Süddeutsche Zeitung

Die CDs der Woche - Popkolumne:Musik, die Durst auf Dosenbier macht

Sleaford Mods machen Musik, die die Kleingeld-Antwort auf das Bling-Bling-Gepose des Gangster-Rap ist. Fabelhafter als das Debüt "Divide And Exit" sind nur ihre Videos auf Youtube. Die Popkolumne - zum Lesen und Hören.

Von Max Fellmann

Musik, die klingt wie ein Streit an der Bushaltestelle nachts um eins: Das Duo Sleaford Mods aus Nottingham wird gerade als eine der Entdeckungen des Jahres gefeiert - und was soll man sagen? Ja, stimmt. Die beiden Vögel betreiben die unterhaltsamste Form von Nihilismus, die England derzeit zu bieten hat. An Musik haben sie ausdrücklich wenig Interesse, die Stücke wirken, als liefen einfach einzelne Takte aus alten New-Wave-Platten in Endlosschleife.

Darüber sprechsingt Jason Williamson in schwerem Provinzdialekt ein Sperrfeuer aus Vorstadt-Frust, Nervkram, Wut auf alles und jeden. Tiraden, gegen die der große Tiradist Mark Smith von The Fall wirkt wie La Roux (siehe unten). Williamsons Texte sind phantastisch, er findet für den Hass immer geistreiche Formulierungen. "Wir sehen immerhin wie 20-Pence-Ware aus im 10-Pence-Wühltisch" - die Kleingeld-Antwort auf das dollarschwere Bling-Bling-Gepose des amerikanischen Gangster-Rap.

Das Debüt "Divide And Exit" ist also fabelhaft, fast noch fabelhafter sind die Sleaford-Mods-Videos auf Youtube, "Tied Up In Nottz" oder "Up North": Um die Songs geht's da meist nur am Rande, dafür werden minutenlang triste Bilder aus der englischen Provinz gezeigt, leere Busse, graue Häuser, graue Wolken. Musik, die Durst auf Dosenbier macht.

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Ein Projekt, das interessant werden könnte: Aretha Franklin, die große, wunderbare, unzerstörbare Soul-Königin Aretha Franklin, hat für September ein neues Album angekündigt. Es soll aus lauter Cover-Versionen bestehen, nur Songs von Frauen, darunter "People" (Barbra Streisand), "Rolling In The Deep" (Adele) und "What's Love Got To Do With It" (Tina Turner). Die Überraschung ist, dass als Produzent auch André 3000 dabei ist, Rapper und verrückter Hund von Outkast. Vorab hat ihn die Grande Dame übrigens versehentlich degradiert: In einem Interview sagte sie, sie freue sich sehr auf die Arbeit mit André 2000.

Im nächsten Jahr wird Eric Clapton 70, und gerade hat er erklärt, er sei die Tourneen leid: "Nur die Auftritte an sich sind in Ordnung. Wenn ich die einfach bei mir um die Ecke machen könnte, wär's perfekt." Billy Joel, nur vier Jahre jünger als Clapton, hat sich Ähnliches überlegt: Er verreist zwar noch gern, vor allem aber spielt der New Yorker jeden Monat ein Konzert in Manhattans Madison Square Garden. Das Motto der müden alten Männer lautet also eindeutig: Frage nicht, wohin du reisen musst, lade die Leute einfach dahin ein, wo du schon bist.

Bryan Ferry könnte ab und zu seine drei letzten Fans zur Fuchsjagd/Konzert-Kombi in die südenglischen Wälder bestellen. Sting könnte in seinem toskanischen Castello Lautenabende mit Rotweinverkostung veranstalten. Und Jimmy Page überredet Robert Plant doch noch zur jährlichen Reunion-Show in der Londoner 02-Arena. In Deutschland funktioniert das ja auch schon ähnlich: Wer Udo Lindenberg erleben will, muss nur lange genug im Foyer des Hamburger Atlantic-Hotels warten.

Die britische Pop-Sängerin Elly Jackson ist noch jung, sie wurde 1988 geboren, aber offenbar hat sie sich vorgenommen, möglichst die Musik zu machen, die bei ihrer Geburt gelaufen sein könnte: Spätachtziger-Pop mit juchzigem Synthesizer und Melodien. Unter dem Namen La Roux macht sie den seit fünf Jahren mit Erfolg. Auch auf dem neuen Album "Trouble In Paradise" hört man bei jedem zweiten Refrain die junge Madonna, und spätestens ab dem dritten Song färbt sich die Kleidung des Hörers neonbunt.

Gute Laune mit hohem Plastik-Anteil: Das könnte nerven, tut es aber nicht. Elly Jackson macht einfach zu viel richtig. Sie übertreibt nie, ihre Zitate gleiten nicht in Pastiches ab. Sie singt wie ein fröhlicher Teen-ager - aber nicht zaunlattendemonstrativ fröhlich. Wenn im Radio wieder mal "das Beste der 80er, 90er und von heute" läuft, könnte das hier problemlos in die erste Kategorie gehören - und es wäre dann tatsächlich mit das Beste aus diesem ansonsten musikalisch so schlimmen Jahrzehnt.

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Brasilien hat Chile ja erst im Elfmeterschießen bezwingen können. Der Halbchilene Nicolas Jaar, Musiker, DJ und Mitglied des Duos Darkside, hatte vor dem Anpfiff getwittert, er werde einen neuen Song ins Netz stellen, wenn Chile gewinne ("If chile wins I'm sharing a new track"). Nach Spielende machte er es zum Glück trotzdem ("Fuck it"). Das Stück heißt "Consolation" und ist ein Remix des gleichnamigen Soulfunk-Songs der Helen Hollins Singers. Er klingt ganz anders als alles, was Jaar mit seinem düsteren Projekt Darkside so fabriziert. Also sehr funky, zum Hüftschwingen: Das hätte gut zu einem Sieg seines Teams gepasst.

Fortlaufende Popkolumne der SZ. Wenn Sie diese Songs nicht hören können, melden Sie sich bitte bei Spotify an. Auf der rechten Seite finden Sie mit der Maus den (sehr kleinen) Scrollbalken. Wenn Sie nach unten scrollen, finden Sie die Alben, die in den vergangenen Wochen in der Popkolumne besprochen wurden und gleichzeitig bei Spotify enthalten sind.

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Quelle:
SZ vom 02.07.2014/nema
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