Die deutsche Fernsehlandschaft:Die Wahl der Qual

Erfrischend wie eine Nacht im Sandsturm: Warum so viele Zuschauer das deutsche TV-Angebot so grässlich finden.

Hans Hoff

In diesen Wochen prüft mal wieder so mancher Fernsehsender Geschmack und Geduld seiner Zuschauer. In "Big Brother reloaded" oder "Germany's Next Top-Model" und mit neuen Sendungen wie "Erwachsen auf Probe" testen TV-Verantwortliche die Grenzen der Zuschauertoleranz. Dass dabei oft Randgruppen denunziert und unbedarfte Teilnehmer vorgeführt werden, nehmen sie in Kauf. Doch selbst bei den Sendern befürchtet man inzwischen, dass solche Unterhaltungsshows ihnen mehr schaden als nutzen könnten.

Die deutsche Fernsehlandschaft: Allein die Quote zählt - in Sachen Innovation sind manche TV-Sender erfrischend wie eine Nacht im Sandsturm. Dem Zuschauer wird nichts neues geboten.

Allein die Quote zählt - in Sachen Innovation sind manche TV-Sender erfrischend wie eine Nacht im Sandsturm. Dem Zuschauer wird nichts neues geboten.

(Foto: Foto: ap)

Die Moderatorin weiß es schon. "Jetzt wird es ein bisschen härter", sagt sie. Plötzlich stehen neun Menschen im Regen und werden umtost von Sturmböen. Nicht irgendwo, sondern an der Außenfassade eines Hauses. Vor den Fenstern klammern sie sich an eine Metallstange und hoffen, nicht in die Tiefe zu stürzen, während die Wand wackelt, vibriert und sich neigt. Für manche dauert das länger als eine Nacht. So sieht deutsche Fernsehunterhaltung im Mai 2009 aus. "Big Brother reloaded" heißt die RTL2-Sendung, zu der das höchst geschmackvoll "Erdbeben-Match" betitelte Naturgewaltenspiel gehörte.

Es gibt also auch abseits des viel diskutierten Baby-Vermiet-Formats "Erwachsen auf Probe" durchaus Möglichkeiten, das Angebot des deutschen Unterhaltungsfernsehens grässlich zu finden. Trotzdem konzentriert sich derzeit die Empörung auf die neue Sendung, mit der RTL vom 3. Juni an erneut in die Fernsehgeschichte eingehen möchte. Wieder einmal hat der Sender einen Tabubruch begangen, möglicherweise aber die Reaktion darauf falsch kalkuliert.

Dabei hat RTL Erfahrung mit Tabubrüchen. Als Hugo Egon Balder in den Anfangstagen des Senders die Busenshow "Tutti Frutti" präsentierte, schwappte die Erregungswelle ebenso hoch wie zur Jahrtausendwende bei "Big Brother" und später bei der Dschungelshow.

Dass es diesmal nicht so ganz funktionieren könnte, hat auch zu tun mit der aktuellen Situation der Fernsehunterhaltung. Die ist nämlich in einer Sackgasse gelandet, an deren Ende nur wenige den Notausgang finden. Zu den wenigen, die zumindest ansatzweise wissen, wie es weitergeht, bevor irgendwann das Internet das Fernsehen schluckt, gehört der Pro-Sieben-Moderator Stefan Raab. Er, der jahrelang als böser Bube des Fernsehgeschäfts verachtet wurde, steht derzeit mit seiner werktäglichen Show und seinen immer wieder neuen Ereignisprogrammen als seriöser Monopolist da, wenn es um die Frage zeitgemäßer und junger Volksbelustigung geht. Seine Mitbewerber dagegen hecheln orientierungslos hinterher und sind schon glücklich, wenn sie noch die Rücklichter eines längst abgefahrenen Trendzugs erblicken.

Zu den prominenten Zugverpassern gehört derzeit die ARD, bei der man die diversen Variationen der ewig gleichen Quiz- und Test-Shows durchspielt, was zwar ordentliche Quoten bringt, aber in Sachen Innovation ungefähr so erfrischend wirkt wie eine Nacht im Sandsturm. Trotzdem rechnet man sich in der ARD trotzig noch jene Unterhaltungskompetenz zu, die der Sender zuletzt in der TV-Steinzeit hatte, als Rudi Carrell noch das Maß der Dinge war und nicht Jörg Pilawa. Nun schaffte es der Senderverbund jüngst nicht einmal, Stefan Raab für die Vorauswahl des Eurovision Song Contests gewinnen zu können. Raabs Expertise sollte im kommenden Jahr junge Zuschauer locken, die in den ARD-Quoten oft nur noch als Spurenelemente vorkommen. Überdeutlich wurde dabei nach den Fällen Günther Jauch und Oliver Pocher erneut, dass langwierige Entscheidungsprozesse und gute Unterhaltung selten fruchtbare Partner werden. Raab sagte ab.

