Die CDs der Woche - Popkolumne:Kurzer Prozess mit Gehampel

Das Album "Trouble Will Find You" von The National

Das Album "Trouble Will Find You" von The National hat die Bandbreite aller niederen Stimmungen.

(Foto: 4AD)

Die Sportfreunde Stiller sind mit ihrem Hauruck-Gehampel nicht rezensierbar. The National haben die Tiefe des großen amerikanischen Indierocks, nach der alle dürsten, während CocoRosie lieblich den Tanzfuß rührt. Die Popkolumne.

Von Max Scharnigg

"The National"

Eigentlich unbemerkt und scheu, irgendwo in den Hinterhöfen der Hochstimmung wurde diese Band zu einer Großband. Einer, die heute so unbedingt zum Kanon und Ins-Bett-Gehen einer ganzen, kleinen Generation gehört, dass es eigentlich bei diesem sechsten Album höchste Zeit für Abwendung und Für-und-Wider-Debatten wäre, aber das läuft nicht. The National aus New York sind einfach immer noch vorne und sie schieben ihre zarten Manien unbeirrt und sanft in die Welt, als würden mit einem neuen Album nur eben die Kissenbezüge getauscht, auf denen man sich dann wieder bettet und Trost findet.

Das neue Album "Trouble Will Find You" (4AD) ist also sehr gut, punktum. Es hat die Tiefe, nach der alle dürsten, es hat die Streicher und den Bariton von Matt Berninger, ohne den viele nicht mehr leben wollen und es hat genau die Bandbreite, die alle niederen Stimmungen und Therapiegedanken abdeckt. Flottes zum Fahrradfahren wie "Graceless", viel in Moll und unpeinliche Balladen wie "Fireproof", aber solche Sachen haben viele Bands, die mit College-Rock und der Dave Matthews Band aufgewachsen sind. Es sind Stücke wie "Humiliation" und "Don't Swallow The Cap", die hier den Sockel aufstellen. Abseitige Nummern, in denen die beiden Brüderpaare an den Instrumenten ihre Gitarren und Rhythmusgeräte in Stellung bringen, um einen unwiderstehlichen Sog zu erzeugen. Da geht es weniger um pointierte Einzelaktionen, ausgefuchste Bassläufe oder große Refrains, und trotzdem werfen sie einen damit um.

Mit der nun abermals erfolgreichen Neuauflage dieses Kunststücks, hängen sie in der Ahnenreihe mit Modest Mouse und Death Cab For Cutie, in direkter Erbfolge des großen amerikanischen Indierocks. Manches klingt hier aber auch nach Go-Betweens, die ewig unerreicht bleiben werden, wenn es darum geht, die Niedertracht des Zwischenmenschlichen in absolute fettfreie, jubilierende Songs zu gießen. So leichtfüßig sind National nicht, wollen es auch nicht sein. Das neue Werk stampft bisweilen ganz schön im College-Pathos, und ist auch vielleicht zwei Songs zu lang. Die Botschaft und Aura schmälert das nicht. Diese Großband ist immer noch die Messlatte für schweren Indierock und bleibt Pflichtlektüre, bevor mit Geisteswissenschaftlerinnen angebandelt werden kann.

Sportfreunde Stiller

Der sagenhafte Aufstieg dieser ehemaligen Münchner Vorstadtband gehört zu den schönen Wundern im deutschen Pop. Dass die absichtliche Unbeholfenheit von Bruggers Gesang jemals radio- und charttauglich werden würde, darauf hätte jedenfalls niemand gewettet, als sie vor 15 Jahren unter dem Namen Stiller wirklich ausgezeichnet nette Boazn-Konzerte gaben und Lieder mit Jack-Kerouac-Zitaten darin hatten.

Das Album "New York, Rio, Rosenheim" von Sportfreunde Stiller

Das Album "New York, Rio, Rosenheim" von Sportfreunde Stiller kann man einfach nicht rezensieren.

(Foto: PR)

Naja, dann kamen die Olympiahalle und die Fußballhymnen und Udo Jürgens, aber sie standen bei alldem immer noch so kreuzfidel und wurschtig auf der Bühne, dass man es irgendwie weiter gut finden konnte. Mit dem neuen Werk "New York, Rio, Rosenheim" (Universal) fremdelt man trotzdem. War es wirklich immer dieses Hauruck-Bridge-Refrain-Hauruck-Gehampel? Die Rezension hört deswegen an dieser Stelle auf. Die Sportfreunde Stiller sind nicht rezensierbar. Je genauer man hinsieht, desto mehr zerfällt alles, dabei ahnt man beim dritten oder vierten Durchlauf: Es muss irgendwie so sein und die haben das doch wieder getroffen. Das Rosenheim-Lied wird einem todsicher jemand ins Ohr grölen, schon bald.

CocoRosie

Das Album "Tales Of The Grasswidow" von CocoRosie

Das Album "Tales Of The Grasswidow" von CocoRosie rührt lieblich am Tanzfuß.

(Foto: City Slang)

Die Schwestern Sierra und Bianca Casady entwickeln sich immer mehr zu einem Pop-Gesamtkunstwerk, wenn auch mit mehr wesentlich mehr Lebensfreude als etwa Björk. Ob Theater, Performance, Kunstausstellungen, Dichterlesungen und flamboyante Bühnenoutfits - CocoRosie bringen ihren bunt-avantgardistischen Ansatz überall unter, sie agieren eigentlich wie ein Architekturbüro für poetischen Popmix.

Herzstück bleibt aber die Musik und deren Herzstück wiederum wird diese fünfte Platte namens "Tales Of the Grasswidow" (City Slang) werden, denn es ist zweifellos eine der gelungensten der beiden Damen. Ihr Eklektizismus hat darauf eine außerordentlich helle und zugängliche Natur, von den gelegentlich etwas arg verschrobenen Momenten früherer Zeiten haben sie sich verabschiedet. Selbst ein somnambules Stück wie "Far Away", das nur aus Hauch und Quetsch besteht, rührt lieblich im Tanzfuß und touchiert Poesie, aber nicht zum Selbstzweck. Hören!

Fortlaufende Popkolumne der SZ.

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