Die CDs der Woche - Popkolumne:Drei Mal Düsternis

Anna Calvi

Wählt den morbiden Ansatz: Anna Calvi auf "One Breath".

(Foto: Domino)

Die unheimliche Anna Calvi knurrt Freunde von David-Lynch-Szenen mit wunderschöner Stimme an, das Duo Darkside liefert eine musikalische Mondfinsternis und Gary Numan kommt in Jack-the-Ripper-Verkleidung. Die Popkolumne - zum Lesen und Hören.

Von Joachim Hentschel

Anna Calvi

Die Düsternis kommt wie ein dunkelroter Vorhang, hinter dem die unheimliche Frau hervorschaut, im Flamencokleid, den brombeerfarbenen Lippenstift dick aufgetragen, mit Dolchblick und immensem Wissensvorsprung. Die Post-Hollywood-Cinderella Lana Del Rey hat in diesem Bereich ja zuletzt alle anderen Paradigmen aus dem Feld geschlagen, brachte Trailerpark-Barbiehaftigkeit, schwarze Romantik und Liebeslied zusammen.

Während Anna Calvi - hohe Stirn und böse Augen, die Herkunft aus Twickenham galant überspielend - den morbiden Ansatz wählt: "I've got one breath to give, I've got one second to live", knurrt sie unmissverständlich im Titelsong ihres zweiten Albums "One Breath" (Domino), einem ernsthaft beunruhigenden Stück mit großem Spannungsaufbau, Dissonanzen und Schneewittchengeigen. Calvi zielt weniger auf den abendsonnenverwöhnten Del-Rey-Hörer, mehr auf Freunde von David-Lynch-Szenen und Nick-Cave-Songs.

Etwas Saloonatmosphäre hat die Musik noch, im Hintergrund hört man säuselnde Frauenstimmen und Gitarren, die aus irgendeiner Prärie widerzuhallen scheinen - besonders sicher kann man sich hier nicht sein: Anna Calvis Stücke stammen aus einem seltsamen Zwischenreich, in dem die eh schon zwielichtigen Songwriter-Geschichten noch durch mehrere Filter und Wahrnehmungstunnel hindurch müssen, bevor man sie hören kann. Eine faszinierende, schaurige Lounge-Pop-Dekonstruktion, die Stimme bleibt trotz allem wunderschön.

Wenn Sie diese Songs nicht hören können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Darkside

Die Düsternis kommt wie eine Wolke, die sich vor den Mond schiebt. Ob dieses amerikanische Duo absichtlich auf die berühmte Pink-Floyd-Platte anspielt, weiß man nicht. Die Musik kann man jedenfalls ähnlich hören, als Space-Oper mit nicht allzu großer Reiseflughöhe, immer auch als Experiment einer äußerst irdischen Gruppe erkennbar, die nicht nur die große Illusion pinseln will, sondern auch die Dynamik und Interferenzen ihrer Bass-Synthesizer, akustischen Nebelwerfer, Gitarrenpedale und klappernden Beatmaschinen studiert.

Die CDs der Woche - Popkolumne: Darkside zelebrieren auf "Psychic" die musikalische Mondfinsternis.

Darkside zelebrieren auf "Psychic" die musikalische Mondfinsternis.

(Foto: Matador)

Hinter Darkside stecken Nicolas Jaar, der in New York geborene Sohn des chilenischen Künstlers Alfredo Jaar, seit einigen Jahren selbst ein Großstar der kontemplativeren Technomusik, sowie der Gitarrist Dave Harrington, der auf dem ersten gemeinsamen Album "Psychic" (Matador) sogar Blues-Gesplitter und Disco-Funk-Wellen in Jaars planetendunkle Soundlandschaften schickt.

Das Bemerkenswerte an dieser weithin instrumentalen, freiförmigen, aber nur minimal verdaddelten Platte ist nicht ihr Experimentiergeist, sondern die bestechende Schlüssigkeiten, wie hier in 45 Minuten so etwas wie der Urknall, die Evolution, der Sündenfall und die Absolution der Tanzmusik vorgeführt wird - nicht nur vor der Techno-Folie, sondern ausgehend von rituellem Getrommel, Krautrock, der After-Hour-Ambient-Musik, zu der am Ende vor allem die Synapsen tanzen. Dunkel ist dann nur noch der leere Himmel über der Szenerie. Die musikalische Mondfinsternis.

Wenn Sie diese Songs nicht hören können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Gary Numan

Die CDs der Woche - Popkolumne: Gary Numan wird sicher bald bestaunt werden wie ein tolles altes Ding aus dem Technikmuseum. Doch "Splinter" ist inhaltlich ein Rückschritt.

Gary Numan wird sicher bald bestaunt werden wie ein tolles altes Ding aus dem Technikmuseum. Doch "Splinter" ist inhaltlich ein Rückschritt.

(Foto: Cooking Vinyl)

Die Düsternis kommt in Jack-the-Ripper-Verkleidung. Das Halloweenkostüm, das der 55-jährige Gary Numan für das Cover von "Splinter (Songs from a Broken Mind)" (Cooking Vinyl) angelegt hat, irritiert ein wenig, wenn man sich an seine klassische Rolle erinnert: Ende der 70er-Jahre war Numan der Roboter vom Dienst, mit Krawatte, Aktenkoffer und einem Gefährt, das an einen Sitzrasenmäher erinnerte. Beamtenhafter als die Deutschen von Kraftwerk, mit Visionen über die Zukunft von Arbeit und menschlichen Beziehungen sowie einigen richtig großen Synthesizer-Hits, die heute noch gesampelt werden.

Nachdem er seine Sympathie für Margaret Thatcher zugegeben hatte, geriet Numan ins Abseits. Er erhob sich erst zum Comeback, als im neuen Jahrtausend endlich die Jungs an den Reglern und Höllenmaschinen saßen, die in seinen starren Augen damals die Liebe entdeckt hatten. Industrialrock, Gothicpop, all das Zeug, das von Numans Musik inspiriert wurde, spielt er nun selbst: "Love Hurt Bleed" oder "We're The Unforgiven" heißen die Songs der neuen Platte, und natürlich sind das Pathos, Drama und Selbstmitleid, das man hier hört, ein inhaltlicher Rückschritt gegenüber den klarsichtigen Bildern, die er in den Atari-Computer-Tagen entworfen hatte.

Er braucht halt ein neues Programm für die Festivalbühnen - dort wird Gary Numan sicher bald bestaunt werden wie ein tolles altes Ding aus dem Technikmuseum.

Fortlaufende Popkolumne der SZ. Auf der rechten Seite finden Sie mit der Mouse den (sehr kleinen) Scrollbalken. Wenn Sie nach unten scrollen, finden Sie die Alben, die in den vergangenen Wochen in der Popkolumne besprochen wurden und gleichzeitig bei Spotify enthalten sind.

Wenn Sie diese Songs nicht hören können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: