Süddeutsche Zeitung

Die CDs der Woche - Popkolumne:Böse Retromania

Wenn das Ende der Popmusik so klingt, wollen wir mehr davon: neue Tracks von Nicolas Jaar und Jamie XX. DJ Harvey erkundet den Psychedelic-Rock der späten Sechziger - ein Hardcore-Retro-Projekt zum Niederknien. Die Popkolumne - zum Lesen und Hören.

Von Jens-Christian Rabe

Etwas zu viel teleologisches Geschichtsbewusstsein geistert im Popdiskurs der Gegenwart herum. Ein bisschen zu oft geht's um die Frage, warum der Popmusik nicht nur ihre revolutionäre Kraft verloren gegangen sei, sondern auch jede Kraft zur eigenen ästhetischen Erneuerung. Und verdächtig einig sind sich die Diskutanten meist.

Zuletzt durfte der britische Popkritiker Mark Fisher in der Online-Ausgabe der Zeit über die böse Retromania klagen: "Es gibt viele Anzeichen dafür, dass Popmusik ihre zentrale kulturelle Rolle verloren hat. Dass sie nicht mehr so wichtig ist und nie mehr so wichtig werden wird, wie sie war." Schuld ist natürlich der allgegenwärtige ökonomische Druck und die Aufmerksamkeitsspannen im Internet.

Aber wie die meiste Kulturkritik neigt auch die Popkritik dazu, Gegenwart und Zukunft an einer schamlos idealisierten Vergangenheit zu messen. Und Dinge dürfen einfach nicht zu Ende sein oder wenigstens mal eine Pause machen. Was dabei gerne verloren geht, ist der genaue Blick auf den Moment - also zum Beispiel die unglaubliche Menge großartiger Alben und Songs allein in den vergangenen Tagen und der laufenden Woche.

Glasig-federndes Sounddesign

Eben erschienen ist etwa das Debütalbum der Berliner Elektro-Pop-Band The/Das "Freezer" (Sinnbus). Schon bei ihrem Vorgängerprojekt Bodi Bill gelang Fabian Fenk und Anton Feist ein ganz wunderbar glasig-federndes Sounddesign. Es fehlten nur ein paar wirklich gute Songs. Mit "My Made Up Spook" oder "(Under) Miami Waters" gibt es die jetzt auf "Freezer". Wirklich neu ist daran natürlich nichts, - es ist einfach nur sehr, sehr gute Popmusik.

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Auch nicht im strengen Sinne bahnbrechend ist das neue Akustik-Album "Tied To A Star" (Sub Pop) des alten Indie-Noise-Helden J Mascis. Aber niemand schrammelt einen so schön in Tagträume hinein wie dieser Mann, der die Kunst beherrscht, immer dasselbe zu tun, ohne sich dabei allzu deutlich zu wiederholen. Man höre nur das herzerreißende "Better Plane".

Und dann wäre da noch das neue Hardcore-Retro-Projekt eines 51-jährigen Briten namens Harvey Bassett. Als DJ Harvey wird er von allen Pop- und Techno- sowie House- und Disco-Nerds dieser Welt verehrt. Man hat schon die abgebrühtesten Kollegen neben seinem Pult stehen und weinen sehen - vor Glück wie Neid. Mit der Band Wildest Dreams erkundet er nun als Sänger, Gitarrist und Drummer den Psychedelic-Rock der späten Sechziger und frühen Siebziger. Doch, doch. Und nicht nur der "Last Ride" ist zum Niederknien.

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Außerdem gab es von Nicolas Jaars Darkside-Projekt zwei letzte Tracks und "Gone Too Soon" wenigstens sollte auf keiner aktuellen Playlist fehlen. Ebenso wenig wie der neue Jamie XX-Track "All Under One Roof Raving". Wenn das Ende der Popmusik so klingt, wollen wir bitte immer mehr davon!

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Angus & Julia Stone auf Platz acht der Longplay-Charts

Metronomy, der nach Alt-J derzeit besten sagenhaften britischen Indie-Band, gelang mit ihrem im März erschienenen Album "Love Letters" leider nur ein gute Platte. Also keine so atemraubend grandiose wie vor drei Jahren der Vorgänger "The English Riviera".

Von Sänger und Metronomy-Chef Joe Mount ist trotzdem das Zitat der Woche. In der aktuellen Ausgabe des Musikexpress spricht er darüber, dass Paul McCartney seiner Ansicht nach nicht mehr genug Menschen um sich herum habe, die sich trauten, nein zu ihm zu sagen, weshalb er nur noch belanglose Musik produziere - und antwortet dann auf die Frage, ob er sich trauen würde, nein zu Sir Paul zu sagen:

"Ja! Die Beatles sind der Grund, warum ich angefangen habe, Musik zu machen. Und jetzt lässt er mich im Stich. Jemand müsste ihn stoppen. Als wir bei den NME-Awards gespielt haben, habe ich die ganze Zeit nach ihm Ausschau gehalten. Dann sah ich, wie er mit unserem Song mitging, und ich dachte: ,Jetzt könnte ich glücklich sterben.' Aber dann dachte ich: "Nein, ich kann nicht sterben, bevor wir Paul gerettet haben." Das wäre doch mal ein Projekt!

Und weil diese Woche so voller guter Nachrichten aus dem Pop ist zum Schluss auch noch eine aus den Longplay-Charts: Auf dem achten Platz steht dort das neue, unbetitelte Album des australischen Geschwister-Duos Angus & Julia Stone. So weit nach oben verirrt sich so dezent-verträumt dahingepatschter Indie-Folkpop eigentlich nicht.

Mit den neuen Charts am kommenden Freitag dürfte das aber auch wieder vorbei sein. Und dann wird übrigens auch das jüngste Opus Magnum "Farbenspiel" des deutschen Schlager-Superstars Helene Fischer wieder vom zweiten auf den ersten Platz rücken. Informierte Kreise gehen inzwischen davon aus, dass das Album bis zum jüngsten Tag in der deutschen Top-Ten stehen wird.

Fortlaufende Popkolumne der SZ. Wenn Sie diese Songs nicht hören können, melden Sie sich bitte bei Spotify an. Auf der rechten Seite finden Sie mit der Maus den (sehr kleinen) Scrollbalken. Wenn Sie nach unten scrollen, finden Sie die Alben, die in den vergangenen Wochen in der Popkolumne besprochen wurden und gleichzeitig bei Spotify enthalten sind.

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