Die CDs der Woche - Popkolumne:Federleicht schwebender Elektro-Pop

Lesezeit: 3 min

Das Album "Love Letters" der britischen Band Metronomy (Foto: Because Music)

Metronomy schrauben ihr Niveau von unfassbar toll auf toll herunter, Chris Imler arbeitet an einem 100-Jahres-Plan und Lady Gaga lässt sich an einen Grillspieß gefesselt auf die Bühne tragen. Die Popkolumne - zum Lesen und Hören.

Von Jens-Christian Rabe

Metronomy

Das Album, das man in dieser Woche gehört haben sollte, kommt eindeutig von der britischen Band Metronomy. Mit ihrem letzten Studio-Album "The English Riviera" gelang ihr ja das vollendete Popmusik-Album des Jahres 2011. So federleicht schwebte dieser Elektro-Pop, und so viele wirklich große Songs waren darauf: "The Look", "She Wants", "The Bay". Noch heute ist die Platte fast unwirklich schön. Ein neues Album wäre noch gar nicht nötig gewesen, aber jetzt ist es doch da: "Love Letters" (Because Music). Und? Ist es sogar besser als "The English Riviera"? Hm. Das kann man so leider nicht sagen. Obwohl eigentlich immer noch fast alles stimmt, Sound, Sorgfalt, Stimmung. Vor allem die Stimmung.

Man sitzt auch dieses Mal wieder in einem italienischen Kleinwagen, düst an einem heißen Spätsommertag durch die kargen Berge Sardiniens Richtung Küste - und spürt dieses seltsame Gefühl zwischen Glück und Melancholie, das einen in Momenten umfängt, die so perfekt sind, dass man schon in der Sekunde, in der sie sich ereignen, um sie trauert. Weil man sofort an ihre Vergänglichkeit denken muss. Das schaffen so leichterhand - wenn überhaupt - eigentlich nur noch Phoenix und Vampire Weekend. Man höre nur die Single "I'm Aquarius".

Und dann dieser Poolplatscher in "The Most Immaculate Haircut". Spätestens da kann man nicht mehr bedauern, dass neben den makellosen Haarschnitten dieses Mal die wirklich vollendeten Songs fehlen. Das, was zu hören ist, ist doch sehr zauberhaft. Man kann einer Band ja nicht ernsthaft vorwerfen, nach einem unfassbar tollen nur noch ein tolles Album vorgelegt zu haben.

Wenn Sie diese Songs nicht hören können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Wer sich schon mal gefragt haben sollte, warum im Radio nicht nur immer dieselben Songs laufen, sondern auch noch immer weniger davon - dem bestätigte eine Studie genau das: Zahlen von Mediabase und dem Wall Street Journal zufolge wurden im letzten Jahr die beliebtesten fünf Songs im US-Radio drei Millionen Mal gespielt. 2003 liefen sie nur zwei Millionen Mal. Der Grund: Mit bekannten Songs gewinnt man mehr Hörer, was höhere Quoten und mehr Werbeeinnahmen bedeutet. Der meistgespielte Song 2013 war übrigens Robin Thickes "Blurred Lines". Das immerhin ist keine ganz schlechte Nachricht.

Noch besser wäre es natürlich, wenn auch mal ein Song des deutschen Avantgarde-Pop-Künstlers Chris Imler, dessen Album "Nervös" (Staatsakt) jetzt erscheint, so oft im Top-40-Radio gespielt werden würde. Zum Beispiel "Arbeiterjunge", das hiermit den Preis für den Poptext der Woche verliehen bekommt: "Ich bin nur ein einfacher Arbeiterjunge, komm schon, pfeif mir hinterher / Ich bau die Städte und die Betten - und den fließenden Verkehr / Ich bin nur ein einfacher Arbeiterjunge, fass mich an und fass mit an / Wir erfüllen die Prophezeiung - und den 100-Jahres-Plan."

Fürs Protokoll: Bei ihrem Auftritt Ende der vergangenen Woche bei SXSW in Austin Texas, dem größten Musikfestival der Welt, wurde Lady Gaga an einen Grillspieß gefesselt auf die Bühne getragen und von der Performance-Künstlerin Millie Brown mit leuchtend grünem Schleim angekotzt. Dazu schrie sie: "Ich werde niemals nach euren Scheiß-Regeln spielen!" Am Morgen danach sagte sie bei ihrer SXSW-Keynote-Rede: "Jeder Mensch hat ein Talent, an das er glauben sollte. Wie verrückt es auch sein mag. Man weiß ja nie, wohin einen eine verrückte Sache führt. (. . .) Manchmal sind Dinge sehr, sehr seltsam, fühlen sich sehr falsch an, und können doch die Welt verändern. (. . .) Womit ich nicht sagen will, dass Kotzen die Welt verändert."

Und weil gerade die Rede davon war, was gespielt werden soll, sei noch der sehr wunderbare Elektro-Pop-Song "Play It Right" von Sylvan Esso erwähnt, der schon eine Weile in der Welt ist, aber hier gerade in Endlosschleife läuft, bis im Mai dann das nicht weniger wunderbare Debütalbum "S.E." erscheint. Wer nicht warten möchte, kann versuchen eine Karte für den Auftritt des Duos nächste Woche in Berlin zu bekommen. Wenn die mal nicht bald bisschen durch die Decke gehen!

Bliebe noch die Lage in den Charts. Einen Moment lang sollte hier glücklich vermeldet werden, dass sich Pharrell Williams (der übrigens "Blurred Lines" produziert hat) nicht nur mit "Happy" auf dem ersten Platz der deutschen Single-Charts hält, sondern auch mit seinem Album "G I R L" die Spitze anpeilt. Die eben eingetroffene Vorschau auf die Charts am kommenden Freitag erzählt leider eine andere Geschichte. Pharrell verliert den ersten Platz in den Single-Charts und die glasierte Schlagerpopkönigin Helene Fischer bleibt mit ihrem Album "Farbenspiel" eine weitere Woche vorn. Der Pop ist ein Monster, das sich auch von den Besten immer nur eine kleine Weile hübsch frisieren lässt.

Fortlaufende Popkolumne der SZ. Auf der rechten Seite finden Sie mit der Maus den (sehr kleinen) Scrollbalken. Wenn Sie nach unten scrollen, finden Sie die Alben, die in den vergangenen Wochen in der Popkolumne besprochen wurden und gleichzeitig bei Spotify enthalten sind.

© SZ vom 19.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: