Die CDs der Woche - Popkolumne:Spaziergänge im Märchenwald

Days are gone von Haim

Auf "Days Are Gone" von Haim gibt es zarte Chöre und filigrane Gitarrenfiguren, aber leider auch Plastik-Keyboards.

(Foto: PR)

Haim klingen auf ihrem Debütalbum nach Fleetwood Mac, aber auch nach zu viel künstlichem Hall. Die Turin Brakes setzen auf große Gefühle und liefern Melodien an der Grenze zum Weinen und bei Agnes Obel gibt es viel Raum zwischen Stimme und Instrumenten. Die Popkolumne - zum Lesen und Hören.

Von Max Fellmann

Haim

Von so was träumen Marketingstrategen: Drei Schwestern aus Los Angeles, jung, blond, langhaarig, hübsch, singen gut, können was auf ihren Instrumenten, wirken nett und authentisch und spielen auch noch so eine Art von Fleetwood-Mac-Pop, die zugleich ihre Eltern anspricht (Jugenderinnerungen) und ihren eigenen Altersgenossinnen total neu vorkommt (zu jung für Erinnerungen).

"Days Are Gone" von Haim

Auf "Days Are Gone" klingen Haim nach Fleetwood Mac, aber leider auch nach zickigen Funkgitarren und zu viel künstlichem Hall.

Prompt drehen alle möglichen Kenner, Hype-Versteher und Pop-Erklärer völlig durch. Die Band durfte in Glastonbury auftreten, beim renommiertesten Rockfestival Englands. Journalisten schrieben Hymnen. Jay-Z's Management nahm die drei unter Vertrag. Dabei erscheint das Debütalbum "Days Are Gone" (Universal) erst jetzt. Und ja, es ist voll mit schönen Folk-Melodien, zarten Chören, filigranen Gitarrenfiguren, der Fleetwood-Mac-Vergleich passt schon.

Aber leider klingt das alles nicht nur nach den Fleetwood Mac der Siebzigerjahre, sondern oft auch nach denen der Achtziger, Plastik-Keyboards, Schlagzeug mit zu viel künstlichem Hall, zickige Funkgitarren. Mit anderen Worten: Langnese-Kinowerbung. Wäre das Album im Frühjahr erschienen, hätte es mehrere Sommerhits abgeworfen. Aber auch jetzt noch werden Songs wie "Falling" oder "Don't Save Me" ihren Platz finden bei den Radiosendern, die mit den "größten Hits der Achtziger, der Neunziger und von heute" werben. Haim decken das musikalisch alles ab.

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Turin Brakes

Wo Haim oft in die Achtzigerjahre rutschen, bleiben die Turin Brakes eisern bei den Siebzigern, aber eher Crosby Stills & Nash als Fleetwood Mac. Gitarrengeschrammel, wehmütiger Gesang - Musik, bei der Holzscheite sich von selbst in Lagerfeuer verwandeln. "We Were Here" (Cooking Vinyl) ist das achte Album des Londoner Duos.

"We Were Here" von Turin Brakes

Die Turin Brakes wollen auf "We Were Here" große Gesten und Gefühle - und liefern sie.

Über die Jahre haben Olly Knights und Gale Paridjanian ihren Sound immer wieder leicht variiert, sind mit E-Gitarren ins Düstere gewandert, dann plötzlich tanzbar geworden. Jetzt kehren sie zu ihren Anfängen zurück, manche ihrer Lieder, zum Beispiel der wundervoll verschluchzte Titelsong "We Were Here", könnten ohne Weiteres auf einem Hippie-Sampler von vor 40 Jahren zu hören sein, sagen wir, zwischen Pink Floyd und Neil Young. Olly Knights Stimme ist immer noch ziemlich einzigartig (manchmal auch einzigartig nervig). Der Mann klagt und nölt und winselt wie kaum einer sonst.

Jetzt merkt man erst: Es war wirklich unpassend, als die Turin Brakes vor Jahren mit dem norwegischen Duo Kings Of Convenience zu einer Art Bewegung zusammengefasst wurden. Denn während die zwei Norweger immer entspannt bleiben, gehen die Londoner aufs Ganze, wollen große Gefühle, große Gesten, Melodien an der Grenze zum Weinen. Und das können sie. Schon zu spät für Lagerfeuer dieses Jahr? Egal. Trotzdem rausgehen. Für die Turin Brakes darf man ruhig ein bisschen frieren.

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Agnes Obel

"Aventine" von Agnes Obel

"Aventine" von Agnes Obel lässt viel Raum zwischen Stimme und Instrumenten.

Mit Liedern aus der Fernsehwerbung ist das immer so eine Sache. Einerseits freut man sich, wenn da mal was Schönes zu hören ist, andererseits setzt manchmal sogar bei unbekannten Liedern so eine absurde Empörung ein: Kommerz! Ausbeutung! Vor ein paar Jahren konnte es einem so gehen mit "Just So" von der dänischen Sängerin Agnes Obel, die in Berlin lebt. 2009 tauchte es in einem Telekom-TV-Spot auf, ganz zart, etwas Harfe, etwas Klavier, eine ätherische Stimme, Puppenstubenmusik, bezaubernd. Eigentlich viel zu schade für Werbung.

In Dänemark verkaufte Agnes Obel dann richtig viele Platten, in Deutschland ging sie den Weg der Telekom-Aktie: viel Aufmerksamkeit, kein bleibender Erfolg. Obwohl ihr Debütalbum "Philharmonics" mit der Single locker mithielt. Dem zweiten Album "Aventine" (Pias) möchte man jetzt unbedingt mehr Resonanz wünschen. Wieder spielt Obel entrückte Miniaturen, lässt viel Raum zwischen den Tönen, zwischen Stimme und Instrumenten. Mal tröpfelt nur ein dezentes Klavier, dazu etwas leiser Gesang, mal seufzen ein paar Streicher, und ehe man richtig zupacken kann, ist alles schon wieder zerstoben zu Sternenstaub. So könnte Björk klingen, wenn sie nicht ständig quieken und schreien würde.

Kitsch? Ach ja, vielleicht hier mal ein Takt oder da, aber egal, diese Lieder sind wie Spaziergänge im Märchenwald. Da stören ein paar Pastelltöne nicht.

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