Die erstaunliche Rückkehr des Vinyls:Knistern, knacken, rumpeln

Lange hieß es, Vinyl sei tot. Stimmt aber gar nicht. Die Schallplatte ist Lichtblick für die leidende Musikindustrie. Eine Expedition durch ein Biotop in Bildern.

Jens-Christian Rabe

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Lange hieß es, Vinyl sei tot. Stimmt aber gar nicht. Die Schallplatte ist Lichtblick für die leidende Musikindustrie. Eine Expedition durch ein Biotop in Bildern.

Für Holger Barske ist die Sache klar: "Die Krise ist gar keine. Sie ist vielmehr das Resultat der sich durch alle Medien ziehenden Panikmache." Der "bekanntermaßen miesepetrige" Deutsche forciere mit seinem Pessimismus die "Krise eher, als dass er sie bekämpft". Nicht so Holger Barske. Er rät, geplante Investitionen keinesfalls zu verschieben: "Die einfache Botschaft lautet: Die Kohle muss unters Volk."

Barske ist Chefredakteur der Zeitschrift LP - Magazin für analoges HiFi & Vinylkultur. Sein Grundkurs Krisenmanagement findet sich im Editorial der Märzausgabe, in der außerdem Kunststoff-Plattenspieler für 2500 Euro, ein Phonovorverstärker für 4000 Euro und eine Plattenwaschmaschine für 560 Euro wohlmeinend getestet werden. Was ist da eigentlich los? Vinyl-Wahnsinn?

Text: Jens-Christian Rabe/SZ vom 28.04.09/irup

Alle Abbildungen sind Frank Wonnebergs opulenter "Labelkunde Vinyl - Schallplattenfirmen, Etikettenstammbäume, Matrizenschlüssel, Qualitätsparameter" (Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2008) entnommen.

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Erstmal vielleicht die Zahlen: Von den knapp 1,6 Milliarden Euro, die auf dem deutschen Musikmarkt 2008 umgesetzt wurden, entfiel wieder nur knapp ein Prozent auf das LP-Geschäft. Die Zahl verkaufter Langspielplatten stieg jedoch in den vergangenen Jahren beträchtlich: von 600 000 im Jahr 2006 auf 700 000 im Jahr 2007 auf 900 000 im Jahr 2008. Der notorisch alarmistische Bundesverband der wirtschaftlich seit Jahren gebeutelten deutschen Musikindustrie bescheinigte der LP in seiner jüngst erschienen Bilanz sogar das "Comeback des Jahres".

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Zumal die tatsächliche Anzahl verkaufter Vinylplatten vermutlich noch einmal deutlich höher liegen dürfte, weil ein großer Teil der LPs in Spezialgeschäften über den Tisch gehen, die statistisch nicht erfasst werden. Noch erstaunlicher sind die jüngsten Zahlen aus Amerika. Das Markforschungsunternehmen Nielsen SoundScan meldete, dass in den USA 2008 fast 1,9 Millionen LPs verkauft wurden. Beinahe doppelt so viele wie im Jahr 2007. Und die inoffiziellen Zahlen dürften auch hier um einiges höher liegen. Viele unabhängige Händler arbeiten nicht mit Nielsen zusammen.

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ECM und Indigo dürfte also weniger Schwärmerei als kühle Kalkulation zu ihren jüngsten Geschäftsideen bewogen haben. Das vielfach Grammy-gekrönte Münchner Jazz- und Klassiklabel ECM veröffentlichte Ende Januar mit Keith Jarretts "Yesterdays" und Enrico Ravas "New York Days" erstmals wieder Aufnahmen als Doppel-LPs. Und der Hamburger Indie-Vertrieb Indigo von Albrecht Boehm, Nikel Pallat und Jörn Heinecker, einer der großen Kleinen der Branche, sicherte sich die Vinylrechte einer der erfolgreichsten CDs des britischen Weltmusik-Labels World Circuit.

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Fragt man Nikel Pallat, was ihn dazu veranlasst hat, mit Indigo wieder ernsthaft ins Vinylgeschäft einzusteigen, bekommt man kein nostalgisches Referat. Der ehemalige Ton-Steine-Scherben-Saxophonist ist alles andere als ein notorischer Vinylfan. Es sei einfach so, dass sich der Vinylmarkt zuletzt merklich erholt habe: "Es ist ganz klar ein Nebenmarkt, aber aufgrund seiner Stabilität ein sehr dankbarer. Es gibt eine anspruchsvolle Kundschaft, oft Sammler, die nach wie vor Platten kauft." Zwar sei etwa ein Debüt-Album eines Künstlers heute nicht mehr so einfach zu platzieren und auch eine Expansion des Bereichs nicht zu erwarten, der Vinylumsatz bei Indigo liege dennoch im mittleren einstelligen Prozentbereich: "Das ist nicht zu vernachlässigen." Im Hip-Hop, Reggae und Indie-Rock würden vor allem Alben etablierter Künstler nachgefragt. Der Test mit dem aufwendig produzierten Doppelalbum - hochwertiges, 180 Gramm schweres Vinyl und ein großes Klappcover - der World-Circuit-Aufnahme des Carnegie-Hall-Konzerts des Buena Vista Social Club war ein echter Erfolg. Sogar international. Was genau das in Zahlen bedeutet, darüber wird nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen. Ein paar tausend verkaufte Einheiten dürften es schon gewesen sein.

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Die großen Plattenfirmen sind so gut wie nicht mehr im Vinyl-Geschäft. Angesichts der hohen Herstellungskosten sind für sie die Auflagen schlicht zu klein. Vinylausgaben gibt es allenfalls von den Alben etablierter Rock- und Pop-Stars wie der bei EMI unter Vertrag stehenden britischen Band Coldplay oder der Universal-Band U2. Nicht zuletzt deshalb haben in den größeren deutschen Städten die Filialen der großen Elektronikmärkte wieder Platten-Regale. Das Angebot ist allerdings überschaubar.

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Ganz anders sieht es in Plattenläden wie dem Münchner Optimal aus, die fast nur Vinyl-Alben verkaufen. Über den Tisch gehen dort vor allem die interessanteren Alben des Pop, aus Indie, Techno, House, R'n'B und Hip-Hop. Manche, wie das letzte Notwist-Album oder die Remix-Platte des Pariser Filter-House-Helden Sebastian, sogar in kurzer Zeit an die hundert Mal. An den Tod der Vinylplatte hat man hier nie geglaubt. "Es gibt ja plötzlich sogar die neue Udo-Lindenberg-Platte auf Vinyl", sagt Optimal-Chef Christos Davidopoulos. Manche Optimal-Kunden kauften sogar ausschließlich LPs, selbst wenn sie Monate nach der CD oder dem Download erschienen. Immer häufiger bekommen sie beim Vinyl-Kauf einen Code für den kostenlosen Download des Albums. "Das Netz wird der Tod der CD, nicht der Vinyl-Platte", prophezeit Davidopoulos furchtlos.

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Einer, der diesen Tod wohl tief bedauern würde, wäre der Klassik- und Jazz-Tonmeister Andreas Neubronner, der gemeinsam mit drei Partnern in Stuttgart das renommierte Tritonus-Studio betreibt. Die Karriere des 57-Jährigen begann Anfang der siebziger Jahre. Die CD war noch fern und die Arbeit mühsam und frustrierend: "Die Master-Aufnahme vom Band war, wenn im Studio alles richtig gemacht worden war, offen und transparent - richtig schön, mitreißend. Was man dann auf den ersten Vinyl-Pressungen hören konnte, war dagegen erschütternd schlecht." Die CD sei ihnen damals klanglich wie eine Erlösung erschienen. Die saubere Kanaltrennung etwa sei plötzlich kein Thema mehr gewesen. Und auch das Problem sogenannter "geometrischer Abtastverzerrungen" wegen der ständigen Positionsveränderung der Nadel habe sich erübrigt. Ebenso wenig habe man sich mehr darüber ärgern müssen, dass das Loch nicht exakt in der Mitte gesetzt worden sei und die Platte infolgedessen eierte. Ganz abgesehen von ewigen Gleichlaufschwankungen und den damit verbundenen Tonhöhenveränderungen.

