Süddeutsche Zeitung

Die CDs der Woche - Popkolumne:Nichts für unglücklich Verliebte

In "Ghost and Ghost" von Iron and Wine schauen Wham! kurz rein, der Rest ist nur klebriger Folk-Soul. José Gonzalez von Junip klingt wie der einsamste Mensch der Welt und Bombinos Schlagzeug rumpelt und böllert - zum Lesen und Hören in unserer Popkolumne.

Von Max Fellmann

Junip

Bonjour Tristesse: Das erste Stück "Line Of Fire" sollten Menschen, die gerade unglücklich verliebt sind, lieber nicht hören. Der Sänger José Gonzalez klingt wie der einsamste Mensch der Welt, seine Gitarre zirpt traurig dahin, er singt "What would you do / if it all came back to you", dazu müde Orgel, raschliges Schlagzeug und herzerweichende Streicher. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das in einem Filmabspann auftaucht.

Den Schweden Gonzalez kann man auch als Singer/Songwriter kennen, seit ein paar Jahren ist er außerdem Teil der Band Junip, deren zweites Album heißt jetzt einfach "Junip" (City Slang): eine Fahrt im rostigen Cabrio durch ein sepiafarbenes Land, in dem sich Flamenco und 70er-Psychedelik treffen. Das prägende Element ist Gonzalez' klassische Gitarre. In manchen Momenten fließt das alles etwas unfokussiert dahin, in den inspirierten aber entsteht eine Stimmung, die man aus letzten Urlaubstagen kennt: heimelig, sonnig, entspannt - und das traurige Ende immer in Sicht.

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Leute, die alles, wirklich alles richtig machen, können einem ja auch auf die Nerven gehen. Dan Auerbach spielt mit seinen Black Keys rumpligen Bluesrock, füllt die größten Hallen, kassiert Grammys, wird von allen geliebt. Guter Mann, aber kann der nicht bitte mal etwas falsch machen? Ein bisschen menschlich sein? Hier sieht's prompt . . . wieder nicht danach aus.

Auerbach ist auf den nigrischen Musiker Omara Moctar gestoßen: Der hat im Bürgerkrieg gekämpft, lebt heute als Musiker in den USA und nennt sich Bombino. Auerbach hat ihm das Debütalbum "Nomad" (Warner Music) produziert. Das Ergebnis ist so etwas wie die Black Keys mit afrikanischem Einschlag. Und funktioniert schon wieder ziemlich gut. Es rumpelt und böllert, das Schlagzeug erinnert an einen Containerbahnhof, dazu spielt Moctar Gitarrenriffs, die halb nach New Orleans, halb nach Agadez klingen - und zeigen: Der Blues hat seine Wurzeln eben nicht nur in den Südstaaten.

Schade, dem geht's zu gut. Der Amerikaner Sam Beam, der sich Iron And Wine nennt, ist immer dann am besten, wenn ihn die Melancholie im Griff hat, dann spielt er mit seinem dünnen Gesang und den zarten Akustik-Balladen fast in einer Liga mit Bon Iver. Beim neuen Album "Ghost On Ghost" (4AD) wirkt aber höchstens das Foto des Sängers melancholisch, der Rest ist Folk-Soul, fast klebrig, leichter Hüftschwung hier, Copa-Cabana-Streicher da, im zweiten Stück, "The Desert Babbler", schauen für vier Takte sogar Wham! rein (nein, nicht die echten, es klingt aber so).

Fehlen eigentlich nur noch Cocktailrezepte im Booklet. Na ja, vielleicht ist das Geheimnis schnell erklärt, im Song "Low Light Buddy Of Mine" singt Beam: "I love you and you love me / and there's new fruit hanging in the old fruit tree". Wenigstens kann man sich bei solchen Platten immer auf das letzte Stück verlassen. Und ja, genau, danke: Da kommen doch noch die ganz hohen, flehentlichen Gesangspassagen, die verhaltenen Klavierakkorde, die wehmütige Pedal-Steel-Gitarre. Geht doch.

Zuletzt noch etwas Eigenartiges: die Hardrockband Clutch aus dem amerikanischen Städtchen Germantown, seit über zwanzig Jahren aktiv, in den USA ein durchaus großer Name, in Europa nicht mal siebte Liga. Hm, wird nicht, abgesehen von Country-Obskuritäten, automatisch alles, was in Amerika funktioniert, bei uns auch riesengroß?

Bei Clutch könnte das Problem sein, dass in ihrem Hardrock zu viel Hinterwäldler-Blues steckt. Ihre Riffs klingen wie Black Sabbath mit Cowboy-Hüten, die vier Musiker sehen aus wie die Männer, die in Horrorfilmen darauf warten, dass in ihrem Zehn-Seelen-Dorf mal jemand mit dem Auto liegen bleibt. Auf ihrem neuen Album "Earth Rocker" (Weathermaker/Soulfood) ist alles herrlich wuchtig, der großartige Sänger Neil Fallon klingt, als würde er auf einer Baustelle Anweisungen brüllen. Nur die Songs dürften gern präziser sein, zu oft kommt nach dem Riff nichts Zwingendes mehr. So groß wie zu Zeiten von "Burning Beard" (2005) sind sie hier nicht, aber es lohnt sich trotzdem, ihre Bekanntschaft zu machen (nur lieber nicht vor dem einsamen Haus am Ende der Landstraße).

Fortlaufende Popkolumne der SZ.

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Quelle:
SZ vom 10.04.2013/kath
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