Die CDs der Woche - Popkolumne:Beinahe wie die Blues Brothers

Die CDs der Woche - Popkolumne: Nuschelt und brummt entspannt seinen Neo-Blues daher: Seasick Steve.

Nuschelt und brummt entspannt seinen Neo-Blues daher: Seasick Steve.

Zwei Vertreter desselben Musikstils auf einen Schlag kommen gleichzeitig mit ihren neuen Alben heraus. Seasick Steve klingt zwar viel entspannter als die Jon Spencer Blues Explosion. Doch beide Formationen sind ein Gewinn.

Von Max Fellmann

Ein kalter Abend vor ein, zwei Wochen, man stolpert eher zufällig in ein Konzert, ohne große Erwartungen - und es erweist sich als der blanke Wahnsinn. In jeder Hinsicht. Auf der Bühne: The Midnight Ghost Train. Ein Trio aus Kansas, das sich gerade auf Ochsentour durch Europa befindet, winzige Clubs, kaum Zuschauer - aber jeder Ton ein Fausthieb. Drei Männer, die aussehen wie Schrottplatzfachkräfte, spielen eine brachiale Mischung aus Stoner-Rock und Blues mit gelegentlichen Gospel-Anklängen (ja, Gospel).

Den Irrsinn in den Augen der Musiker flackern sehen

Der Sänger, ein entrückter Hippie mit Schmerbauch, röhrt wie Tom Waits und gestikuliert wie ein Druidenpriester, der Bassist trägt einen Hinterwäldler-Bart, gegen den ZZ Top glattrasiert wirken, und alle zusammen machen den Eindruck, als würden sie nach dem Konzert ihre Instrumente essen.

Dabei sind die Riffs exzellent, die Wucht immer wohldosiert und die oft eingestreuten plötzlichen Stops mit der Präzision von Jazzern gespielt. Groß. Ganz groß. Und der Abend ist noch nicht mal ganz rum, da hat man also plötzlich eine weitere Lieblingsband. Ein neues Album gibt es auch, es heißt "Cold Was The Ground" (Napalm Records) und fasst das Ganze recht gut zusammen. Noch besser aber ist es, wenn man im Konzert den Irrsinn in den Augen der Musiker flackern sieht. Also bitte: Demnächst treten The Midnight Ghost Train noch in Jena, Dresden, Berlin und Mannheim auf.

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Was macht man mit seinem Leben, wenn das einstige Leben nicht mehr existiert?

Oje. Der amerikanische Rolling Stone hat gerade Adam Horovitz alias Ad Rock in New York besucht. Ein sehr melancholischer Termin. Der Mann ist erst 48 Jahre alt, die Beastie Boys sind Geschichte, Adam "MCA" Yauch ist tot, Michael Diamond alias Mike D gibt sich jetzt eher als Elder Statesman. Horovitz, der von den dreien immer der Pubertärste war, hat jetzt graue Haare und schaut ratlos auf sein Leben: Er beklagt die Verbonzung seines geliebten Brooklyn, erzählt davon, wie Mike D und er mit der gemeinsamen Autobiografie überhaupt nicht vorwärts kommen, er hilft gelegentlich seinen New Yorker Künstlerfreunden bei ihren Filmen, wenn sie ihn darum bitten. Ansonsten hängt er rum.

Mehr fällt ihm im Moment nicht ein. Für einen Abschied in die Rente ist er viel zu jung - aber für eine neue Aufgabe vielleicht schon zu alt. Das macht ihm zu schaffen. Er war mal ein Beastie Boy, Held einer ganzen Generation. Heute stellt er eine Frage, die einem als Fan kurz das Herz kalt werden lässt: "Was macht man mit seinem Leben, wenn das einstige Leben nicht mehr existiert?" Der Mann hat 40 Millionen Platten verkauft. Aber in diesem Moment möchte man ihn kurz bei der Hand nehmen und sagen: Keine Angst, Junge, wir kriegen das hin.

Extrem nervös und sympathisch ziellos

Madonna hat dieses Problem nicht. Sie macht einfach mit dem Leben weiter, das sie schon seit Jahren führt. Der Erfolg gibt ihr Recht: Das Branchenmagazin Musikwoche schreibt über die Charts dieser Woche, "Madonna sichert sich mit 'Rebel Heart' sofort die Tabellenführung der Top 100 Longplay, gefolgt von Howard Carpendales 'Das ist unserere Zeit'."

Madonna hat also immer noch eine Nummer-1-Garantie, das ist schön und angesichts der wirren Weltlage irgendwie auch ein bisschen beruhigend. Unterhaltsam an der Meldung ist aber vor allem, dass Carpendale Platz zwei belegt. Dass also Madonna und Howie da um die Spitze der Charts wetteifern, die Pop Queen Mom und der Schlagerkönig: ein Bild, so abwegig und zugleich doch so stimmig, dass es auf der Stelle gute Laune macht.

Blues Brothers! Am gleichen Tag neue Alben von Jon Spencer und Seasick Steve, das ist ja fast ein kleines Festival. Die Jon Spencer Blues Explosion ist auf "Freedom Tower" (Bronzerat/Soulfood Music) wieder extrem nervös und sympathisch ziellos unterwegs. Hektisch stolperndes Schlagzeug, Gitarren, die nach kaputten Radios klingen, Spät-Blues mit New-Wave-Attitüde.

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Man muss wohl annehmen, dass es Spencer ärgert, wie andere mit seinem Sound viel erfolgreicher wurden als er: Jack White und die Black Keys verdanken ihm viel. Und er klingt ja auch ständig sauer (wobei - so klang er auch schon vor zwanzig Jahren). Vielleicht hat er Glück und die jungen Fans seiner Epigonen entdecken jetzt auch ihn. Es wäre ihm zu gönnen.

Steve Wold alias Seasick Steve dagegen klingt überhaupt nie sauer, sondern wie ein Mann, der zufrieden auf seiner Veranda sitzt und jeden Nachmittag eine Flasche Jack Daniels leert. "Sonic Soul Surfer" (Caroline/Universal) ist schon das siebte Album des Amerikaners, dabei ist es gerade einmal zehn Jahre her, dass er sein erstes veröffentlicht hat, da war er schon 60 Jahre alt.

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Und jetzt nuschelt und brummt er also entspannt seinen Neo-Blues daher, in bester J.J.Cale-Tradition. Wobei er immer dann am besten ist, wenn er das Tempo anzieht - so gut gelaunte Songs wie "Bring It On" könnten jedes Straßenfest aufmischen.

Fortlaufende Popkolumne der SZ. Wenn Sie diese Songs nicht hören können, melden Sie sich bitte bei Spotify an. Auf der rechten Seite finden Sie mit der Maus den (sehr kleinen) Scrollbalken. Wenn Sie nach unten scrollen, finden Sie die Alben, die in den vergangenen Wochen in der Popkolumne besprochen wurden und gleichzeitig bei Spotify enthalten sind.

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