Leistung, Tabubruch oder gute Illusion

Wer heute eine gute Show auf die Beine stellen will, braucht eben eine gewisse Grundschnelligkeit. Dazu muss sich aber mindestens noch eines von drei Elementen gesellen: Leistung, Tabubruch oder gute Illusion. Im günstigsten Fall kommen alle drei zusammen, was man sehr schön demonstrieren kann an der seit 2003 erfolgreichen RTL-Show "Deutschland sucht den Superstar", die mit skandalöser Behandlung talentloser Kandidaten Aufsehen erregt: Sie fordert den Teilnehmern übermenschliche Leistung ab, verbreitet Illusion und bildet ein Stück Realität ab. Das ist nicht schön, aber so geht's.

Früher hieß es bei Fernsehunterhaltern stets, man versuche, den Menschen die Gelegenheit zu geben, vom Alltag zu entspannen, diesen Belastungszustand also innerhalb von Volksmusiksendungen komplett auszublenden. Heutzutage steigt die Erfolgskurve vor allem dann, wenn vorgegeben wird, das Wahre, das Reale abzubilden. In sogenannten Dokusoaps wird das Leben möglichst verwahrloster Menschen so abgefilmt, dass es zum einen echt aussieht, zum anderen aber die handelsüblichen Konflikte verhaltensauffälliger Menschen zum Drama aufbrezelt. Die oft angebotene Hilfe ist den Sendern dabei nur Vorwand für das Erzählen tränenseliger Geschichten. Es gilt der klassische Deal: Hilfe gegen Seele.

Dass Randgruppen-Denunziation mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat, zeigt sich auch in der aktuellen Diskussion um "Erwachsen auf Probe", die sich auf dem gründet, was RTL ankündigt und auf dem Bildschirm abbildet. Das aber entspricht nicht unbedingt dem, was beim Dreh geschehen ist. Für unbedarfte Zuschauer ist es oft eine böse Überraschung, wenn sich herausstellt, dass Dinge nicht so sind, wie sie wirken.

Biegsame Charaktere

Schließlich bevorzugen Zuschauer auch in der Unterhaltung das unbedingte Versprechen der Wahrhaftigkeit. "Wer wird Millionär?" wäre nicht seit einer Dekade so erfolgreich, stünde nicht Günther Jauch als Notar für die ordentlichen Abläufe gerade. Auch die vergleichsweise junge Show "Schlag den Raab" lebt davon, dass alle dem Namensgeber seinen unbedingten Siegeswillen abnehmen. Ließe sein Ehrgeiz nach oder käme einmal heraus, dass er von einzelnen Spielen vorab wüsste, wäre die Show sofort tot.

Daneben ist es vor allem die Behauptung, außergewöhnliche Leistung zu zeigen, die das Fernsehgeschäft prägt. Ob bei "Deutschland sucht den Superstar" oder bei "Germany's Next Top Model", es gilt die Devise, dass nur der weiter kommt, der sich den Regeln des Markts unterwirft. Mach alles, was der Kunde will, signalisiert Heidi Klum ihren Model-Püppchen, und auch Dieter Bohlen setzt auf in jede Richtung biegsame Charaktere. Dass solche Forderungen auch in Zeiten der großen Krise Unterhaltungswert haben, gehört ebenso zu den großen Mysterien des Showgeschäfts wie die Tatsache, dass es einen wie Thomas Gottschalk immer noch gibt.

Er spielt halt in einer eigenen Liga. Nicht nur, weil über Jahre die Nachwuchsförderung vernachlässigt wurde, sondern auch weil mit der von ihm verbreiteten Illusion, als letzter der alten Garde die ganze Familie auf der Fernsehcouch einen zu können, die größte Show Europas steht und fällt. Wer daran zweifelt, dem sei nur die Frage gestellt, was wohl geschähe, würde Jörg Pilawa "Wetten, dass...?" übernehmen. Das wäre dann mal ein echter Tabubruch. Das würde sich nicht einmal Big Brother trauen.

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