Die CDs der Woche - Popkolumne:Smartes Problemkind

Earl Sweatshirt

Der 21-jährige Rapper Earl Sweatshirt muss sich mit seiner neuen Platte nicht verstecken.

(Foto: AP)

Earl Sweatshirt liefert seine Rap-Platte "I Don't Like Shit, I Don't Go Outside" leider zum falschen Zeitpunkt. Snoop Dogg erläutert die Gründe seiner Großartigkeit. Und die Berliner Band Erfolg hat ein schönes, aber bizarres Album.

Von Jens-Christian Rabe

Seine neue Rap-Platte veröffentlichen zu müssen nur Tage, nachdem mit Kendrick Lamars neuem Album "To Pimp A Butterfly" gerade die Rap-Platte des Jahrzehnts erschienen ist - das ist Pech.

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Antithese zu Kendrick Lamar

Der gerade einmal 21-jährige Thebe Neruda Kgositsile alias Earl Sweatshirt aus Los Angeles, der vor ein paar Jahren als einer der Köpfe des Teenie-Rap-Kollektivs Odd Future bekannt wurde, trägt es mit Fassung. Und hat allen Grund dazu. Denn Earl Sweatshirt muss sich mit "I Don't Like Shit, I Don't Go Outside" (Columbia) nicht verstecken. Seine Introspektionen eines smarten Problemkinds, die er meisterhaft schleppend-scheppernd selbst vertont hat, sind so etwas wie die Antithese zu "To Pimp A Butterfly".

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Ende April soll das erste Blur-Album nach 12 Jahren erscheinen: "The Magic Whip". Die erste Single "There Are Too Many Of Us" ist souverän gelungen, mehr auch nicht. Womöglich sind da wirklich ein paar alte Helden zu viel unterwegs.

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Snoop Dogg immerhin hielt in der letzten Woche keine altersweise Keynote-Speech auf dem SXSW-Festival in Austin, dem mittlerweile meistbeachteten Musikfestival der Gegenwart. Mit Brille, dunkelblauer Fliege und hellgrauem Baumwoll-Pullunder ließ er sich von seinem langjährigen Manager über die Gründe seiner Großartigkeit befragen. So habe er von 300 oder 400 Rap-Battles nur einen einzigen verloren. Merke: Großartigkeit führt zu Großartigkeit. Wäre das auch geklärt.

Schön, aber auch ein bisschen bizarr

Die allerletzten Fragen zum Erfolg, also die, die einem womöglich nur auf dieser Seite des Atlantiks einfallen, beantwortet dann die Berliner Band Erfolg auf ihrem - natürlich - gleichnamigen Debütalbum (Staatsakt). Der Kopf von Erfolg ist Johannes von Weizsäcker, den man als Mitglied der Londoner Hipster-Pop-Band The Chap kennt. Bei Erfolg ist Weizäcker auch nicht allein am Werk. Begleitet wird er vom "Besten Damenchor der Welt".

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Gemeinsam haben sie etwas erschaffen, das man vielleicht ein Essay-Album nennen kann, man steckt gleich in den ideologischen und emotionalen Untiefen des modernen Menschen. Wie das klingt? Bisschen geschmackvolle Indierock-Gitarren hier, etwas feines elektronisches Geplucker dort, und dazu samten-süßlicher, fast gesprochener Gesang: "Ich nenn mich Erfolg / Dann hab ich immer / Erfolg in meinem Leben." Ein Album für Momente, in denen man auf dem Sofa grübeln möchte. Schön, aber auch ein bisschen bizarr. Gut so.

Aufräumen in den Alben-Charts

Mehr Fragen werfen mal wieder die deutschen Alben-Top-Ten auf. Allein fünf Schlager-Helden finden sich dort, natürlich Helene Fischer ("Farbenspiel", Platz 9) und Nena ("Oldschool", 8), aber auch Herbert Grönemeyer ("Dauernd jetzt", 7), Wolfgang Petry ("Brandneu", 6) und Howard Carpendale ("Das ist unsere Zeit", 2). Außerdem weit vorn: das obligatorische Deutschrap-Album. Diesmal heißt es "Superkräfte" und kommt von Steven Matyssek alias Sudden aus Salzgitter.

Der Soundtrack von "Fifty Shades of Grey" steht auf dem dritten Platz. Wie rappen Deichkind gleich wieder, die mit ihrem neuen Album vor kurzem immerhin eine Woche lang auf dem ersten Platz der Charts standen, und man ausnahmsweise seinen Frieden gemacht hatte mit dem deutschen Massenpopgeschmack? Auf ihrer neuen Single "Denken Sie groß" rappen sie: "Bauen Sie kein Reihenhaus, bauen Sie ein' Vorort / Und herrschen dort als glücklicher Warlord". Das wär's. Müsste aber gar kein ganzer Vorort sein, es reichte für's Erste schon, wenn man in den deutschen Alben-Charts mal aufräumen dürfte.

Aber das ist ja nur die oberflächliche Sicht der Dinge. Genau genommen erscheint jede Woche kein präziserer Kommentar zur Lage des Landes als die Alben-Charts. Wer wissen will, wie dieses Land tickt, der höre seine meistgekaufte Musik. Und versuche sich dann an einem Satz, in dem die Worte Farbenspiel, oldschool, brandneu, dauernd jetzt, unsere Zeit, Superkräfte vorkommen - und fünfzig Schatten von Grautönen.

Sei modern, auch wenn es dich doof aussehen lässt

Dass noch bis Freitag Madonna mit "Rebel Heart" auf dem ersten Platz stehen wird - dann wird sie wohl von Mark Knopfler abgelöst werden, melden die Konsumforscher -, gibt zum Schluss die Gelegenheit, die beste Kurzkritik dieser Platte zu küren.

Das Magazin Vice schrieb sehr schön zum neuen Album der "Fürstin der Volljährigkeit" (Dietmar Dath"): "Es ist bewundernswert, wenn eine Milliarden Jahre alte Person sagt: ,Scheiß drauf!' und einfach das gleiche macht wie junge Leute. Dass Madonna mit Diplo und Avicii ein Album aufnimmt, ist so, als würde dein Onkel ein Bild seiner weißhaarigen, schlaffen Testikel per Snapchat an seine Freundin schicken. Eigentlich sagst du: ,Oh, Mann, hör sofort auf damit!', aber ein kleiner Teil von dir denkt auch: ,Genau! Sei modern, auch wenn es dich doof aussehen lässt!'" Wurde schon erwähnt, dass das neue Deichkind-Album "Niveau Weshalb Warum" heißt?

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