hervor.

Von Tobias Kniebe

Als Friedrich Schiller im Alter von 27 Jahren zum ersten Mal in Weimar ankam, gab es dort nur 750 Häuser. Solche Fakten über das Jahr 1787 sind das Wissen der Schillerforschung. Keineswegs sicher ist dagegen, dass der Dichter, der nun helfen wird, dem Ruf des kleinen Städtchens für immer Donnerhall zu geben, sich in der beschaulichen Umgebung als Erstes verlaufen hat.

So wie Dominik Graf das imaginiert, zu Beginn seines Films "Die geliebten Schwestern", ist es aber eine ziemlich bezaubernde Idee. Denn da steht Schiller plötzlich vor dem rückwärtigen Teil eines Herrschaftshauses, aus dem Fenster schaut eine hübsche junge Frau von Stand, und die wird er nun, ganz ohne Zeugen und Sittenwächter, nach dem Weg fragen. Die Situation erinnert, auch durch den erhöhten Aussichtspunkt der Frau, an die alte Konstellation von Ritter und Burgfräulein.

Kaum hat Schiller seinen breiten Hut gezogen, wird er auch schon frech - und bezweifelt den Plan von Weimar, den sie freundlich für ihn entwirft. "Können Frauen denn Landkarten lesen? Bedarf es dazu nicht eines männlichen, strategischen Überblicks und Gestaltungswillens?", fragt er, doch das Burgfräulein kontert sofort: "So wie er vor allem beim Kriegführen unerlässlich ist?" Das gefällt dem Dichter, und Florian Stetter, der ihn spielt, kriegt dazu ein ganz fabelhaft spontanverliebtes Lachen hin.

Bald gibt Schiller sich geschlagen und verspricht, der Wegbeschreibung zu folgen - droht aber mit seiner Rückkehr, sollten die Auskünfte falsch sein. Da zaubert auch Henriette Confurius, die das Fräulein am Fenster spielt, ein mutwilliges Blitzen in ihre Augen: "Falls Sie den Weg zurück zu mir finden . . ."

Wer die Quellen in Historienfilmen für unantastbar erklärt, erstarrt oft

Nun kann man nachlesen, dass die erste Begegnung des Dichters mit der verarmten Adligen Charlotte von Lengefeld, seiner künftigen Frau, gar nicht in Weimar stattfand. Sie waren dabei auch nicht allein. Selbst die Sprache der beiden ist nicht wirklich die Sprache des 18. Jahrhunderts, soweit man sie rekonstruieren kann. Das ändert aber nichts daran, dass sich die Szene seltsam richtig anfühlt: Fremd genug, um respektvoll zu sein - und vertraut genug, um vor Lust und Leben zu vibrieren.

Denn das ist ja doch das Kreuz mit den meisten Historienfilmen. Wer zu wenig versteht und die Quellen für unantastbar erklärt, erstarrt dabei. Wer aber meint, alles zu verstehen und den Menschen von damals ganz nah zu sein, bleibt dann doch nur in den eigenen, sehr beengten Denkräumen gefangen. Wie schwer es ist, auf dem schmalen Grat dazwischen nicht abzustürzen, erkennt man eigentlich erst, wenn es einmal gelingt.

Die Handlung geht nun so weiter, dass Schiller schon bald den Weg zurück findet - oder besser gesagt, er findet den Weg zu einem neuen Fenster, und dort wartet dann nicht mehr nur ein Burgfräulein, sondern plötzlich sind es zwei. Denn Charlotte hat eine ältere Schwester, Caroline (Hannah Herzsprung). Die fasziniert Schiller fast noch mehr. Sie ist verheiratet, seit sie sechzehn ist, sie hat sich geopfert für die Schwester und Mutter, die nun auch vom Geld ihres gefühlskalten Mannes leben können. Doch erst die Begegnung mit Schiller macht Caroline klar, wie groß dieses Opfer wirklich ist.

Ein Glück zu dritt erscheint wirklich greifbar nah

So beginnt nun eine Dreiecksgeschichte, die zunächst vor allem in leidenschaftlichen Briefen ausgelebt wird, bis zu drei am Tag. Permanent wird geschrieben, wird das Geschriebene auch direkt in die Kamera gesprochen, erfahren die wechselseitigen Gefühle ein stündliches Status-Update, fast wie in den sozialen Netzwerken der Gegenwart. In den Schiller-Archiven sind genug von diesen Briefen erhalten, um eine solche Ménage-à-trois zu beglaubigen, da verlangt der Film der Historie keineswegs zu viel ab.

