Süddeutsche Zeitung

Die CDs der Woche - Popkolumne:Drogen? Nicht am Arbeitsplatz!

John Lydon - alias Johnny Rotten von den Sex Pistols - erklärt, wie er sich mit all dem Speed, Heroin und Kokain nicht ruiniert hat. Und Rapper Young Thug hängt im Stimmbruch fest. Wunderbarerweise.

Von Jens-Christian Rabe

Das Debüt eines britischen Pop-Duos namens Moloko ist jetzt tatsächlich auch schon 20 Jahre her. 1995 erschien "Do You Like My Tight Sweater?" und mit ihm Indie-Dance-Zaubereien wie "Fun For Me" oder "Dominoid", die immer noch kein bisschen veraltet klingen. Ganz zu schweigen von späteren Moloko-Hits wie "Sing It Back" oder "Time Is Now". Die Stimme Molokos gehörte Roisin Murphy, die schon damals, mit Anfang 20, wie die weiseste Popsängerin klang, die man sich vorstellen kann. Wie Madonna, wenn sie singen könnte, je erwachsen geworden wäre und einen wirklich guten Musikgeschmack gehabt hätte.

Jetzt erscheint mit "Hairless Toys" (Play It Again Sam!) ihr drittes Soloalbum, und man ist von der so klugen wie milden Exzentrik, mit der sie einem ihre Zeilen so wunderbar angekratzt herüberhaucht, sofort wieder ganz bezaubert, auch wenn ein wirklich großer Song wie etwa "Let Me Know" (vom 2007 veröffentlichten letzten Soloalbum "Overpowered") diesmal womöglich fehlt. "Gone Fishing", "Exploitation" oder "Unputdwnable" sind trotz allem hinreißende Tonspuren für diese wirklich unvergleichliche Popstimme.

In den Mainstream geschlichen

Und weil gerade von außergewöhnlichen Popstimmen die Rede ist, muss auch ein Wort verloren werden zum neuen, schwer gefeierten Album des amerikanischen Rappers Young Thug: "Barter 6" (300 Entertainment/Atlantic). Young Thug, der mit bürgerlichem Namen Jeffrey Williams heißt, hat ungefähr das Gegenteil einer Ehrfurcht gebietenden Stimme, wie man sie einem wünscht, der es sich zum Beruf gemacht hat, auf Southern-Rap-Alben einen abgezockten Drogendealer zu spielen. Wer Young Thug hört, hört also eher eine etwas zu hohe und etwas zu kratzige junge Männerstimme, die nie so recht über den Schock des Stimmbruchs hinweggekommen zu sein scheint. Und dann lässt der 24-jährige sie mittels des Tonhöhenkorrekturprogramms Autotune auch noch reichlich humanoid herumflattern in den Songs. Zusammen mit den oft seltsam wackelnden und heftig verschleppten Stop-and-Go-Beats entsteht allerdings einmal mehr der grandiose Effekt, dass sich avantgardistisch-abstrakte Musik mal wieder als Rap getarnt und in den Mainstream geschlichen hat.

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Für die dritte und letzte Platten-Empfehlung dieser Popkolumne, das fünfte Album "Alone" der Tuareg-Rock-Band Terakaft (Outhere Records), dürfte es bis in ebendiesen Mainstream noch ein weiter Weg sein. Aber wer weiß, vielleicht wird eines Tages auch das noch passieren. Afrobeat und afrikanische Pop-Drones, also eher monotone, aber hypnotisch rollende Soundflächen, sind ja schon seit einer Weile sehr einflussreiche Klangideen im westlichen Indie-Pop. Insbesondere auf "Anabayou/Awkward", dem ersten Track auf "Alone", landet man allerdings auch noch direkt im Blues - und damit in einer interessanten Einflussschleife. Der Blues ist ja eine Erfindung der aus Afrika stammenden amerikanischen Sklaven, den hier also eine Tuareg-Band hypnotisiert und so reafrikanisiert. Es lebe der postmoderne Pop!

"Ich nehme Drogen nur zur Erholung"

Rockgott-Weisheiten, Folge 978: John Lydon alias Johnny Rotten hat seine zweiten, mehr als 500 Seiten umfassenden Memoiren veröffentlicht: "Anger Is An Energy: My Life Uncensored". Dem amerikanischen Rolling Stone gab der ehemalige Sänger der Sex Pistols aus dem Anlass ein amüsantes großes Interview, in dem sich der Satz der Woche findet. Auf die Frage, wie er es geschafft habe, sich mit all dem Speed, Heroin und Kokain, von dessen Konsum er im Buch erzählt, nicht zu ruinieren, antwortet er: "I view drugs as recreational, and I don't like them in the workplace." - "Ich nehme Drogen nur zur Erholung und schätze sie am Arbeitsplatz nicht."

Eine ganz besondere Galerie des Grauens sind derzeit mal wieder die Top-Ten der Album-Charts. Von finnischem Symphonic-Metal (Nightwish) über heiseren deutschen Neo-Schlager (Joris) bis zu Südtiroler Pegida-Punkrock für die, die sich fremd im eigenen Land fühlen wollen (Freiwild), ist alles dabei. Einziger Lichtblick sind weiterhin allein Deichkind mit dem Album, dessen Namen der ewige Untertitel der deutschen Charts ist: "Niveau Weshalb Warum". Und sehr lustig ist es, die Deichkind-Single "Like mich am Arsch" abwechselnd mit dem internetkritischen Song "Der gläserne Mensch" von Udo Jürgens zu hören, der sich auf dessen posthum veröffentlichtem Album "Das letzte Konzert" findet, das einen Platz vor Deichkind steht.

Zweimal Mainstream-Pop als zeitgenössische Ideologiekritik. Einmal richtig gut und einmal gut gemeint. Trotzdem ist es verblüffend, woran sich der Mann am Klavier noch im hohen Alter herangewagt hat.

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Quelle:
SZ vom 06.05.2015/jobr
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