Die CDs der Woche - Popkolumne:Menschen grooven besser als Maschinen

Lesezeit: 3 min

Auf dem Album "(III)" von Crystal Castles, haben Wut und Aggression der Erstarrung Platz gemacht. (Foto: N/A)

Ihr apokalyptischer Ton prägte den Sound des Elektro-Pop entscheidend mit, weswegen die Crystal Castles bei ihrem Debüt unter die fünzig wichtigsten Alben des Jahrzehnts gewählt wurden. Nun legen sie mit verstörend tollen Klängen nach. Dies und weitere irrwitzig-psychedelische Sounds hören Sie in unserer Popkolumne, die diese Woche sehr elektronisch ausfällt.

In Kooperation mit Spotify. Von Alexis Waltz

Crystal Castles

Die Crystal Castles aus Toronto waren die Elektro-Pop-Sensation 2008. Noch nie klang das Genre so zerrissen, so abgründig, so zerstört. Auf ihrer Debüt-Single "Alice Practice" schreit Sängerin Alice Glass gegen das bratzige, elektronische Fipsen ihres Partners Ethan Kath an. Bis dahin glaubte die elektronische Musik an die Schönheit ihrer Mittel, ein Groove sollte modern und makellos sein wie ein Hochhaus von Walter Gropius. Bei den Crystal Castles quälen nicht einzelne Klänge, sondern die Musik als Ganzes.

Der karikaturhaften Stimme steht die surreale Monstrosität der elektronischen Klänge gegenüber. Diese Musik ist impertinent, aber egal, wie sehr man den Lautstärke-Regler aufdreht, klingt sie doch fern und unterdrückt. Dezentriert wie die Psyche eines Borderline-Patienten hat sie den ultradüsteren, apokalyptischen Ton vorgegeben, der die elektronische Musik bis heute bestimmt. Der britische New Musical Express wählte ihr Debüt unter die fünfzig wichtigsten Alben des Jahrzehnts. Der vorläufige Höhepunkt ihrer Karriere war ein Duett mit Robert Smith von The Cure. Nicht ihr elektronischer Punk im engeren Sinn, sondern ihr freie, scheinbar ungeordnete Montage von Klängen und Stimmen machte sie zum Vorbild für viele in diesem Jahr erfolgreiche Künstlern, wie Grimes oder Laurel Halo.

Halo geht noch weiter und bringt folkige Song-Fetzen und die Bässe des Dubstep ohne erkennbaren Bezug zusammen. Musik entsteht da höchstens im Nachhall. So ist die Botschaft der Crystal Castles angekommen. Sie selbst sind gar nicht mehr so notwendig: Auf "(III)" (Fiction) haben Wut und Aggression der Erstarrung Platz gemacht.

Wenn Sie diese Songs nicht hören können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Prins Thomas und sein Mitstreiter Lindstrøm waren für das Space-Disco-Revival im Jahr 2005 verantwortlich. "Space-Disco" war ein Phänomen, das 1977 blitzartig die Disco-Szene erfasst hat und 1979 schon wieder fast verschwunden war. Ihre Protagonisten sahen in den Raumschiffen aus Star Wars Schauplätze für futuristische Partys.

Auf Prins Thomas Album "II'' (Full Pupp) fließen die Tracks ganz organisch dahin. (Foto: N/A)

Space-Disco verbindet die Körperlichkeit von Disco mit schwebenden synthetischen Klängen, die Science-Fiction-Soundtracks und dem Art-Rock der Zeit entnommen waren. Für die beiden Norweger Thomas und Lindstrøm ist diese Musik jedoch kein Kuriosum der Popgeschichte, sondern eine Alternative zum monotonen Hämmern des zeitgenössischen Techno und House. Sie lehnen die Erkenntnis der Achtzigerjahre ab, dass Maschinen besser als Menschen grooven und setzen den Drummer wieder ins Recht.

Thomas' Solo-Debüt war 2010 ein Kraftakt: Er entfaltete den 70er-Klangkosmos in allen Facetten und musste gleichzeitig seine Brauchbarkeit im Club belegen. "II'' (Full Pupp) muss nichts mehr beweisen. Statt um die Synthese verschiedener Stile zu ringen, fließen die Tracks ganz organisch dahin - und sind gerade dann lebendig, wenn der Drummer aus dem Takt kommt.

Der Berliner Zip ist Produzent und DJ. Sein größtes Verdienst ist das seit fünfzehn Jahren bestehende House-Label Perlon, das wahrscheinlich einflussreichste Clublabel dieser Tage. Der in der Zeit der Gründung Perlons dominierende amerikanische House handelt von Religion, Familie, romantischer Liebe und rassistischer Ausgrenzung. Perlon riss den House aus dem amerikanischen Kontext heraus und definierte die Partysituation als Labor, in der die Wirkung aller vorstellbaren Klänge ausprobiert werden konnte.

Aber während von der Jahrtausendwende an die meisten großen Labels versuchten, sich als Markenprodukte mit einem bestimmten Sound zu verbinden, verzichtete Perlon weitgehend auf einen festen Künstlerstamm. Zip veröffentlichte, was er im jeweiligen Moment für die beste Musik hielt. Bislang besteht Perlon nur aus Zip selbst. Es gibt keinen Label-Manager, keinen Promoter und auch keine angeschlossene Booking-Agentur, um die inzwischen notorisch ertragsschwache Label-Arbeit durch Veranstaltungen zu refinanzieren. Perlon hat nicht einmal eine Internet-Seite. Von den Resident-Advisor-Lesern wurde er trotzdem - oder natürlich gerade deshalb - unter die dreißig einflussreichsten DJs des Jahres gewählt.

Understatement herrscht auch auf "Fabric 67" (Fabric), Zips erstem veröffentlichten Mitschnitt überhaupt. Perlons irrwitzig-psychedelischer Sound mit den labyrinthischen Basslines und den stolpernden Grooves wird darauf aber gerade nicht an Perlon-Tracks demonstriert - sondern an klassischem amerikanischem House.

Wenn Sie diese Songs nicht hören können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

© SZ vom 12.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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