Pop-Deutschland ist begeistert - aber verwirrt. Und immer, wenn das so ist, stellt irgendwer sehr bald eine sehr deutsche Frage: Meint der das ernst? Man kann das im Fall von Romano verstehen. Es passt ja wirklich nichts zusammen auf "Jenseits von Köpenick" (Virgin), dem eben erschienenen Album von Roman Geike, wie der Berliner bürgerlich heißt. Unter Pseudonymen wie MC Ramon, Cornerboy oder Left Coast war er schon DJ, Frontmann einer Metal-Band und Schlagersänger.
Jetzt sieht er mit seinen güldenen Zöpfen und den glänzenden Football-Bomberjacken aus wie eine Molotowcocktail werfende Rapunzel. Er rappt wie der Ex-Praktikant von Sido. Und er mischt Breakbeat, Techno, Kirmes-Düdeldü und Hip-Hop mit grundsolide hirnverbrannten Schlagermomenten. Wer nicht zu viel grübelt, kann also viel Spaß haben mit dieser Kunstfigur. Produziert hat das Album unter anderem Jakob Grunert, der mit "Supergeil" schon Friedrich Liechtenstein groß gemacht. Den hat ja auch keiner verstanden. War aber auch egal.
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Man rechnet mit Orchester-Wumms, doch es kommt ein kluger Bruch
Winzige Schrecksekunde. Der amerikanische Pianist und Sänger Ben Folds hat sein neues, bislang wohl ambitioniertestes Album "So There" (New West Records) mit einem klassischen Ensemble eingespielt. Man rechnet mit Orchester-Wumms. Mit dick aufgetragenem Pathos. Als die Formation yMusic einsetzt, gibt es tatsächlich aber erst mal nur: ein dünnes Rinnsal von Geigen, um das eine ätherische Flöte herumzwitschert. Ein Trick natürlich. Ein klug kalkulierter Bruch mit Hörgewohnheiten. Wenn Popmusik und Klassik zusammenkommen, sind die Orchester sonst ja drauf gebucht, plumpe Größe zu simulieren.
Folds, dieser große Lakoniker, setzt das Sextett aus New York aber eher wie eine Kammer-Rockband ein. Hält die Arrangements luftdurchlässig. Lässt Platz zum Atmen, zum Leben, zum Schwelgen. Acht Songs lang. Dann bricht doch die Wucht durch. Das Album endet mit dem dreiteiligen "Concerto for Piano and Orchestra", einem virtuosen, Cinemascope-breiten Klassikwerk, das mit Folds' sonst so todtraurig-humorigem Pop noch so viel zu tun hat wie der FC Bayern mit Kreisliga. Noch so ein Bruch. Die Kritik hasst das Album bislang mehrheitlich. Klar: Wer für Ironie geliebt wird, darf alles - außer sich am Ernst versuchen.
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Übersetzungen in Englisch und neu aufgearbeitete Instrumentals
"Ma Place", dieser aufwühlende Song auf "Who's Bad", dem letzten Album der Goldenen Zitronen, müsste eigentlich die Hymne dieser Tage sein: Eine afrikanische Stimme keift, geifert und reklamiert da neuen Lebensraum für sich, über einer klaustrophobischen Atmosphäre aus Kriegstrommeln und Bässen, die sich tief in die Eingeweide wühlen. Die ganze grausige Flüchtlingskrise steckt in diesem Stück - und kulminiert in den sezierend kalt dahingesprochenen Zeilen: "Hier geht es um die eine Frage. Hier geht es um die Platzfrage: Wem steht der Platz zu?"
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Dass dieser Song eben nicht überall gesungen wird und dass die Lieder der Hamburger auch allgemein keine Hymnen mehr werden, liegt wohl daran, dass sie zu verschroben sind. Zu schartig. Zu punkig. Oder daran, dass immer die Mini-Pamphlete mit dabei sind, die Frontmann Schorsch Kamerun erdenkt. Vielleicht ist es deshalb tatsächlich den Versuch wert, sie mal wegzulassen.
Jedenfalls gibt es auf dem am Freitag erscheinenden Album "Flogging a Dead Frog" (Altin Village & Mine) eine Sammlung - die Band selbst spricht von einer "Rekontextualisierung" - von alten Instrumentals. Und dazu ein paar Neubearbeitungen in englischer Sprache. Die Texte verlieren in der Übersetzung schwer an Eindringlichkeit und Nähe. Dafür versteht man sie natürlich weltweit. Vielleicht hilft das ja.
Nile Rodgers von Chic ist dabei. Und mit ihm eine dieser hopsenden Disco-Hymnen, die er seit seiner Kollaboration mit Daft Punk wieder überall verstreut. Die Sängerin Kiesza ist dabei. Und mit ihr ein etwas dumpf herausgebrüllter Dance-Stampfer. Der ehemalige Chili Peppers-Gitarrist John Frusciante gibt dem Geschwelge von "What Are the Chances" so etwas wie ein düsteres Glitzern. Und Mark Ronson und Mr Hudson machen auch mit - als Produzenten und Songschreiber.
Gute Songs, jedoch zu kalkuliert
Ach so: Eigentlich ist "Paper Gods" (Warner) das neue Album von Duran Duran. Seit ein paar Jahren trauen die Briten um Simon Le Bon und Nick Rhodes ihren Kompositionsfähigkeiten aber offenbar nicht mehr. Deshalb lassen sie sich viel helfen. Diesmal so viel, dass das Album zwar ein paar ziemlich gute Songs hat, in Summe aber klingt wie eine von Algorithmen kuratierte Dance-Playlist. Und zwar ganz ohne Verwirrung. Oder Begeisterung.
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