Die CDs der Woche - Popkolumne:Hymnisch oder himmlisch

Lesezeit: 3 min

Die einen hatten massenkompatiblen Pathos drauf, die anderen verwandelten Clubabende in kreative Abbruchparties. Und jetzt - oh weh - können weder Elbow noch Who Made Who auf ihren neuen Alben wirklich überzeugen. Zum Glück gelingt es St. Vincent, ihren Groove mit Herz, Pathos und Empathie zu verbinden. Die Popkolumne.

Von Max Fellmann

Elbow

Es ist ein bisschen schwierig mit diesem Quintett aus Manchester. In England wird die Band gefeiert für ihren Kammermusikpop, für die Peter-Gabriel-Stimme ihres Sängers, für ihre feine Instrumentierung, für ihre behutsame Festlichkeit.

Machen aus Liedern halbe Gottesdienste: Elbow auf "The Take Off And Landing Of Everything". (Foto: (Polydor/Universal))

Dass sie Hymnen gut können, haben die fünf oft bewiesen, ihr Song "On a Day Like This" wird in England gern unter die TV-Zusammenfassungen von Premier-League-Spieltagen und sonstigen Sportgroßereignissen gelegt.

Massenkompatibles Pathos, bei dem sich auch der Lad in der Südkurve nicht genieren muss. Das Problem ist nur, dass Elbow seit dem großen Album "The Seldom Seen Kid", für das sie 2005 den Mercury Prize bekamen, nichts Vergleichbares mehr hingekriegt haben.

Das ändert sich auch mit dem neuen, "The Take Off And Landing Of Everything" (Polydor/Universal), nicht. Das Wichtigste an Elbow, die besondere Stimme von Sänger Guy Garvey, trägt zwar weiterhin jeden Melodiebogen, er kann aus kleinen Liedern halbe Gottesdienste machen.

Grund zum Hallelujah gibt's hier trotzdem nur selten, er bräuchte einfach bessere Songs. Das meiste bleibt im Strophenhaften stecken, mäandert dahin, keine großen Refrains in Sicht. Ab und zu, etwa im Lied "Fly Boy Blue + Lunette", gibt's immerhin eigenwillige Ausflüge ins Theaterfach, mit jaulenden Gitarren, heulenden Bläsern und Zirkusrhythmen, das ist schon nicht verkehrt.

Aber der Aufbruch, der Sprung in die alles mitreißende Welle bleibt aus. Es ist wohl so: Diese Musik eignet sich tatsächlich sehr gut zur Untermalung von Siegerehrungen - aber es schadet andersherum auch nicht, wenn diese Musik durch ein paar heroische Sportszenen unterstützt wird.

Die amerikanische Sängerin Annie Clark nennt sich St. Vincent, hat schon drei Soloalben veröffentlicht, wurde aber einem breiteren Publikum erst bekannt, als der große alte David Byrne 2012 ein ganzes Album im Duett mit ihr aufnahm.

Operettenhafte Melodien, die nach Märchenwald klingen: St. Vincent. (Foto: (Caroline Records/Universal))

Es folgten Auftritte in allen wichtigen US-Talkshows, Grammy-Nominierungen, ausverkaufte Konzerte. Jetzt macht Annie Clark wieder allein weiter, ihr neues Album nennt sie einfach nur "St. Vincent" (Caroline Re-cords/Universal).

Zirpende Elektronik, flapsige Drumcomputer, ab und zu Indie-Gitarren, noch häufiger stotternde Synthis, die die Funktion von Gitarren übernehmen, aufmüpfig rumachteln (ein Trick aus den Achtzigerjahren, als die Gitarre vorübergehend als uncool galt, aber alle merkten, hm, irgendwas, was so ähnlich klingt, brauchen wir trotzdem).

Dazwischen setzt Annie Clark immer wieder ätherische Akkorde und operettenhafte Harmonien, die nach Märchenwald klingen, an die angenehmeren Seiten von Björk erinnern und an die Synthie-Phase von Goldfrapp. Dazu passend inszeniert sie sich mit großer Garderobe und exaltierten Frisuren als Alternativ-Diva.

Clark sagt selbst über dieses Album, es sei "eine Party-Platte, die man auf einer Beerdigung spielen könnte". Das ist natürlich Quatsch. Aber sympathischer Quatsch. In einem Interview schob sie noch diese Erklärung nach: "Ich wollte das Groove-Element, zu dem Leute tanzen können, mit Herz, Pathos und Empathie verbinden." Genau das hat sie gut hingekriegt.

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Bitte, was ist denn jetzt los? Sind die auf einmal alle glücklich verheiratet? Oder ein bisschen zu viel im Grünen spazieren gegangen? Das dänische Trio Who Made Who galt mal als wild, als probier-freudig, als ganz vorn dran.

Was die drei machten, wurde Discopunk genannt: elektronische Musik, die schon klar für die Tanzfläche gedacht ist, aber mit viel Uns-doch-egal-Attitude Altbekanntes dekonstruiert, Versatzstücke schief und aufregend wieder zusammensetzt. Musik, die Clubabende in Abbruchpartys verwandeln konnte.

Vor allem das Album "The Plot", das vor vier Jahren beim Münchner Label Gomma erschien, galt als kleiner Meilenstein.

Und jetzt: oh weh. Das neue Album "Dreams" (Darup Associates) bietet elf Stücke lang, tja, man muss es so sagen, Hängemattenmusik. Familienfreundlicher Gesang, Rhythmen zum Hüftschunkeln, harmloses Synthi-Geplinker für den Sommerurlaub, manchmal gefährlich nahe dran an der Bacardi-Werbung.

In den wenigen etwas besseren Momenten ist man schon dankbar, wenn es kurz nach den Pet Shop Boys klingt. Ansonsten: in 47 Minuten und 42 Sekunden gibt es nicht einen Moment, der einen irgendwie aufschrecken lassen würde. Dabei waren sie so vielversprechend. Ein Jammer.

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© SZ vom 05.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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