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Jeden Vinyl-Liebhaber, der nicht nur das eindrucksvollere Cover schätzt, sondern auch davon überzeugt ist, dass Vinylplatten in klanglicher Hinsicht konkurrenzlos gut sind, dürften diese Ausführungen schwer irritieren. Als einen fanatischen CD-Apologeten, der sich im Besitz des letztgültigen Klangwissens wähnt, darf man sich Neubronner aber glücklicherweise nicht vorstellen. Man solle doch bitte unbedingt auch noch bei Andreas Spreer nachfragen: "Ich schätze ihn sehr und vermute, dass er Ihnen etwas ganz anderes erzählen wird als ich."

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Spreer betreibt das kleine Label Tacet und genießt in der Branche einen sehr guten Ruf, weil er sich unter anderem darauf spezialisiert hat, Musik wie in den fünfziger Jahren, allein mit alten Röhrenmikrofonen, Röhrentonbändern und Röhrenmischpulten aufzunehmen und per Hand zu schneiden. Von der Rückkehr des Vinyls ist er begeistert, leugnet die "philosophische Dimension" des Themas allerdings nicht: "Ich möchte emotional angesprochen werden, bei einem geklonten, unpersönlichen Etwas wie der CD fällt mir das eher schwer. Eine LP dagegen lebt. Jede Vinyl-Platte knistert, knackt, rumpelt und eiert anders."

Aus nüchterneren Gründen legten die DJs in den Techno- und House-Clubs der Welt jahrelang fast nur Vinyl auf, als hätte es die CD nie zur Marktreife gebracht. Lange war es schließlich nicht möglich, CDs zu pitchen, also in ihrer Geschwindigkeit zu manipulieren und so fließende Übergänge zwischen zwei Titeln zu schaffen. Inzwischen ist das kein Problem mehr. Die Entwicklung ist sogar noch weiter: Mit Computer-Programmen wie Traktor lassen sich längst Audio-Dateien live mischen. Nach dem Plattenkoffer ist also auch die CD-Tasche nicht mehr unerlässlich, es reicht ein Laptop.

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Keine Überaschung ist es deshalb, wenn Michael Mayer, Mitinhaber des Kölner Techno-Labels Kompakt, berichtet, dass der Verkauf von Vinyl-Platten an DJs mittlerweile um 70 Prozent eingebrochen sei. Verübeln kann er das seinen Kunden nicht: "Auf einer Techno-Maxi sind zwei Stücke und die werden maximal zwei Wochen gespielt. Da lässt sich mit Downloads eine Menge Geld sparen." Viele Tracks werden zudem gar nicht mehr auf Vinyl veröffentlicht. Wer sie spielen will, muss alternative Abspielmöglichkeiten haben. Von den 2000 bis 3000 an Kompakt interessierten Vinyl-Sammlern auf der ganzen Welt könne man aber weiter gut leben.

Als DJ wird der 38-jährige Mayer allerdings beim Vinyl bleiben. Allen Widrigkeiten zum Trotz. Tadellose-Plattenspieler etwa sind längst nicht mehr in allen Clubs selbstverständlich. Nur noch DJ-Superstars wie Ricardo Villalobos müssen sich darüber keine Gedanken machen. Ihre Verträge stellen die Bereitstellung erstklassigen Equipments sicher. Dort, wo viele der Stars ihre Platten beziehen, beim Berliner Techno-Plattenladen Hardwax, sind die Sorgen dementsprechend klein. 2008, so Hardwax-Geschäftsführer Torsten Pröfrock, sei ein phantastisches Jahr gewesen: "Unsere Klientel ist extrem vinylfixiert."

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Der Versand sei jedoch über die Jahre immer wichtiger geworden. Auch die kreative Krise des House habe dem Geschäft bisher nicht geschadet: "Wir haben derzeit pro Woche vielleicht 30 bis 40 neue Titel, vor fünf Jahren waren es noch um die hundert." Die Ausbreitung von Laptop-DJs ist Pröfrock natürlich nicht entgangen, vor allem künstlerisch zweifelt er jedoch an deren Durchsetzungsfähigkeit: "Die Sets, die aus dem Laptop gespielt werden, sind langweiliger und beliebiger. Mich jedenfalls konnte im Club noch keiner überzeugen. Wenn es öde ist, ist es immer ein Laptop-DJ."

LP-Chef Holger Barske will sich jetzt übrigens einen neuen Tonarm für seinen Plattenspieler zulegen: "Und zwar keinen billigen." Wär doch gelacht, wenn die Vinyl-Platte nicht noch ein paar gute Jahre vor sich hätte.

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