Das Album der Woche hat die Band Desaparecidos aus Nebraska aufgenommen. Sie ist eines der vielen Projekte des Bright-Eyes-Kopfes Conor Oberst. Der Bandname bedeutet so viel wie "Die Verschwundenen". In Ländern Mittel- und Südamerikas sind damit Menschen gemeint, die von staatlichen Sicherheitskräften verhaftet oder entführt werden - und danach nie wieder auftauchen. Wegen Überbeschäftigung des Chefs hat die Band - mit kleinen Unterbrechungen - fast 13 Jahre lang pausiert. "Payola" (Epitaph Records) klingt nun, als habe man all die Jahre Zorn gesammelt: Es sind keifende Gitarren, prügelnde Drums, kreischende Synthies und kehlig-hingerotzter Gesang zu hören. Brachial anachronistisch ist das, es spreizt sich, kantig und rostig gegen die Zeit.
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In den deutschen Album-Charts gibt es in dieser Woche ein paar Rekorde: Erstmals sind die vordersten zehn Plätze von deutschsprachigen Interpreten besetzt. Zudem sind gleich vier Rap-Acts dabei: KC Rebell, Marsimoto und die Duos LX & Maxwell und Celo & Abdi. Gut für Menschen, die sich schon immer eine Quote für deutschsprachige Musik gewünscht haben. Schlecht für Menschen, die dort einfach nur gute Musik hören wollen.
Rappen, nicht nur sprechen
Zum Beispiel KC Rebell. Der macht sich auf seinem aktuellen Nummer-eins-Album "Fata Morgana" (Banger Musik) ein paar bleischwere Gedanken zu fast allem, was das Land zwischen Pegida und IS gerade so an Sorgen plagt. Das ist rührend unironisch und natürlich nicht völlig verkehrt. Dass sich Hüseyin Kökseçen, wie KC Rebell bürgerlich heißt, aber ernsthaft überall mit dem Werbespruch der Bild-Zeitung - "Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie ausspricht" - zitieren lässt, geht dann doch etwas weit. Oder ist der Mann einfach der mit allen Wassern gewaschene Oberzyniker des Deutschrap? Gut wäre dann allerdings, wenn er wirklich rappen und nicht einfach nur sprechen könnte.
Etwas glücklicher liegt der Fall bei "Blockbasta" (Four Music/Sony) von ASD, dem in der kommenden Woche erscheinenden gemeinsamen Album der beiden deutschen Rap-Veteranen Afrob und Samy Deluxe. Die kauften ja schon 2003, bei ihrem ersten Album, klugerweise viel Musik bei Produzenten in den USA ein. Nun ist Benjamin Bazzazian alias Bazzazian für die meisten Beats verantwortlich. Von dem Kölner stammen auch einige auffallend grimmige Playbacks auf dem nicht zu Unrecht im vergangenen Jahr viel gelobten Haftbefehl-Album "Russisch Roulette". Auf "Blockbasta" sind die Ideen etwas eindimensionaler, sorgen aber doch für eine Menge Rabatz. Dazu gibt es hier und da beachtliche Reime - und eine Lobeshymne auf das Airhorn, die Druckluft-Tröte aus dem Fußballstadion. Insgesamt ist das nur selten peinlich. Und das ist für deutschen Mainstream-Rap doch schon ziemlich viel.
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Das Debütalbum "Coming Home" (Columbia) des aus Texas stammenden Leon Bridges ist ein Album für Soul-Puristen - warme, samtige Bässe, sepiafarbene Chöre, butterweicher Schmelz in der Stimme. Songs mit perfekter Bügelfalte sind das, völlig frei von ironischen Brüchen. Der 25-jährige Sänger ist an Gospel geschult und setzt mit manischem Eifer um, was man in den Sechzigern getan hat - und wie man es getan hat. "Du klingst ja wie ein alter Mann!", hat seine Mutter dazu gesagt. "Und du ziehst dich an wie dein eigener Großvater." Allerdings entwickelt Bridges in all dem Retro-Bestreben eine ganz eigene Kompromisslosigkeit. Er gibt dem Soul das besonders exzessiv zurück, was ihm mit den vielen Wiederbelebungswellen etwas abhandengekommen war: seinen historischen Kontext. Der Guardian sprach von "Borderline- Radikalismus". Das kommt gut hin.
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Dass nun, wo Deutschsprachiges doch gerade so schrecklich erfolgreich ist, ausgerechnet Rammstein-Frontmann Till Lindemann auf Englisch singt, ist ein hübscher Treppenwitz der Pop-Geschichte, mit dem wir hier aufhören wollen. Zu den deftigen Texten auf "Skills in Pills" (Warner), dem Album seines neuen Projekts Lindemann, hat er gerade dem amerikanischen Rolling Stone ein sehr unterhaltsames Interview gegeben. Auf die Frage, wie seine Familie zu Songs wie "Praise Abort" (also "Rühme die Abtreibung") stünde, sagte er, seine Kinder wüssten, dass die Texte nur Fiktion seien - ein Rollenspiel. Die schockiere so schnell nichts. Und außerdem sei er mit ihnen ja auch wirklich genug gestraft: Sie seien nämlich große Fans der Band Coldplay.
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