Die CDs der Woche - Popkolumne:Computer-Crash im Kopf

Tyler the Creator performs on a stage set giant bed at the Coachella Valley Music and Arts Festival in Indio

Seine neue Platte "Cherry Bomb" bleibt demselben Nihilismus verpflichtet, den man an dem 24-jährigen Tyler, The Creator schon immer schätzte.

(Foto: Reuters)

Der Rapper Tyler, The Creator serviert einen wunderbar unprätentiösen, bonbon-bunten Schnellschuss. Und die Villagers retten mit Schuld und Sühne einsame Seelen aus ihren Wohnzimmern.

Von Annett Scheffel

Das Schöne - oder sagen wir das Beruhigende - an der Popmusik ist, dass sich zwischen all dem Suchen und Ringen um den Klang der Zukunft die besten Alben zuweilen aus den einfachsten Versuchsanordnungen ergeben.

Aus der Konstellation ein Mann, ein Klavier etwa. Obwohl alles so klar sein müsste, steht man vor Benjamin Clementine, der die vergangenen Jahre als Straßenmusiker in Paris verbrachte, zunächst aber trotzdem wie vor einer dunkel glänzenden Sphinx. Man schaut und sieht diesen dürren, Zweimetermann aus London mit wilder Turmfrisur und seltsam schroff geschwungenen Gesichtskonturen und dann lauscht man seinem Debüt "At Least For Now" (Caroline) und hört Lieder, die so kantig sind wie sein Gesicht.

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(Foto: Behind Records)

Melancholie von französischem Chanson und britischem Grime

Ungestüme und theatralische Klavierballaden ("Cornerstone" heißt die beste), ein eigentümliches Gemisch aus Chanson, Soul, Jazz und Operngesang. Das Eröffnungsstück "Winston Churchill's Boy" beginnt mit einem umgedeuteten Zitat des Premierministers: "Never in the field of human affection / Had so much been given for so few attention."

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Und man weiß sofort: Hier geht es um diese ganz tiefe, schmerzlich-schöne Einsamkeit, die in der Popmusik nur alle paar Jahre einmal durchscheint, die an Nina Simone denken lässt, an Anthony Hegarthy oder Rufus Wainwright. Wer bis jetzt nicht wusste, wie gut die Melancholie von französischem Chanson und britischem Grime zusammenpassen, der möge dieses Album hören.

Tyler in seiner großangelegten Respektlosigkeit

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(Foto: Sony)

Ein großer Geschichtenerzähler, wenn auch einer von ganz anderem Schlag ist auch der Rapper Tyler, The Creator. Ohne viel Aufhebens erschien nun sein erst in der vergangenen Woche angekündigtes, viertes Album "Cherry Bomb" (Odd Future) als ein wunderbar unprätentiöser, bonbon-bunter Schnellschuss, der einem in Computergeschwindigkeit denkenden, neurotischen Crash-Kid wie diesem 24-Jährigen Kalifornier gut zu Gesicht steht.

Was davon zu halten ist, fragt man sich natürlich kurz nachdem mit Drakes "If You're Reading This It's Too Late" und Kendrick Lamars "To Pimp A Butterfly" gerade zwei große, richtungsweisende Hip-Hop-Platten erschienen sind.

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Abhandlung über Liebe, Schmerz und Schuld im Wohnzimmer

Wenn Drake meisterlich in seiner Introspektive war, und Lamar in seinem gesellschaftlichen Rundumschlag, dann ist es Tyler in seiner großangelegten Respektlosigkeit: Auch wenn klanglich alles noch ein wenig ausgefeilter ist als auf dem Vorgänger "Wolf" - noch dunstiger, sogar jazziger - bleibt die Platte demselben Nihilismus verpflichtet, den man an dem Odd-Future-Mastermind schon immer schätzte - oder zumindest verstört und fasziniert zugleich betrachtete: Alles ist egal, alles schon auf irgendwelchen Tumblr-Blogs, also ist alles möglich.

Entsprechend verschwenderisch wirft Tyler auch hier wieder mit Ideen und Beleidigungen um sich, gibt sich zärtlichem Ambient hin ("Find Your Wings"), höllengleichem EDM-Gitarren-Soundgewirr ("Cherry Bomb") und zusammen mit Kanye West und Lil Wanye schönstem Größenwahn ("Smuckers").

Ein Trennungsalbum, so zärtlich und schlicht wie eine einsame Seele

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(Foto: Domino)

Das komplette Gegenstück zu Tyler, The Creator ist in vielerlei Hinsicht das neue Album der Villagers. Für "Darling Arithmetic" (Domino) ist aus der irischen Band das Ein-Mann-Projekt geworden, das es vielleicht schon immer war: Sänger und Songwriter Conor O'Brien hat die neun Stücke dieser Akustik-Abhandlung über Liebe, Schmerz und Schuld allein in seinem Wohnzimmer aufgenommen.

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Kurzum: ein Trennungsalbum, so zärtlich und schlicht wie eine einsame Seele. Im Vergleich zu den ersten zwei Alben "Becoming A Jackal" und "Awayland" mit ihrer überschwänglichen Mischung aus Folk, Elektro und Orchestralem, kann man den neuen, sparsamen Sound aus Gitarren, Klavier und gepinseltem Schlagzeug langweilig finden. Im Grunde sind diese Songs, besonders "Everything I Am Is Yours" und "Hot Scary Summer", gerade in ihrer Einfachheit, in ihrer schwebenden Melodik, aber vor allem einfach schön.

Und dann war da auch noch das Coachella-Festival, dieser Tage der Mittelpunkt der Pop-Hipness. Berichten könnte an viel vom ersten Festivalwochenende, dass Madonna den verblüfften Rapper Drake auf der Bühne abknutschte etwa.

Es passierte schnell und dann war es vorbei

Am besten traf den Ton dann aber ausgerechnet Steely-Dan-Sänger und Softrock-Veteran Donald Fagen, der über seinen Aufritt für den amerikanischen Rolling Stone in sein Festival-Tagebuch schrieb: "Es passierte schnell und dann war es vorbei. Als wir im Dunklen davonfuhren, erinnerte mich das erleuchtete, carnevalbunte Festivalgelände an diese berühmte Szene aus "Apocalypse Now", in der Lance während der Schlacht an der Do-Long-Brücke Acid schluckt. Als er gefragt wird, wer das Kommando hat und antwortet ,Nicht du?'"

Fortlaufende Popkolumne der SZ. Wenn Sie diese Songs nicht hören können, melden Sie sich bitte bei Spotify an. Auf der rechten Seite finden Sie mit der Maus den (sehr kleinen) Scrollbalken. Wenn Sie nach unten scrollen, finden Sie die Alben, die in den vergangenen Wochen in der Popkolumne besprochen wurden und gleichzeitig bei Spotify enthalten sind.

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