Die CDs der Woche - Popkolumne:Nostalgischer Wind

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(Foto: N/A)

Sind das wirklich zwei verschiedene Bands? The Pop Group und die Gang of Four klingen nicht nur ähnlich, sondern scheinen auch beide im Jahr 1980 stecken geblieben zu sein.

Von Max Fellmann

Im Radio ist gerade ein Song sehr beliebt, der so ziemlich allem widerspricht, was es an Regeln für Hits gibt: Er hat keinen Dance-Beat. Keinen Sha-la-la-Refrain zum Mitgrölen. Nichts, wozu man beim Autofahren auf die Fahrertür hämmern könnte. Er ist vielmehr: eine Art Volkslied. Gesungen von einer zarten Mädchenstimme, erst verhalten, dann ergänzt um einen düsteren Chor und opulente Geigen. Der Song "The Hanging Tree" erfüllt kein einziges Klischee einer ordentlichen Nummer eins. Wie konnte er dennoch ein Hit werden? Die Antwort gibt's im Kino: Er stammt aus der Tribute-von-Panem-Reihe und wird gesungen von der Hauptdarstellerin Jennifer Lawrence.

Filmsongs werden oft zu Hits, klar - aber das sind eigentlich immer die Gute-Laune-Abspann-Lieder. Warum ist dieser merkwürdige Naturvolk-Singsang ein Hit? Weil er genau das Gegenteil ist. Weil er klingt wie ein Gefangenenchor kurz vor der Revolte (so etwas ähnliches ist er auch im Film). Man muss keinen der Panem-Filme gesehen haben - das eigenartige Ihr-da-oben-wir-hier-unten-Pathos kriegt einen trotzdem.

Vielleicht funktioniert "The Hanging Tree" vor allem als Bruch im morgendlichen Privatradio-Brei: Der Song spricht Menschen an, die täglich auf der Einbahnstraße des Lebens im Stau stehen. Vielleicht träumen sie zwischen Verkehrsmeldung und Möbelhauswerbung, sie könnten es eines Tages schaffen, aus all dem auszubrechen. Zumindest ein wehmütiges Volkslied lang.

Raritäten-Gala oder: totale Resterampe

Andere Frage: Haben Sie zu viel Geld und suchen gerade ein ungewöhnliches Geschenk? Morgen endet eine Auktion, die man mit gutem Willen als echte Raritäten-Gala bezeichnen könnte. Oder etwas nüchterner betrachtet: totale Resterampe. Das Online-Auktionshaus paddle8.com versteigert unter anderem eine Kreditkarte von Kurt Cobain (geschätzter Ertrag: 9 000 Dollar), Frank Sinatras Führerschein aus dem Jahr 1944 (vielleicht sogar 10 000 Dollar) und die Setliste eines U2-Konzerts von 1983 (eher nur 5 000).

Klar, mit solchen Stücken sind immer ein paar Dollar zu machen, aber man darf sich schon fragen, welche Niederungen der Bedeutungslosigkeit eigentlich erreicht sein müssen, bevor ein Auktionshaus sagt: Halt, das wird uns jetzt zu albern. Andererseits: Nein, da gibt es keine Grenze nach unten - vor Jahren hat schließlich auch jemand 2200 Dollar gezahlt für einen Toast, den angeblich George Harrison angebissen hatte. Und das, obwohl Harrison sich auf Anfrage weigerte, die Echtheit zu bestätigen. Sein Argument: Er esse seinen Toast immer ordentlich auf.

Andere leben noch, da wird nichts versteigert, die müssen selbst sehen, wie sie zu Geld kommen. Gleich zwei wichtige Bands der Post-Punk-Ära veröffentlichen neue Alben: Gang Of Four hatten es vor ein paar Jahren schon mal halbherzig versucht, jetzt behauptet der Sänger Andy Gill, der einzige Verbliebene der Originalbesetzung, mit dem Album "What Happens Next" (Membran) sei es ihm wirklich ernst.

Gleichzeitig hat Mark Stewart seine Band The Pop Group reaktiviert und nach 35 Jahren Pause ein neues Album aufgenommen, es heißt "Citizen Zombie" (Freaks R Us), der Titel verrät: Jetzt muss wieder Sozialkritisches gesungen werden. Die beiden Bands verbindet nicht nur, dass sie damals Punk-Rotzigkeit, Funk-Gitarren, holprige Disco-Beats und hysterischen Gesang kombinierten, sie klangen auch ziemlich ähnlich.

Was sie heute miteinander verbindet, ist die traurige Tatsache, dass sie der Gegenwart nichts mehr zu sagen haben. Inhaltlich gibt's in beiden Fällen nur lahme Pamphlete, wir lassen uns alle vom Staat und der Medienmaschine unterkriegen, wir sind uns selbst entfremdet und so weiter. Musikalisch hat sich nichts verändert, es ist das Jahr 2015 und wir hören: Musik aus dem Jahr 1980.

Mit dem Unterschied, dass es in der Zwischenzeit Bands wie Franz Ferdinand und Bloc Party gab, die das Ganze aufgegriffen und weiterentwickelt haben - und ihre 15 Minuten Ruhm auch schon wieder weitgehend hinter sich haben. Schade.

In England weht ein nostalgischer Wind

Und noch eine Rückkehr. In England weht offenbar gerade ein nostalgischer Wind. Jetzt haben sich Blur in Originalbesetzung zusammengetan, mit Gitarrist Graham Coxon, im April soll ein neues Album erscheinen. Das ist eigentlich erfreulich, die Konzerte, die die vier in den vergangenen Jahren gegeben haben, waren vielversprechend. Nicht so viel Gutes lässt allerdings der erste Song ahnen, der jetzt im Internet die Runde macht: "Go Out" klingt wie der ungenutzte Mittelteil eines Gang-Of-Four-Songs, Schlagzeug und Bass stampfen lustlos dahin, Damon Albarn singt Ansätze einer Melodie, die man auf der Stelle wieder vergisst, kein Refrain weit und breit - und dass tatsächlich der große Graham Coxon die Gitarre spielt, merkt man, ehrlich gesagt, kein bisschen. Aber noch dürfen wir hoffen.

© SZ vom 25.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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