Süddeutsche Zeitung

Die CDs der Woche - Popkolumne:Augen zu für 1997

Suede haben mit ihrer neuen CD "Bloodsport" zwar alle enttäuscht, aber mit geschlossenen Augen und einem Gefühl von 1997 lassen sie sich gut hören. Devendra Banhart dagegen verhilft Hildegard von Bingen zu neuem Ruhm. Dazu Elektro-Sound von Karl Bartos und ein treibendes Schlagzeug von Herrenmagazin - zum Lesen in unserer Popkolumne.

Von Max Scharnigg

Devendra Banhart

Hildegard von Bingen hat der zeitgenössischen Popkultur noch nicht allzu viele Kerben geschlagen. Das ändert sich jetzt dank Devendra Banhart, der den dritten Song auf seinem neuen Album nach dem frühmittelalterlichen It-Girl benannt hat. Zusätzlich haben es diesmal auch ein paar deutsche Sprachfetzen in das Mood-Board des New Yorker Liedermachers geschafft, die seinem moosigen Psych-Folk gleich eine geheimnisvolle Grimmsche Note verleihen.

Davon abgesehen vereint dieses achte Werk wieder jene Tugenden, für die Banhart mittlerweile großflächig verehrt wird: Unerschütterliche Sanftheit vor dem Feind, zärtliche Introvertiertheit und ja, so ein gewisser Hipster-Sex-Appeal.

"Mala" (Warner) ist ein wunderbar zugängliches und über weite Strecken sogar recht gutmütiges Album geworden, das weniger den früheren Neo-Hippie Banhart mit seiner flusigen Verschrobenheit herauskehrt, als vielmehr einen ziemlich erwachsenen Songwriter, der den Freak-Folk weitgehend an den Nagel gehängt hat.

Die dürfen das. Denn mit Rasmus Engler am Schlagzeug hat die Hamburger Formation Herrenmagazin beinahe schon so was wie den guten Geist des deutschen Gymnasiasten-Deutschpunk am Start. Angesichts dieser DNA, also Hamburg und Engler, ist das Ergebnis ihrer dritten Platte absolut verständlich - es ist wieder jener elegische Jungs-Gitarrenrock, der immer den empfindsam angereicherten guten Moment sucht, umständlichen Satzbau und Pathos vermählt und die Gitarren in großer Geste über all das keulen lässt, was beim Hörer vielleicht noch an allgemeinen Fragen übrig wäre. Zum Beispiel, ob es diese Platte nicht eigentlich auch von Kettcar / Tomte schon in dreifacher Ausführung gibt?

Aber das ist gemein, denn en detail ist "Das Ergebnis wäre Stille" (Broken Silence) durchaus gut gemacht, der bewegende Doppelgesang, das treibende Schlagzeug und eben die zwischen die zackigen Akkorde gestreute und ziemlich unpeinliche Poesie. Man kann das angenehm hören, vor der Prüfung, nach dem Kickern, zwischen den Orten.

"Was'n das? Erasure in Zeitlupe?", mault die Freundin. Eine ziemlich treffende Kurzkritik, aber es ist dann doch Karl Bartos, ehemals zweiter von links bei Kraftwerk und jetzt wieder da, mit einer kleinen Zeitkapsel im, äh, Aktenkoffer? Seine Platte "Off The Record" (Bureau B) versammelt lose Enden, renovierte Dateien, Archivschätze aus allen Zeiten seines musikalischen Wirkens.

Ganz alte Sachen sind dabei und wirklich interessante Vorgänge, wie etwa bei dem Track "Without A Trace Of Emotion", den er am Tag als John Lennon erschossen wurde zur Seite legte und sich erst 2010 wieder vornahm. Die 30 Jahre verkraftet das Stück ausgezeichnet, es glänzt immer noch mit jener makellosen, elektronischen Architektur, die auch den Kraftwerkplatten bis heute inne wohnt.

Was da aus Moogs, Synthies und Co. gebastelt wurde ist dieser sterile, internationale Schwung, der immer so klingt, als wäre er im Vakuum gelagert gewesen. Dieser Sound bewegt bis heute - auch wenn das Ohr schon längst elektroniksatt ist.

Noch mal Wiedergänger aus einer vergangenen Zeit. 2002 gab es das letzte Studioalbum der Gitarren-Bonvivants um Brett Anderson. Nun muss man kein Schwarzseher sein, um sich angesichts von "Bloodsport" (Warner) ein bisschen zu fürchten, schließlich haben die britischen Giganten der 90er Jahre mit ihrem Spätwerk fast alle enttäuscht.

Der Trick bei diesem Suede-Album ist, beim Hören die Augen zu schließen (sollte man eh mal wieder machen, das ist in der iPod-Epoche ganz aus der Mode gekommen) und festzustellen, dass draußen 1997 sein könnte. Die Geräusche von der Straße sind noch dieselben und die Geräusche aus der Stereoanlage auch.

Suede haben ein anachronistisches Wunder in die Welt gesetzt, alles ist wieder da: Ihr großes Popverständnis, das immer schon mehr mit Disco und Samtanzug zu tun hatte als mit Bier und Lederjacke. Andersons heldenhafte Form beim Singen, die hoch überschlagenden Gitarren, das Echo, das Heulen, die Larmoyanz.

Fortlaufende Popkolumne der SZ

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Quelle:
SZ vom 13.03.2013/kath
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