Die CDs der Woche - Popkolumne:Es lebe die Retromania

Neu ist nicht immer besser. Manchmal ist es schön, in der musikalischen Vergangenheit zu schwelgen und Künstlern bei der Wiederauferstehung zuzuschauen. Im Jahr 2012 gelang dem alten Meister Dr. John eine solche, doch es gab auch ganz wunderbare Debüts.

Zum Lesen und Hören in unserer Popkolumne. Von Jens-Christian Rabe

Die CDs der Woche - Popkolumne: Frank Ocean ist ein Genie der schwarzen Musik.

Frank Ocean ist ein Genie der schwarzen Musik.

Um die Jahreswende erscheinen selten wichtige Alben. Ein guter Zeitpunkt also, um das Pop-Jahr 2012 zu resümieren. In den vergangenen Wochen bekannten sich schon Karl Bruckmaier, Max Fellmann, Max Scharnigg, Joachim Hentschel und Jan Kedves zu ihren Platten und Pop-Momenten des vergangenen Jahres. Heute ist zum Abschluss Jens-Christian Rabe am Zug.

Frank Ocean

Nachdem 2011 sein Mix-Tape "nostalgia ULTRA" schon für Aufsehen gesorgt hatte, galt der Sänger und Auftrags-Songwriter Frank Ocean, den es nach dem Hurrikan Katrina von New Orleans nach Los Angeles verschlagen hatte, als die große Hoffnung des R'n'B. Als dann im Juli das Debüt "channel ORANGE" (Def Jam/Universal) erschien, hatte er - was ja manchmal schon unerreichbar genug ist - nicht nur alle Erwartungen erfüllt, es herrschte vielmehr sofort seltene Einigkeit darüber, dass ein neues Genie der schwarzen Musik, vielleicht sogar der gesamten zeitgenössischen Popmusik in der Welt war. Am Jahresende konnten sich dann die wichtigen Musikzeitschriften und Pop-Blogs mal wieder nicht auf viele gemeinsame Favoriten einigen - aber Frank Ocean war fast überall ganz vorn. Zu Recht.

Die Ernsthaftigkeit und Klugheit, mit der er versucht, die Möglichkeiten des von Sound- und Rollen-Klischees so geschundenen R'n'B zu erweitern, ist derzeit ohne Vergleich. Man höre nur die ersten Takte und Zeilen der Pop-Elegie des Jahres "Bad Religion", unter denen nur eine leicht angezerrte Orgelmelodie in Zeitlupe herumwackelt: "Taxi driver / Be my shrink for the hour / Leave the meter running / It's rush hour / So take the streets if you wanna / Just outrun the demons, could you" - Taxifahrer, sei doch bitte eine Stunde mein Seelenklempner . . . Und dass es in dem Song auch noch um die Liebe eines Mannes zu einem Mann geht, in diesem immer wieder so offen homophoben Genre - das macht die Sache fast perfekter als perfekt.

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Father John Misty

Der andere große Rollenspieler des Pop hieß 2012 Father John Misty und kam aus der ganz anderen Ecke, dem alternativen Country-Pop. Aber anders als die meisten Kollegen sang der ehemalige Drummer der Fleet Foxes, der eigentlich Joshua Tillman heißt, seine Songs nicht still leidend zu sparsamer Gitarrenbegleitung, sondern gab den Americana-Hohepriester als exaltiert-stilbewussten, aber etwas abgewrackten, divenhaft schlecht gelaunten Late-Night-Crooner.

Popkolumne, die CDs der Woche, Father John Misty

Father John Misty gehört dem alternativen Country-Pop an.

"Fear Fun" (Cooperative/Universal) hieß die Album und war voller großer todernster ironischer Hymnen an die Renitenz und das stolze Scheitern: "Yeah, you can do it / But you can do it without me."

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Alt J

Was für ein glücklicher Moment das war, als Anfang November der diesjährige Mercury-Preis für das beste britische Pop-Album des Jahres an Alt-J und ihr Debütalbum "An Awesome Wave" ging! Die wunderbare Platte wäre nämlich fast untergegangen, als sie im Mai erschien, war die Resonanz gering. Viel zu gering.

Alt J

Alt J gewannen im November 2012 den Mercury-Preis.

Es gab in diesem Jahr mit den neuen Werken von Bands wie Electric Guest oder Django Django zwar einige Konkurrenz um das beste Indie-Pop-Album - aber so grandios verschleppte und auch noch formvollendet genölte Songs wie "Tessellate", "Breezeblocks", "Dissolve Me" oder "Matilda" hatten sie alle nicht.

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Dr. John

Und zum Schluss noch die unwahrscheinlichste, glorreichste und viel zu wenig beachtete Wiederauferstehung des Jahres: Malcolm John "Mac" Rebennack, Jr. alias Dr. John! Richtig verschwunden war der Blues-Sänger, Voodoo-Priester und beste Rumpelklimper-Pianist des Pop natürlich nie. Aber auch er schien längst viel mehr seine eigene Legende zu verwalten, als noch den Ehrgeiz zu haben, Songs zu schreiben, die es mit den alten Hits aufnehmen können.

Dr. John

Der Blues-Sänger Dr. John ist wieder da.

Aber dann kam als Produzent des neuen, dreißigsten Albums "Locked Down" (Nonesuch/Warner) Dan Auerbach von den Black Keys. Und gemeinsam mit dem Münchner Funk- und Afrobeat-Drummer Max Weissenfeldt rang er dem alten Meister so unfassbare Stolperblues-Songs wie "Kingdom Of Izzness" ab. Es lebe die Retromania! Ausnahmsweise.

Fortlaufende Popkolumne der SZ:

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