Die CDs der Woche - Popkolumne:Fachgebiet Wehmut

Auf dem Soundtrack zu Zach Braffs Film "Wish I Was Here" gibt sich Bon Iver gewohnt melancholisch. Als Produzent hingegen kann er auch gute Laune. Die Popkolumne - zum Lesen und Hören.

Von Max Fellmann

In der Haut von Joe Newman möchte man eher nicht stecken. Der Sänger der gefeierten Indie-Band Alt-J hatte die Idee für das Video zur neuen Single "Hunger Of The Pine". Zu wünschen ist ihm allerdings, dass es in seinem Kopf nicht ganz so wüst zugeht wie im Video: Knapp vier Minuten lang rennt da ein junger Mann bei Sonnenschein durch malerische Wälder, in Zeitlupe - auf der Flucht vor unzähligen Pfeilen.

Wer sie abschießt, wird nie gezeigt, der Mann rennt und rennt, alle paar Sekunden wird er von einem Pfeil getroffen, in den Rücken, in die Lunge, in den Hals, Blut spritzt, ein grauenhaftes Spektakel. Bis er schließlich, von Pfeilen durchbohrt, auf freiem Feld stehen bleibt: Er übergießt sich mit Benzin - und sieht mit irrem Blick brennende Pfeile heranfliegen. Newman erklärt dazu, Song und Video sollten zum Ausdruck bringen, wie schmerzhaft es ist, einen Menschen zu vermissen.

Das Lied selbst klingt dabei aber, in merkwürdigem Kontrast zum Video, gar nicht nach Verfolgung, sondern nach Introspektion: zart pluckernde Synthie-Töne, ein paar wehmütige Akkorde, die nur ab und zu aufwallen, darüber Newmans dünne, sentimentale Stimme. So viel Irrsinn, so viel Widerspruch - in so wenigen Minuten: Wenn das ein Ausblick auf das im September erscheinende neue Album von Alt-J ist, dann darf man sich jetzt schon auf eine grandiose Mischung aus Begeisterung und Kopfweh einstellen.

Vor einem Jahr, am 26. Juli 2013, starb J.J. Cale, der große sympathische Eigenbrötler, dessen Songs andere zu Welthits machten. Eric Clapton verdankt ihm etwa "Cocaine". Zum Todestag veröffentlicht er jetzt zusammen mit anderen Stars das Album "The Breeze - An Appreciation Of J.J. Cale". Mark Knopfler macht auch mit, verwandelt aber leider die Cale-Originale in - tja, typisches Rumgeknöpfle. Willie Nelsons sonoren Country-Stimme sticht auch etwas arg hervor.

J.J. Cale, 1994

Zu Ehren von J.J. Cale, der vor einem Jahr verstarb, erscheint nun ein Album mit Cover-Versionen.

(Foto: DPA)

Für Überraschungen sorgen aber Tom Petty ("The Old Man And Me") und John Mayer ("Magnolia"), die beide Cale so exakt imitieren können, dass man kurz meint, man höre eine alte Cale-Aufnahme. Ein schönes, rundes Album also, das Problem ist nur: Wenn man diese Versionen hört, die den Originalen vor lauter Respekt nichts hinzufügen, dann will man noch viel lieber: die Originale hören. Und auch wenn sich hier alle so demonstrativ zurücklehnen, wie es ihr Arbeitsethos gerade noch zulässt - die Lässigkeit von J.J. Cale bekommen sie nicht hin. Andererseits: Was gibt es Schöneres als eine Feier, bei der niemand den Gefeierten übertrumpft?

Bon Iver

US folk guitarist Bon Iver

Klingt fast immer elegisch: Bon Iver bei einem Auftritt im polnischen Gdynia.

(Foto: Adam Warzawa/DPA)

Justin Vernon hat nach drei Jahren Pause und einigen Nebenprojekten endlich wieder etwas als Bon Iver veröffentlicht. Ein einziges Lied zwar nur, aber immerhin. Es heißt "Heavenly Father" und ist Teil des Soundtracks zu Zach Braffs Film "Wish I Was Here". Das Fachgebiet Wehmut beherrscht Vernon nach wie vor wie kaum jemand sonst. Schade nur, dass die Begleitung dieses Mal im Wesentlichen aus schleifenden Rückwärts-Sounds besteht, die einem mit der Zeit etwas auf die Nerven gehen.

Trotzdem - Stimmung und Melodien sind großartig. Und vielleicht macht er sich ja jetzt endlich auch ans nächstes Bon-Iver-Album. Dass Vernon übrigens auch gute Laune kann, zeigt das Album "Sand + Silence" der amerikanischen Band The Rosebuds, das Ende des Monats erscheint: Vernon hat es produziert und auch bei vielen Songs mitgespielt - sonniger Pop mit fast Tom-Petty-haften Gitarren und großen Refrains, die nicht nach offenen Wunden klingen, sondern nach offenem Cabrio-Verdeck.

Von der Vergangenheit in die Zukunft: Mal sehen, ob das Konzept, neue Alben parallel auch als Apps zu veröffentlichen, sich so durchsetzt, wie es amerikanische Medien gern prophezeien. Björk probierte es vor drei Jahren bei ihrem Album "Biophilia" noch mit überzogenem Kunstanspruch, im vergangenen Jahr haben sich Lady Gaga ("Artpop") und Jay Z ("Magna Carta Holy Grail") an der Zweigleisigkeit versucht, in den Apps gab es nicht nur die Musik, sondern auch Videos, Interview-Ausschnitte, Fotos und Kleinkram.

Die CDs der Woche - Popkolumne: Will Paul McCartney mit alten Alben frisches Geld verdienen?

Will Paul McCartney mit alten Alben frisches Geld verdienen?

(Foto: AP)

Jetzt zieht Paul McCartney nach - ausgerechnet jedoch mit fünf alten Alben, darunter "RAM" (von 1971) und "Band On The Run" (1973). Tja. Schon ganz nett. Aber auch enttäuschend. Wenn es bei der neuen Entwicklung dann doch wieder nur darum geht, mit alter Ware frisches Geld zu verdienen, dann könnte die Idee ziemlich schnell verpuffen.

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Und zuletzt eine Nachricht, die klingt, als habe jemand Namen auf ein Glücksrad geschrieben, um auf eine möglichst absurde Kombination zu kommen: Scott Walker und Sunn O))) haben ein gemeinsames Album angekündigt! Also Scott Walker: amerikanischer Chansonnier mit brennender Künstlerseele. Und Sunn O))): amerikanische Drone-Metal-Mönche, die brutalverzerrte Akkordschichten auftürmen, ohne Rhythmus, ohne Gesang. Oha!

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