Die CDs der Woche - Jazzkolumne:Die den Groove beherrschen

Die CDs der Woche Jazzkolumne mit "Überjam Deux" von John Scofield

Auf dem Album "Überjam Deux" helfen John Scofield eine Rhythmusgitarre und ein Bass.

(Foto: Emarcy Records/Universal)

John Scofields Mix aus präziser Gitarre und dumpf federndem Bass ist extrem tanzbar. Bei Torsten Goods ist der Groove auch gut - wenn er nicht gerade für die Süße des Schlagers aufgegeben wird. Und Giovanni Guidi macht aus einem Klavier-Trio ein berückend schönes Ineinander von Harmonie. Die Jazzkolumne - zum Lesen und zum Hören.

Von Thomas Steinfeld

John Scofield

Zu den großen, aber ewig unerledigten Projekten der Siebziger- und frühen Achtzigerjahre gehört der Groove, den Miles Davis auf seinen Schallplatten zwischen "Bitches Brew" (1970) und "Decoy" (1984) entwickelte: ein tiefer, aber leichter, pulsierender, aber strenger, lässiger, aber hochkonzentrierter Rhythmus, der unendlich viele musikalische Ereignisse an sich binden kann.

Zu den Menschen, die von diesem Groove nicht lassen können, gehört der amerikanische Gitarrist John Scofield mit seiner Liebe zu einem besonders schlanken Funk. Das liegt wahrscheinlich weniger daran, dass er in den frühen Achtzigerjahren, also auf den Aufnahmen, die am meisten in den Soul hinüberreichen, zu Miles Davis' Combo gehörte, sondern vielmehr an den Möglichkeiten, die sich für ihn im freien und immer freieren Umgang mit diesem Muster ergeben.

John Scofield liebt die feste Form, das vertraute Lick, die erwartbare Akkordprogression. Aber dann nimmt er ein solches, scheinbar etabliertes Element, dreht und wendet es in winzigen Bewegung, bis es überraschend und völlig verändert daherkommt - aber eben stets auf der Grundlage eines Groove, der sehr, sehr tanzbar bleibt (auch wenn man keineswegs tanzen muss, um ein großes Vergnügen daran zu haben). Auf "Überjam Deux" (Emarcy Records/Universal) helfen ihm dabei Avi Bortnick, der seine Rhythmusgitarre mit eindrucksvoller Präzision spielt, und der Bassist Andy Hess, der dem Groove das dumpf federnde Fundament verleiht.

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Torsten Goods

Und noch jemand, der den großen Groove beherrscht: der gerade 32-jährige und dennoch schon sehr routinierte Düsseldorfer Gitarrist und Sänger Torsten Goods. Er ist ein Mann, der sein Handwerk, was an keiner Stelle zu überhören ist, in den Vereinigten Staaten gelernt hat und den Übergang ins Genre "Adult Contemporary" keineswegs scheut - auch seine jüngst Schallplatte "When Love Comes to Town" (Act Records) geht also insgesamt weitaus mehr in Richtung George Benson als in Richtung John Scofield.

Die CDs der Woche Jazzkolumne mit Torsten Goods

Auf dem Album "When The Love Comes To Town" von Torsten Goods wird ein melodischer Reichtum hörbar.

(Foto: Art Records)

Als Gitarrist ist Goods ein Virtuose. Seine Soli klingen zwar manchmal etwas akademisch. Aber der Eindruck vergeht sofort, wenn er bei den Soli mitsingt: Dann wird ein melodischer Reichtum und ein Genie des Einfalls hörbar, die mehr voraussetzen als nur langes Üben. Nicht ganz so eindrucksvoll ist er, wenn er Songtexte singt, also als Crooner auftritt. Aber der Mangel kann auch an der Aufnahmetechnik liegen: Für das, was Torsten Goods will, fehlt es seiner Stimme an Intensität, an Direktheit und an rohem, spröden Charme.

Das gilt um so mehr, als die beeindruckend guten Bläser, zu denen Till Brönner und Nils Landgren gehören, entschlossen weich und zivil arrangiert sind. Dieser Mangel an einem scharf umrissenen Gegenüber macht sich vor allem dann bemerkbar, wenn der Groove aufgegeben wird, um der Süße und dem Schmelz Raum zu gewähren, immer dann also, wenn es in den Schlager geht. Aber der Groove, wie er zuvor trieb, rollte und schnippte - der ist wirklich gut.

Giovanni Guidi

Die CDs der Woche Jazzkolumne mit "City of Broken Dreams" von Giovanni Guidi

Die größte Spezialität auf dem Album "City of Broken Dreams" von Giovanni Guidi sind die Spannungsbögen.

(Foto: ECM)

Es gibt so viele Klavier-Trios, und sie alle scheinen ein bisschen Jazz zu spielen, in den sie romantische Melodien hineinflechten, die oft der Volksmusik entlehnt sind. Dahinter trommelt dann jemand einen moderierten Rock-Rhythmus. Und gewiss: Dem italienischen Pianisten Giovanni Guidi ist dieser Art des Klavier-Trios nicht fremd. Aber er macht etwas ganz anderes daraus.

Seine größte Spezialität mögen Spannungsbögen sein, die sich von Umbrien, seiner Heimat, bis zu amerikanischen Gospelchören erstrecken. Konstruiert sind sie aus vielen kleinen, oft sehr zurückhaltend gespielten Elementen, die auf einen Mitspieler hin angelegt sind: den Bassisten Thomas Morgan. Dieser Mann kann, wenn er will, melodisch spielen, aber er tut es nicht immer: Manchmal kommt er von irgendwoher, aus einer Gegend, die vom Rest des Stückes weit entfernt zu sein scheint. Aber plötzlich ist er doch mittendrin und dann macht er scheinbar wieder etwas ganz anderes, während das Klavier mit der Form zu experimentieren beginnt.

Was so entsteht, ist ein Ineinander von Harmonie und völliger Freiheit, mit Momenten von fast absurder Innigkeit. Und irgendjemand muss den klugen Gedanken gehabt haben, dem Schlagzeuger zu sagen, dass es in dieser Musik auf Takt und Rhythmus viel weniger ankommt als auf Wegzeichen. "City of Brocken Dreams" (ECM) ist, dem Titel zum Trotz, eine berückend schöne Platte.

Fortlaufende Popkolumne der SZ.

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