Die CDs der Woche - Popkolumne:Wunderkind fürs Guinness-Buch

Singer Ariana Grande performs on NBC's 'Today' show in New York

Die Sängerin Ariana Grande bei einer TV-Show in New York.

(Foto: REUTERS)

Bei den Rekorden, die der amerikanische Superstar Ariana Grande aufgestellt hat, wird den Pop-Chronisten schwindling. Dabei jault sie uninspirierten Mainstream-R'n'B. Die Popkolumne - zum Lesen und Hören.

Von Jens-Christian Rabe

Obwohl das Pop-Sommerloch eigentlich längst vorbei ist, ließen sich für diese Woche nicht allzu viele Funde machen. Erstaunlich ist allerdings die Single "Never Catch Me" des gefeierten amerikanischen Avantgarde-Hip-Hop-Virtuosen Flying Lotus, dessen neues Album "You're Dead" alsbald erscheint. Der Song ist so etwas wie eine zurückgelehnte Flucht nach vorne, elegisch und hypernervös zugleich. Und wenn man das regierende Rap-Wunderkind Kendrick Lamar nicht tatsächlich dazu rappen hörte, glaubte man nicht, dass das überhaupt möglich sei.

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Unbedingt erwähnenswert ist auch das am Freitag erscheinende Debüt-Album "Future Deutsche Welle" (Chimperator/Sony) der Berliner Pop-Sängerin Lary. Es ist immer noch viel zu selten, dass man deutschen Produktionen anhört, dass sie eine Ahnung davon haben, auf welchem Niveau in den USA oder England Mainstream-Popmusik gemacht wird, jüngst etwa von FKA Twigs oder Banks. Wie anspruchsvoll eklektisch die Beats herumstolpern, wie heftig die Bässe drücken dürfen, und was man dazu wie singen sollte. Hier ahnen es die Beteiligten, man höre nur "System" oder "Kryptonit", auch wenn man es sich hier und da noch mutiger, brachialer wünschte. Wer aber wie Lary einst in "Wie er" das Wort "Fichtelgebirge" in einen großen Popvers zwingen kann, von dem darf noch einiges erwartet werden: "Was meine Probleme lösen würde / wär' 'ne Schaufel und 'ne Fahrt ins Fichtelgebirge".

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Bei den Rekorden, die der amerikanische R'n'B-Superstar du jour Ariana Grande gerade aufgestellt hat, dürfte selbst den abgekochten Superlativisten unter den Pop-Chronisten schwindling werden. Der Beipackzettel der Plattenfirma zum Debüt-Album "My Everything" (Universal) handelt im Grunde von nichts als Rekorden. Zur ersten Single "Problem" wird dort in 17 Bulletpoints unter anderem vermerkt: schnellstverkaufte Single des Jahres 2014, Platz eins der iTunes-Charts in 37 Minuten, 175 000 verkaufte Singles in den USA in den ersten 27 Stunden, 4,4 Millionen Streams in nur 10 Tagen oder auch - für Pop-Rekord-Connaisseure - höchster Billboard-Top-100-Chart-Entry eines weiblichen Duetts jemals. Ja! Endlich!

Stimmumfang von fünf Oktaven

Außerdem hat sie einen Stimmumfang von fünf Oktaven und trat mit 14 zum ersten Mal am Broadway auf. Wobei das gar nicht so zeitig war. Seit ihrem 10. Lebensjahr engagiert sie sich schließlich schon für wohltätige Zwecke. So. Und jetzt hoffen wir, dass der Spiegel zufrieden mit uns ist, der kürzlich monierte, dass das 21-jährige "Wunderkind der US-Pop-Szene" Grande ein Stiefkind des Feuilletons sei. Und die Musik? Hm, im Vergleich zu all dem, was Beyoncé oder Lana Del Rey oder FKA Twigs derzeit probieren, jault Madame Grande mit ihrem vollkommen austauschbaren Hochglanz-Highend-Organ völlig uninspirierten Mainstream-R'n'B. Weshalb wir sie doch vorerst lieber wieder den Spezialisten vom Guinness-Buch der Rekorde überlassen würden.

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Eben hat übrigens Gene Simmons von Kiss im Esquire den Rock für tot erklärt. Das File-Sharing hätte die wirtschaftliche Grundlage des Geschäfts zerstört, weshalb es nur noch Casting-Show-Stars gebe. Herrje, sind schon schlimm, die Casting-Stars, aber es scheint wirklich keine Woche zu vergehen, in der nicht ein alter Mann denkt, dass etwas nicht mehr existiert, nur weil er es nicht mehr wahrnimmt. Abgesehen davon könnte es im Fall Gene Simmons auch sein, dass sich der Rock freiwillig versteckt. Hat einfach keine Lust mehr auf die ganze Schminke.

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