Die CDs der Woche - Popkolumne:Kaste der Unberührbaren

Die einen haben inzwischen eine Kunsthüfte, die anderen einen Suizidversuch hinter sich. Verblüffend, wie viele totgesagte Rock- und Popkünstler im gesetzten Alter noch einmal große Kunst zeigen. Die besten Comebacks 2012 - zum Lesen und Hören in unserer Popkolumne.

Von Max Fellmann

In dieser Kolumne soll es jetzt, in den Wintertagen, um die Alben des Jahres 2012 gehen. Vergangene Woche bekannte sich Karl Bruckmaier zu seinen Favoriten, nächste Woche wird es Jens-Christian Rabe tun. Ich wäre auch sofort bereit, mich mit allen auf die diesjährigen Verdächtigen von Frank Ocean bis Grizzly Bear zu einigen - aber wenn ich ganz ehrlich bin, haben mich 2012 am meisten die Comebacks bewegt.

Van Halen

Nach all den Jahren wieder vereint. Eddie Van Halen, der versierteste Gitarrist seiner Generation, und David Lee Roth, der einmalige Metal-Jodler. Warum das rührend war? Weil die Band jetzt, im gesetzten Alter, noch viel gelöster rumböllerte als in ihren großen Zeiten.

Die CDs der Woche - Popkolumne: Beim Comeback-Album "A Different Kind of Truth" von Van Halen hat man den Eindruck, die älteren Herren müssen ständig selber lachen, wie gut das noch alles geht.

Beim Comeback-Album "A Different Kind of Truth" von Van Halen hat man den Eindruck, die älteren Herren müssen ständig selber lachen, wie gut das noch alles geht. 

(Foto: Interscope)

Sie haben ja schon alles hinter sich: Eddie Van Halen tritt heute mit Kunsthüfte auf, Roth mit Kunsthaar, auf der Bühne macht keiner mehr Schritte als unbedingt nötig - aber sie rocken. Überdrehter, comicbunter, quietschalberner Hardrock.

Beim Comeback-Album "A Different Kind Of Truth" hatte man den Eindruck, die müssen ständig selber lachen, wie gut das noch alles geht. Eine Bande von alten Elefanten, die eine ganze Porzellanfabrik in Schutt und Asche legt. Groß.

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The Specials

Völlig anderes Genre, noch mehr Rührung: die Specials. Fast in Originalbesetzung. Die Konzerte, die sie 2012 in Deutschland gaben, waren verblüffend. Sänger Terry Hall hat keine Kunsthüfte wie Eddie van Halen, dafür einen Suizidversuch hinter sich. Aber manchmal lächelte er sogar. Terry Hall hält sich immer noch am Mikrofonständer fest, als hätte er Angst vor Gegenwind, aber wenn die Band große Herzblutstücke (also meine Herzblutstücke, in dieser Kolumne hier darf und soll es ja auch persönlich werden) wie "Gangsters" und "Concrete Jungle" spielte, musste man unbedingt sein Bier hinter sich schmeißen und tanzen.

Die CDs der Woche - Popkolumne: "More...Or Less. The Specials Live:" Die Konzerte, die die Ska-Band 2012 gab, waren verblüffend.

"More...Or Less. The Specials Live:" Die Konzerte, die die Ska-Band 2012 gab, waren verblüffend.

(Foto: EMI Catalogue)

Ewig toller, ewig gültiger Ska. Rührend daran war, dass das alles zwar nur aus finanziellen Gründen passierte, die Musiker sind pleite - dass es ihnen dann aber ganz offenkundig Spaß machte. Nur Jerry Dammers, der Bandgründer, war nicht dabei, wegen blöder Zickigkeiten. Aber schön: Dann gibt's in zehn Jahren gute Gründe für eine ECHTE Wiedervereinigung.

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The Stone Roses

Die CDs der Woche - Popkolumne: Pop hat manchmal eine unfassbare, gewaltige, einigende Kraft: Die Stone Roses stürzten mit der Ankündigung ihrer Reunion-Konzerte halb England in einen Rausch.

Pop hat manchmal eine unfassbare, gewaltige, einigende Kraft: Die Stone Roses stürzten mit der Ankündigung ihrer Reunion-Konzerte halb England in einen Rausch.

(Foto: Sbme Special Products)

Ich verstehe zwar nicht, was genau an den Stone Roses so großartig sein soll. In ihrer wichtigen Zeit 1989/90 erschienen sie mir eher überbewertet, Gitarrenpop mit Dancebeats, na gut. Aber was die vier Engländer in diesem Jahr mit der Ankündigung ihrer Reunion-Konzerte in England auslösten, das war bewegend:

Altgediente Journalisten beim NME, beim Guardian, bei der Times tippten Texte mit zitternden Fingern, tränenreiche Erinnerungen an legendäre Momente von früher, Pop, Politik, Umsturz, Neuaufbruch, Lost Generation - alles auf einmal wurde diskutiert, das halbe Land war wie im Rausch.

Man hatte nicht den Eindruck, da tut sich nur eine Band wieder zusammen (übrigens eine mit seinerzeit eher bescheidenen Verkaufserfolgen), sondern: Hier kommen die Heilande gleich mehrerer Religionen auf die Erde nieder! Natürlich alles total übertrieben, aber für den Moment war wieder klar: Pop hat manchmal eine unfassbare, gewaltige, einigende Kraft. Selbst wenn sie nur in der Verklärung der eigenen Jugend liegt.

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The Rolling Stones

Die CDs der Woche - Popkolumne: Der neue Stones-Song "Doom And Gloom" war eine verblüffend gute Single, besser als das meiste, was die Band in den letzten zwanzig Jahren so hingekriegt hat.

Der neue Stones-Song "Doom And Gloom" war eine verblüffend gute Single, besser als das meiste, was die Band in den letzten zwanzig Jahren so hingekriegt hat.

Die Band, bei der das Wort "Comeback" schon seit einem Vierteljahrhundert am Namen hängt wie ein Antiquitäten-Preisschild. So oft totgesagt, so oft halbtot weitergemacht. Ich bin absolut kein Fan, aber ich muss zugeben: Jetzt sind sie mit ihren weißen Haaren und faltigen Gesichtern endgültig in der Unberührbarkeit gelandet.

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Oft totgesagt, oft halbtot weitergemacht: Mick Jagger von den Rolling Stones bei einem Konzert in New York im Dezember 2012.

(Foto: AFP)

Fünfzig Jahre als Band, das ist im Pop eine unfassbar lange Zeit. Also: Ehrfurcht. Zum Glück war "Doom And Gloom" eine verblüffend gute Single, besser als das meiste, was sie in den letzten zwanzig Jahren so hingekriegt haben.

Vor allem aber die Videos von ihrem Konzert in Paris, diese Bewegungen, diese alten Augen: War das nicht ein bisschen wie beim Zoobesuch, wenn ein Schild darauf hinweist, dass der Berggorilla, vor dem man gerade steht, der Älteste seiner Art ist? Na eben: Wer da nicht gerührt ist, hat kein Herz.

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