"Die geliebten Schwestern" im Kino: Dichterfürst, von Dominik Graf kongenial neu erfunden: Florian Stetter als Friedrich Schiller.

Dichterfürst, von Dominik Graf kongenial neu erfunden: Florian Stetter als Friedrich Schiller.

(Foto: Senator)

Und weil die Schwestern sich auch gegenseitig lieben, mindestens so stark wie den jungen Dichter, weil sie sich alles gönnen und teilen, scheint in dem Sommer, den Schiller mit den beiden in Rudolstadt an der Saale verbringt, ein Glück zu dritt wirklich greifbar nah. Charlotte wird Schiller heiraten, das ist bald beschlossene Sache - aber vor allem, um die verbotene Leidenschaft ihrer Schwester zu tarnen. Nur den Plan, sich nun selbst zu opfern und auf körperliche Liebe zu verzichten, hat sie ohne Caroline gemacht . . .

Das Herzstück des Films ist das Kraftfeld zwischen diesen drei Persönlichkeiten, das sich über die Jahre immer wieder verschiebt. Mit leichter Hand erzählt Dominik Graf dann doch fast eine komplette Schiller-Biografie, die er auch als Autor ganz allein verantwortet - eine Seltenheit in seinem Werk.

Das Handwerk des Schreibens, die Egozentrik des kreativen Geists, die Enge der Verhältnisse nicht nur für kluge und begabte Frauen, das Aufflammen der Freiheitsideen und ihr blutiger Exzess in der Französischen Revolution, schließlich sogar die Fortschritte des Buchdrucks und Verlagswesens in jener Zeit - all das wird vor allem deshalb so selbstverständlich greifbar, weil Grafs ruhelos forschender Blick es immer nur streift.

Was hinter Grafs Image als hartgesottener Genre-Filmer noch lauert

Und das ist am Ende vielleicht sogar das Überraschendste an diesem Film, der auf der Berlinale im Februar ziemlich unvorbereitet einschlug: Er offenbart eine Seite des Autors und Filmemachers Graf, die dieser bisher fast mutwillig versteckt hat. Kein Essay der letzten Jahre, in dem er nicht mehr Schmutz, mehr Rohheit, mehr Genrelust im deutschen Kino gefordert hätte. Kein "Tatort" oder "Polizeiruf" aus seiner Werkstatt, in dem nicht irgendwann ein gewisser Weltekel und Fatalismus durchbrach, oder ein Hang zu schwer beschädigten Paarbeziehungen.

Nun aber zeigt dieser Film, was hinter diesem harten Image auch noch lauert - nämlich ein Geist, der täglich mit dem Erbe seines Bildungsbürgertums ringt, und damit natürlich ein Bildungsbürger im allerbesten Sinn. Um eine solche Zeitreise anzutreten, muss man sich schon wirklich erregen können über Goethes arrogantes Dichterfürstentum; über die fast suizidale Hingabe eines adligen Dichtergroupies am Weimarer Hof; oder über die monumentale Lakonie des letzten Satzes, mit dem Schiller sein Stück "Maria Stuart" enden lässt.

Dominik Graf ist ein solcher Zeitreisender, daran besteht jetzt kein Zweifel mehr. Die Erkenntnis, bei der er nun angekommen ist, sagt sich so leicht dahin, muss aber doch erst errungen werden über enorme geistige Wegstrecken, zurückgelegt zwischen den Werken, den Quellen und den Jahrhunderten: Die einzige Rekonstruktion der Vergangenheit, die heute Lebendigkeit beanspruchen kann, ist ihre kongeniale Neuschöpfung.

Die geliebten Schwestern, D 2014 - Regie und Buch: Dominik Graf. Kamera: Michael Wiesweg. Schnitt: Claudia Wolscht. Musik: Sven Rossenbach, Florian van Volxem. Mit Hannah Herzsprung, Florian Stetter, Henriette Confurius, Claudia Messner, Ronald Zehrfeld. Verleih: Senator, 139 Minuten.

In unserer Wochenendbeilage am Samstag wird Dominik Graf auf Peter-André Alt treffen, den wichtigsten deutschen Schiller-Forscher - zu einer kundigen Diskussion über Liebe und Sex am Hof von Weimar, über die Freuden und Gefahren des Historienfilms, über das Ende der Allgemeinbildung und Schillers unsterbliche Modernität.

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